Oldenburger STACHEL      
   

Berufsverbote - verboten

11 000 Berufsverbotsverfahren gab es in Deutschland, 2200 Disziplinarverfahren und 136 Entlassungen. Eine ganze Generation von LehrerInnen und anderen Beamten mußte sich bei jeder "regierungsfeindlichen" politischen Handlung überlegen, ob sie nicht die "politische Treuepflicht" verletzt hatte. Späte Genugtuung ist nun der Studienrätin Dorothea Vogt aus Jever und mit ihr allen anderen "berufsverbotenen" Lehrern zuteil geworden. Obwohl ihr viele nur Mißerfolg vorausgesagt und abgeraten hatten, hatte sie es auf sich genommen, vor den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte zu ziehen und dort gegen das 1987 wegen DKP-Mitgliedschaft über sie verhängte Berufsverbot zu klagen. 23 Jahre nach Einführung des "Radikalenerlasses" und vier Jahre nach (Wieder-)Einstellung der ehemals abgelehnten LehrerInnen in den niedersächsichen Schuldienst stellten die höchsten europäischen Richter fest, daß ihre damalige Entlassung ein Verstoß gegen die Artikel 10 und 11 der Europäischen Menschenrechtskonvention war (Recht auf Meinungs- und Versammlungsfreiheit). Zu dem nur in Deutschland gegen kommunistische Beamte erhobenen Vorwurf, sie hätten ihre besondere Treuepflicht gegenüber ihrem Dienstherrn verletzt, erklärten die Straßburger Richter, ein demokratischer Staat dürfe von seinen Beamten zwar politische Treue erwarten, diese müsse aber gegen das Recht auf freie Meinungsäußerung abgewogen werden. Dorothea Vogt habe sich in ihrer Freizeit (und nicht im Dienst) in einer zugelassenen Partei engagiert und habe keine Berufspflichten verletzt. PDS-Mitglieder, die aus dem Schuldienst entlassen wurden oder werden sollen, hören dies sicher mit Interesse. Daß auch für sie die Meinungs- und Versammlungsfreiheit gelten soll, ist bekanntlich besonders in Ostdeutschland stark umstritten. Gerade hat die Bürgerrechtlerin Freya Klier gefordert, daß gegen "den Durchmarsch der PDS-Lehrer" in den Schuldienst eine Kommission eingesetzt werden sollte, die ihre Entlassung prüfen soll. Die "Anhörkommissionen" aus den Zeiten des alten "Radikalenerlasses" lassen grüßen...

In Deutschland aussichtslos

Obwohl ihr auch alle deutschen Gerichte bescheinigt hatten, daß ihre Arbeit in der Schule "tadellos" gewesen war, hatte Dorothea Vogt in Deutschland kein Recht bekommen. Als letzte Instanz hatte 1989 der niedersächsisch e Disziplinarhof ihre Entlassung aus dem Schuldienst bekräftigt. Ihr damaliger Rechtsanwalt Gerhard Schröder legte Beschwerde beim Bundesverfassungsgericht ein. Sie wurde wegen "Aussichtslosigkeit" abgewiesen. 1974 hatte das höchste deutsche Gericht unter Bezug auf das KPD-Verbot von 1956 die Rechtmäßigkeit des "Radikalenerlasse s" bestätigt und seine Definition der "freiheitlich demokratischen Grundordnung" sowie der "Treuepflicht" festgeschrieben.

Dem Vernehmen nach empfahl der Europäische Gerichtshof Dorothea Vogt, sich außergerichtlich mit der Landesregierung auf eine Entschädigung zu einigen. In Hannover hat man daraufhin hochgerechnet und eine Horrormeldung in die Zeitung gesetzt: Möglicherweise 10 Millionen DM müsse das Land an entlassene LehrerInnen als Schadensersatz zahlen! Angesichts der leeren Kassen macht solch eine Meldung sicher böses Blut. Besser wäre es, erst einmal abzuwarten, was die Straßburger Richter als berechtigt ansehen und welche Entschädigung die betroffenen LehrerInnen wünschen. Doch für zukünftige Verstöße gegen das Straßburger Urteil wird es für Landesregierungen sicher hilfreich sein zu wissen, daß ihr Tun teuer werden kann.

achim


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