Oldenburger STACHEL      
   

Kruzifix neben SuperSonderExtraAngebot

Jesus soll die Ungläubigen samt ihres Mammons aus dem Tempel geworfen haben. Kann das heute jemanden davon abhalten, die "heilige" Verkaufswelt "dieser unserer" Gesellschaft mit religiösen Symbolen zu dekorieren?

Am Sonntag sollst Du ruhn

Als ich noch christlich erzogen wurde, versuchten Menschen mich zu lehren, daß ich den Feiertag zu heiligen hätte. Am 1.10. heiligte ich den Feiertag. Des Nachmittags ging ich zur Heiligung über den Kramermarkt. Dort war erstaunlich wenig Rummel auf dem Rummel. Auf dem Weg in die Innenstadt erlebte ich gegen 17.30 Uhr einen Stau auf der Donnerschweer Straße. In der Innenstadt dann gingen die Menschen dicht an dicht. Die SuperSonderExtraLockangebote hatten ihren Zweck erfüllt. Denn viele wurden in die Stadt gelockt. Ich traf Bekannte. Es wunderte mich, ausgerechnet sie im Gewühl zu treffen. Sie zogen alle lange Schnuten. Die Schnäppchen, die sie zu erheischen wünschten, hatten sie samt und sonders nicht erstehen können. (Das erinnert mich an die Zeitschrift "Coupe", bei der die Redaktion des Nachrichtenmagazins "monitor" aufdeckte, daß es nie ein Automobil zu gewinnen gab. Wochen nach dem Wettbewerb wurde jeweils ein fingierter Gewinner präsentiert. D.TipperIn)

Keine besonderen Vorkommnisse

Derartig inspiriert lenkte ich mein Fahrrad gen Wechloy. (Die Märkte im Stadtnorden hatten sich trotz Erlaubnis an dem Reigen nicht beteiligt.) Gegen 17.45 Uhr lernte ich mein Rad besonders zu schätzen. Beim KFZ-Verkehr ging nichts mehr. Die Ofener Straße war dicht, die Eimerländer Hin- und Herstraße ebenso. Auf dem großen Parkplatz im Gewerbegebiet Wechloy standen die Blechdinger kreuz, quer und geradezu verkeilt. Selbst Fuß- und Radweg wurden blockiert. Die Luft war von Autoabgasen vergiftet, so wie ich das zuvor noch nicht erlebt habe.

Ich befragte das Personal einiger Märkte in Wechloy nach der persönlichen Befindlichkeit. Da ich diese Zeilen noch verfassen konnte, bin ich von der zustimmenden Begeisterung nicht erschlagen worden. Kein Wunder: Das Wochenende mit den Lieben wurde ruiniert - am nächsten Sonnabend ist bereits wieder Verkaufsoffener Sonnabend - da kommt Freude auf. Genug der Ironie. Klammheimliche Freude konnte ich tatsächlich spüren. So wurde mir erklärt: "Das Verkehrschaos ist doch kein Wunder - den ganzen Tag fahren die auf drei Spuren rein und dann wollen sie innerhalb einer Viertelstunde alle gleichzeitig über eine Spur raus. Das kann doch nicht funktionieren."

Überrascht hat mich am Montag der Bericht in der Bild-West. Alle seien zufrieden gewesen und die Polizei hätte keinerlei besondere Vorkommnisse zu berichten gehabt. (Ich finde auch, daß der von einem Freund berichtete Stau, der sich stadteinwärts über Wehnen hinaus gebildet hat, "kein besonderes Vorkommnis" ist - sind ja nur ca. 7 km Stau gewesen. Die allermeisten Fahrzeuge kamen übrigens aus dieser Region. D.TipperIn)

Spricht etwas gegen verkaufsoffene Sontage?

Wer diese Frage ernsthaft stellt, vernachlässigt, daß die Beschäftigten im Einzelhandel ohnehin an 52 Sonnabenden arbeiten müssen - zudem an Verkaufsoffenen Sonnabenden und den Langen Donnerstagen. So bleibt als freier Tag ausschließlich der Sonntag. Mit dem Verkaufsoffenen Sonntag wurde diese einzige zusammenhängende Erholungsphase geraubt.

Wie halten die Ratsfraktionen und der Oberbürgermeister es mit dem Grundgesetz? Ein wesentlicher Bestandteil des Grundgesetzes ist der Schutz der Familie. Selbst in den Fällen, für die zeitlicher Ausgleich für die Sonntagsarbeit vereinbart wurde - der für die Familie vorbehaltene Tag ist auseinandergerissen. Einheitlicher Tenor der Befragten war: "An dem Tag kannst Du nichts mehr mit den Deinen unternehmen."

Das war auch am "Familientag" auf dem Kramermarkt zu spüren: Am Donnerstag war fast nichts los. Wären die Argumente für den Verkaufsoffenen Sonntag richtig, hätte es doch während der Woche einen Ansturm von Menschen aus dem Einzelhandel geben müssen, die mit ihrer Familie den zeitlichen Ausgleich wahrnehmen. Da die meisten Beschäftigten im Einzelhandel Frauen sind, ist der verkaufsoffene Sonntag nicht allein familien-, sondern auch frauenfeindlich.

Das schnöde Geld wird ausschließlich verlagert

Im Einzelhandel geht der Umsatz zurück. Eines der unbrauchbaren Mittel, dies zu verändern, sollen verlängerte Öffnungszeiten der Geschäfte sein. Aber wo soll das Geld herkommen, das in den verlängerten Zeiten ausgegeben werden könnte, damit der Umsatz wieder steigt? In allen Bereichen der Gesellschaft, in denen es um Menschen geht, wird gekürzt. Mehr Geld wird nur in Bereiche gelenkt, die nicht dem Einzelhandel Umsatz bringen. Ein Beispiel ist das millionenschwere Bauprojekt um den Oldenburger "Stern" mit dem beigefügten zweifelhaften Tunnelprojekt. Bekannterweise kann mensch eine Mark nur einmal ausgeben. Auch die Verlängerung der Verkaufzeiten am Donnerstag hat lediglich Umsatzverlagerungen, nicht jedoch Umsatzausweitungen zur Folge gehabt.

Dies entspricht auch den Erfahrungen, die mir auf einer Reise nach Großbritannien in diesem Jahr mitgeteilt wurden: Dort gibt es seit längerem späte Ladenschlußzeiten. Das Ergebnis ist, daß viele kleine Geschäfte geschlossen wurden. Die Supermärkte auf der grünen Wiese dagegen florieren. Dies zieht erheblichen Verkehr nach sich - und das in einer Zeit, in der alle wissen, daß Mutter Erde Atemnot hat. Die Arbeitszeiten und -bedingungen der Angestellten sind schier unerträglich. Das Arbeitsvolumen im britischen Einzelhandel wurde reduziert.

Wer wundert sich noch über die geistigen Ausflüsse des Vorstandsvorsitzenden von "Galeria Kaufhof", der eine Ausweitung der Ladenschlußzeiten auf 22 Uhr täglich und 18 Uhr am Sonnabend ausdrücklich begrüßen würde? Als große Kette würde Kaufhof profitieren.

Scheinheilig

SPD-Fraktion und Oberbürgermeister hatten sich im Gespräch mit den Gewerkschaften Handel, Banken und Versicherungen (HBV) sowie Deutsche Angestelltengewerkschaft (DAG) für die Öffnung der Geschäfte im Innenstadtbereich eingesetzt. Das schlagkräftige "Argument" hieß: "Dieses eine Mal bloß - ist doch 650 Jahr Fest". Bei der Durchführung war dann von der Begrenzung auf die Innenstadt nichts mehr zu merken. Stattdessen wurden Worte verdreht. Aus der Erkenntnis, daß sich die Gewerkschaften angesichts des schier unkritisierbaren "Arguments" der 650 Jahre wohl mit ihrer Ablehnung von Sonntagsarbeit nicht würden durchsetzen können, machten die Politischen Stadtoberen: "Die Gewerkschaften haben auch nichts mehr gegen den Verkaufsoffenen Sonntag."

Dabei wollen die Politischen Stadtoberen selbst nicht gerne arbeiten. Und zwar verweigern etliche von ihnen nicht nur Mehrarbeit, sondern tun sogar die Reguläre nicht. Ich möchte hier an einen Bericht von Frau Zempel-Bley in der Oldenburger Bürger(In?!) von Mai 1995 erinnern: "... Kulturausschuß gönnt sich zehnwöchige Pause ... Der Rat der Stadt Oldenburg ist unter dem Ratsvorsitzenden Oberbürgermeister Dieter Holzapfel dazu übergegangen, nur noch achtmal im Jahr zu tagen. Zwar betont er bei jeder Gelegenheit Oldenburgs Rolle als Oberzentrum, doch was das Tempo der politischen Arbeit betrifft, ist davon wenig zu spüren. ... Nichts zu tun hat anscheinend auch der Kulturausschuß, der zehn Wochen Pause für angemessen hält. ... Zwar hätten fast alle Mitglieder am 20. April tagen können, doch das scheiterte am Veto eines einzigen Ausschußmitgliedes, das an diesem Tag das Fußball-Länderspiel Deutschland gegen England verfolgen wollte, das dann ja bekannterweise abgesagt wurde. ..."

Gernot Koch (Bündnis 90 / Die Grünen) "... macht Ratsverwaltung und den Ratsvorsitzenden für die Situation verantwortlich und will künftig mit seiner Fraktion turnusgemäße Ausschußsitzungen notfalls erzwingen. `Je länger die Arbeitspausen sind, um so mehr Spielraum hat die Verwaltung', befürchtet er. Daß sich die Mehrheiten möglicherweise ändern, findet er nebensächlich. In den Ausschüssen geht es lediglich um Sachdiskussionen. ... Schließlich geht er mit gutem Beispiel voran und hat anläßlich der jüngsten Ratssitzung seine Kur kurz unterbrochen, um an der Haushaltssitzung teilzunehmen."

Unheilige Allianz

Daß die Verwaltung die ihr gelassene Zeit zum Klüngeln nutzt und mit solchen Ideen aufwartet, nimmt nicht Wunder. Auch das die CDU solchem Ansinnen Beifall klatscht, überrascht nicht. Seitens der SPD jedoch hätten die Beschäftigten erwartet, daß sie sich für die Rechte der ArbeitnehmerInnen einsetzen. Stattdessen tuten etliche von Ihnen in das Horn der Unheiligen Allianz zum Abbau von Schutzrechten der Werktätigen. Seitens der Beschäftigten muß gesagt werden, daß sich einige mit sicherlich guten Angeboten haben kaufen lassen. Denn dieser Verkaufsoffene Sonntag wird ein weiterer Meilenstein auf dem Weg zum Ende geregelter Ladenschlußzeiten sein - wenn sich da nicht deutlicher Widerstand regt.

Konstruktiv?

Damit zukünftig alle wissen, was sie von dieser Stadt zu erwarten haben, noch ein Vorschlag zum vorläufig unguten Schluß:

Beim nächsten Kramermarktsumzug sollte rechts neben den Herren Oberstadtdirektor und Oberbürgermeister ein Kruzifix aufgestellt werden. Zur Linken könnte vielleicht ein etwas gerößerer ECU positioniert werden. Vielleicht folgt ja dann sogar der Herr Bundesfinanzminister einer Einladung zur Kramermarktseröffnung. Wenn nicht mehr allein Kirchen heilig sind, sondern auch Schulen, Verkaufshallen, Kramermarktsöffnungen und überhaupt alles ...

Gerold Korbus


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