Oldenburger STACHEL Ausgabe 12/99      Seite 12
 
Inhalt dieser Ausgabe
 

Buchtips

Gisela Wünnemann: Auch ohne Zähne kann ich pfeifen. Sage-Haast, Geest-Verlag 1999

84 Seiten, zahlreiche Illustrationen, 8.40DM

'Geschichten und Gedichte einer Frau und Mutter.', so der Untertitel des Buches der Hattinger Autorin Gisela Wünnemann, daß soeben im neugegründeten Geest-Verlag erschienen ist. Aber es handelt sich nicht um eine erneute Darstellung feministischer Absichtserklärungen. Nein, es sind nichts anderes als humane Impressionen einer nach wie vor frauen- und mütter- und kinderfeindlichen Gesellschaft. Geschichten und Momentaufnahmen der Wirklichkeit. In einem Moment zum Lachen, Sekunden später ersticken dem Leser die Lachsalven im Hals. Denn sein Verhalten, Mann, Frau, Kind, Großvater, Großmutter, wird gezeigt, literarisch gespiegelt aber niemals vordergründig ideologisiert. Wie begegnet diese Gesellschaft Frauen, die ihre Rolle gerne erleben wollen, die gerne die Erziehung der Kinder übernehmen wollen.

Das heiter ironische Moment zerbricht in manchen Gedichten zur dumpfen Zerschlagung. Der gerade auch in den Kindergedichten spürbare Optimismus droht zu zerbrechen.

Das Buch kann direkt über den Verlag (Geest-Verlag, Heideweg 7, 26197 Sage-Haast) bestellt werden.

Eine Kriminalroman der den Leser entlarvt

Norbert Sternmuts 'Der Tote im Park'. Schweinfurt, Wiesenburg Verlag 1999. 241.S.,28,-DM

ISBN 3-932497

"Wissen sie," erklärt Sternmuts zentrale Figur, ein erfolgloser Schriftsteller, zu Beginn des Romans, "ich versuche gerade eine Geschichte zu schreiben, eine Art Kriminalstory, die aber die philosophischen Aspekte des Lebens behandeln soll." Der Leser richtet sich so auf ein interessantes, vielschichtiges Geschehen ein. Spannung mit philosophischem Hintergrund, die bürgerliche Lesefassade scheint wieder von Rissen verschont zu bleiben. Spätestens seit Dürrenmatt darf sich ja auch der intellektuelle Leser den Niederungen des Kriminalromans nähern. Und tatsächlich erweist sich das Geschehen als vielschichtig. Der Geliebte der Freundin des arbeitslosen Schriftstellers wird in einem Park ermordet. Für den erfolglosen Schriftsteller Anlaß oder Motiv, eine Gefühlslandschaft eines komplizierten Beziehungsgeflechts in einem Roman auszubreiten. Die immer neuen Kapitel dieses Romans, von dem er sich seinen Durchbruch verspricht, liest er dem Kriminalinspektor vor. Schließlich ein zweiter Mord, die Ehefrau des Ermordeten, die kurz zuvor noch ein leidenschaftliches Verhältnis mit dem Schriftsteller eingegangen ist.

Anfängliche Hinweise des Schriftstellers scheinen sich uns zu verdeutlichen. Der Roman entwickelt sich zu einem "absurden Theater zwischen Versuch und Irrtum", wird "eine politische Geschichte über den Aufstieg eines Menschen, der zuletzt noch seine Menschlichkeit eingebüßt hat? Zeigt das nicht eine Epoche, die innere Befindlichkeit einer ganzen politischen Kultur, die zentrale Aussteuerung aller moralischen Bedenken?". Der Schriftsteller, so die rasche Leseerfahrung versucht die Fiktion in die Wirklichkeit umzusetzen, so die Abgründe des menschlichen Daseins für sich fiktional erfahrbar werden zu lassen. Die anfängliche Aufgabenteilung - "Ich bin der Schriftsteller, sie der Inspektor. Ich bin für die Dichtung zuständig, sie für die Wahrheit" - bekommt gefährliche Risse. Wenn die Grenze zwischen Fiktion und Realität in der erzählten Geschichte sich auflöst, dann aber ist unter Umständen auch der Leser nichts anderes als gekonnte Konstruktion, der Leser ein Konstrukt fiktionaler Werte und Gefühle, in deren Fängen er sich durch den Schriftsteller verwickeln läßt, Gefühle und Werte, die zudem nicht länger das Ergebnis moralphilosophischer Diskussionen sind. "Gut ist was Einschaltquoten erreicht. Die Zeit der Ethik ist vorbei, der moralischen Philosophie." Die Fiktion des Romans löst sich im individuell - gesellschaftlichem Scheitern, in der fiktionalen Desillusionierung auf.

Schon langt Sternmut bei den Positionen eines Peter Handkes an, den er sogar als Handlungsintention in den Kriminalroman einbringt. Die systematische Zerstörung unserer Klischeevorstellungen der Wahrnehmung von Realität angesichts eines zunehmenden ebens und Erlebens in der Fiktion inszenierter Fernsehwirklichkeiten gelingt Sternmut mit geradezu atemberaubender Inszenierungskraft und Sprachgewandtheit. Und so, wie der Autor seine Figuren - etwa den Inspektor - aus einer fiktiven Welt verschwinden läßt, damit auch zugleich den Versuch einer Aufklärung der Wirklichkeit aufgibt, so werden auch wir Leser desillusioniert. Unsere Gefühle werden uns als Spielelemente von Handlungen vor Augen geführt, wir sind als Leser nichts weiter als Teilelement einer inszenierten Kriminalstoryyy. Und die Zerstörung der Illusion, sei es durch Handkes Publikumsbeschimpfung oder Sternmuts kriminalistische Illusionszerstörung führt zur Hoffnung. "Wir wollen keine Marionetten, keine Figuren einer angelegten Geschichte sein, wollen heraustreten aus unserem Dunkel, wollen selbst bestimmen, wollen nicht nur unserem eigenen Verschwinden folgen." Am Ende des Romans tötet die Fiktion den Autoren. Vorher bleibt dem Schriftsteller nur noch die resignierende Feststellung: "Ich beschreibe noch die Vergewaltigung der Seele, wie sie in den Himmel blutet, aber möglichst in kurzen Sätzen."

Nobert Sternmut, einer der wenigen Vertreter einer Literaturgeneration, die noch bereit ist über die Rolle der Literatur auch literarisch zu reflektieren.

B. Dhünn

 

 
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