Ausgabe 11/99 | Seite 16 | |||||
Ein Rollstuhl ist kein Kinderwagen
Über Recht und WürdeAus Kindern werden Leute ... Dies meint nicht nur eins: Aus kleinen Menschen werden große Menschen, es bedeutet auch: Aus Kindern werden Erwachsenen...
Kinder benötigen Führung durch Überlegene!Sie sind auf Fürsorge, Erziehung, (Schutz>, Kontrolle, Strenge, (Konsquenz>, Verbote, Gebote, (Grenzen>, Lob, Tadel, -freundliches Wohlwollen-, gesetzliche Vertreter, Liebe, ein Kuscheltier, ein eigenes Zimmer angewiesen. Kinder sind: noch klein, unterlegen, fremdbestimmt, abhängig.
Es sind
Kinder dürfen: spielen, singen, etwas lernen.
Dafür beurteilen/benoten wir sie. Das geht
alles nach Schema F, weil Kinder im Grunde ja
nicht so ganz ernst zu nehmen sind. Kinder
sind sooo niedlich ...
Sie kommen durch dich aber nicht von dir und
obwohl sie bei dir sind, gehören sie dir
nicht.
Respekt statt Besitz ergreifen wäre hier gut,
denke ich mir, Permissivität statt
Reglementierung, Erächtigung statt einem Kind
das menschliche Rückrat zu nehmen, es
sozusagen klein zu machen.
Die Erziehungspersonen brauchten dann
allerdings ein paarmenschliche Fähigkeiten
und ein Schuß Nonkonformismus wäre auch nicht
schlecht ... daß sich die Furcht in
Lebenslust verwandelt.
Könnte allerdings ganz schön schwierig werden
für Erwachsene, die am Althergebrachtes,
Normalität und daran gewöhnt sind, daß jemand
ehrfurchtsvoll zu ihnen aufblicht. Denen müte
man helfen.
Ich mache mir gelegentlich Srgen um die, weil
die sich in ihrer eigenen Haut ja wohl nicht
wohlfühlen können. Denn ein Mensch ist ein
Mensch ist ein Mensch... Frag mich nicht,
warum. Das gibt's keinen Grund für. Das hat
kein wenn und aber. Das ist so!!
Und Ihr habt da gefälligst nicht dran
rumzumasseln mit Eurer ganzen Überheblichkeit
.
"EIGENTLICH haben Sie RECHT, ABER es gibt
doch noch die Menschen, die nicht so sind,
wie sie sein sollten, WEIL sie behindert
sind. Klar, daß man die TROTZDEM IRGENDWIE
BESONDERS LIEBHABEN MUß. Schließlich sind wir
ja alle in gewisser Weise behindert. DAS IST
DOCH NORMAL."
In welche Widersprüche ihr euch ohne dabei
rot zu werden verwickelt ... - ... Muß denn
alles und jedes ins Schema passen? Klar, bei
Gleichförmigkeit ist man scheinbar sicherer.
- Mir als Mensch mit Behinderung kstet diese
Art von Gehirnverrenkungen jedenfalls zu
viel. An Egkosten, meine ich.
Egal, was Ihr meint: Meine Körperbehinderung
gehört zu mir und nicht zu Euch. Doch, sie
hat Folgen, um die ich auch nicht unbedingt
gefleht habe, Doch hne sie wäre ICH nur ein
halber Mensch. Könnt ihr diese Paradoxon
wirklich nicht verkraften?
Wäre da noch die Medizin, die uns
ausschließlich über die Behinderung wahrnimmt
und von daher unsere Wichtigkeiten bestimmt,
die da heißen: satt, sauber und medizinisch
versorgt, Gepflegt eben. Behandelt also.
Minimalwürde inklusive.
Und darfs dann noch etwas (Über>-förderung
sein?
Oder ein wenig Zwangsbetüdelung?
Na ja, zuerst mal die Diagnose. Alles schön
der Reihe nach. Am liebsten eine niedliche
kleine Mehrfachbehinderung: Kann man alles
machen. Zuerst kommt das Stigma und dann sehn
wir weiter...
Der Organismus ist selbstbestimmt. Er strebt
nach seiner eigenen Entfaltung und nach
Unabhängigkeit von äußerer Kontrolle.
Ein ganzer Mensch ist ein Organismus,
Selbstbestimmung ein Wachstumsprozeß. Eine
Behindertenkarriere ist: mehr desselben, aus
alt mach neu, aus klein mach groß, aus groß
mach alt, aus alt mach uralt uns.
"Persöhnliche Stagnation?" - "Im Grunde, ja."
Gesetzt den Fall, wir hätten ein Recht auf
ein selbstbestimmtes Leben, wo steht es
geschrieben?
Ja sicher, Artikel 3, Grundgesetz
Bundesrepublik Deutschland. Das steht seit
einigen Jahren, längst überfälliger Weise zu
lesen, daß niemand wegen seiner Behinderung
benachteiligt werden darf.
Klaro, theoretisch ist alles kein Problem;
Behinderte dürften gerne Regelschulen
besuchen, einer Arbeit auf dem allgemeinen
Arbeitsmarkt nachgehen, eine eigene Wohnung
haben, öffentliche Verkehrsmittel benutzen,
Freunde und Partner haben, das unabhängige
Leben eines Erwachsenen führen, wenn sie es
nur
Das Problem wird individualisiert, dann ist
es so schön unpolitisch. Das ist praktisch.
Womit sich dann die gesamte Opferei und
Märtyrerei und Sorgerei und Helferei und
Pädagogisierung und Bevormunderei und
Betreuerei hintenrum und über zehn Ecken mal
wieder Geltung verschafft hätte.
Demnach benötigen Behinderte fürsorgliches
Mitleid, liebevolles Verständnis, gesetzliche
Vertreter (Betreuer>, Liebe (von oben herabm
versteht sich, und von Hintz und Kuntz ein
eigenes Zimmer (in einem Heim, andere
Behinderte, einen Kanarienvogel.
"Die Hölle, das sind die anderen..." sagt
Sartre.
Wir armen, kleinen Behinderten jedenfalls
müßten schon die reinsten Gehirnakrobaten
sein, um uns angesichts solch geistiger
Vielfalt und ihrer Auswirkungen nicht Lust
und Laune an unserem Leben verderben zu
lassen.
Nicht nur, daß wir durch unsere Behinderung
sowieso schon ein paar kleinere
Schwierigkeiten hätten: Wir kriegen auch noch
von anderen welche gemacht.
Ich würde sagen: "Eher jain."
Natürlich! SELBSTVERSTÄNDLICH.
Wir können sozusagen wählen, ob wir einen
Kanarienvogel oder ein Kuscheltier wollen.
Selbstbestimmung im Rahmen einer Normalität,
die andere, die ns nicht wahrhaben wollen für
uns schaffen?
"Ihnen bleibt ja ein Rest an Selbstbestimmung
" sagte mir ein Betreuer neulich. - Gibt es
von einem unteilbaren Ganzen einen Rest?
Gibt es dementsprechend von einem Behinderten
den Rest Mensch/Person, den man auch
irgendwie noch mitberücksichtigen muß, mit
handhaben, mit bedenken?
Werft sie doch alle in einen Topf, damit es
nicht s schwierig wird und fertig ist der
leicht verdauliche Eintpf bei dem man auch
nicht soviel kauen, sprich: nachdenken muß.
(Selber denken tut mancmal tierisch weh.>
Alles geregelt, alles klar. Keine Probleme.
Halb so anstrengend. Wir wissen, wie
SO werden wir zu Objekten gemacht. Eure
Vrstellungen über uns bleiben dabei
naturgemäß vage, wa Euch aber nicht daran
hindert, als handelnde Subjekte über unsere
Köpfe hinweg zu bestimmen.
- Das ist es ja gerade. -
Es ist wohl mein angeborenen weiblicher
Maschismus, der mich daran hindert, die Dinge
endlich mal und auch schon mal wieder s zu
nehmen, wie sie sind.
Vielleciht habe ich auch meine Körperbehinder
ung noch nicht verarbeitet? Es wäre auch
möglich, daß ich eine zu geringe
Frustrationstoleranz habe und das könnte mit
einer eingeschränkten Urteilsfähigkeit
zusammenhängen.
Eins habt Ihr erreicht: Ich schreie
inzwischen leiser.
Ulla Bertram (Diplm Szialarbeiterin/Sozialpäd
agogin>
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