Oldenburger STACHEL Ausgabe 11/99      Seite 13
 
Inhalt dieser Ausgabe
 

Opposition und Zivilgesellschaft in Serbien

Gibt es Hoffnung für ein Jugoslawien nach Milosevic?

Vom 11. bis 27. Oktober hielt ich mich in Serbien auf, um mir ein Bild von der Situation im Land nach den Bombardierungen durch die NATO und dem erneuten Aufschwung nationalistischer Stimmungen zu machen und mit verschiedenen Initiativen zu sprechen. Am stärksten geprägt ist mein Bild von der Fassade der Normalität, die vom Regime und von vielen Menschen aufrechtzuerhalten versucht wird. Ein Bild der Normalität allerdings, das schnell brüchig wird, wenn man genauer hinsieht.

Von den Zerstörungen des Krieges sieht man als BesucherIn in Belgrad und im gesamten Land nur wenig, denn Industrie- und Militäranlagen befinden sich in der Regel außerhalb der Städte und abseits der Verkehrswege, die man als BesucherIn nimmt. Am meisten springen einem die Zerstörungen der drei Donaubrücken in Novi Sad in der Vojvojdina ins Auge, einer Stadt, die von den Parteien der Opposition regiert wird. Von militärischer Bedeutung werden diese Brücken kaum gewesen sein, doch auf den Alltag der Menschen wirken sich die Zerstörungen dagegen massiv aus, ganz zu schweigen von der emotionalen Verbundenheit der Menschen mit den Brücken ihrer Stadt. Bis heute verbindet lediglich eine Pontonbrücke die beiden Hälften der Stadt, und die Ruinen der zerstörten Brücken ragen aus dem Wasser.

In Belgrad fallen einem die von den Bomben der NATO zerstörten Gebäude nur ins Auge, wenn man die Nemanjina entlangspaziert, an der sich viele Regierungsgebäude befinden. Auch in anderen Städten, die ich besucht habe, war von den Zerstörungen wenig zu bemerken. Und die Regierung bemüht sich auch ein Bild des zügig voranschreitenden Wiederaufbaus zu vermitteln. Kaum ein Tag vergeht, an dem nicht mit viel Wirbel eine Brücke, eine Fabrik oder irgend ein anderes Bauwerk wieder eröffnet wird - meist wohl eher notdürftig zusammengeflickt.

Das heißt also nicht, daß wenig zerstört wurde. Vor allem die Industrieproduktion - sowieso schon durch Sanktionen nicht gerade üppig - wurde komplett lahmgelegt. In Kragujevac wurde die Autofabrik zerstört, in Novi Sad die Ölraffinerie. In Pancevo wurden die Raffinerie und fast die gesamte petrochemische Industrie zerstört, und als Folge der Bombardierung von Tanks mit Vinylchlorid-Monomeren wurden die höchstzulässigen Arbeitsplatzkonzentrationen dieses krebserregenden Stoffes in der Stadt Pancevo für Stunden um mehr als das 10.000-fache überschritten - die etwas andere Art der chemischen Kriegsführung gegen die Bevölkerung.

Der Krieg selbst spielte sich unzweifelhaft im wesentlichen im Kosov@ ab. Hier wüteten nicht nur die jugoslawische Armee, Paramilitärs und Polizei gegen die UCK und gegen die kosovo-albanische Bevölkerung allgemein, hier griff die NATO auch am massivsten die jugoslawischen Truppen an. In Serbien selbst hatten die Hauptlast des Krieges die Städte im Süden des Landes zu tragen. In und um Leskovac wurden 40.000 Männer zum Militär mobilisiert, in Kraljevo 30.000 (bei ca. 120.000 EinwohnerInnen). Letztlich waren in den Städten des Südens fast alle jüngeren Männer von Einberufungen betroffen. In Belgrad selbst wurden dagegen kaum Männer zum Militär mobilisiert, ebenso wenig wie in Pancevo oder Novi Sad. Eine Luftabwehreinheit aus der Nähe von Kraljevo wurde sogar eigens nach Belgrad verlegt, um Mobilisierungen in Belgrad gering zu halten.

Kein Wunder also, daß die aktuellen Proteste im Süden des Landes ihren Ausgang nahmen. Schon vor Ende des Krieges kam es hier zu ersten Protesten, die sich vor allem gegen die massenhaften Einberufungen richteten - denn jede Einberufung in den Kosov@ konnte den Tod bedeuten. Die Soldaten und Reservisten waren schlecht ausgebildet und noch schlechter ausgerüstet. Wir hörten von einer Einheit der jugoslawischen Armee, in der von 50 Soldaten nur 20 Gewehre erhielten, und die so in die Auseinandersetzung mit der UCK geschickt wurde. Viele Soldaten versuchten daher, den Heimaturlaub zu nutzen, um über medizinische Gutachten die Rückkehr in den Kosov@ zu vermeiden oder hinauszuzögern, was teilweise auch gelang. Wie viele jugoslawische Soldaten im Kosov@ starben - ob im Gefecht mit der UCK oder durch die Bomben der NATO - ist nicht bekannt, doch dürfte sich die Zahl auf mehrere 1000 Tote addieren.

Und heute sind es wieder die Städte des Südens, die die Hauptlast der mittlerweile fast 200.000 serbischen Flüchtlinge aus dem Kosov@ zu tragen haben - Flüchtlinge, die vom Regime nicht erwünscht sind, sind sie doch lebendes Zeichen der Niederlage der Politik Milosevic's im Kosov@. Allein rund um Kraljevo wurden ca. 25.000 Flüchtlinge untergebracht. Wurden für die Flüchtlinge aus Bosnien und der Krajina noch Schulsporthallen und andere öffentliche Einrichtungen zumindest zeitweise zur Verfügung gestellt, so wird den Flüchtlingen aus dem Kosov@ das Leben schwergemacht. Nicht nur wird die Weiterreise in den Norden des Landes - gar vielleicht nach Belgrad - unterbunden, zu großen Teilen mußten sie sich auch ihre Unterkunft in den Städten des Südens z.B. in alten, leerstehenden Gebäuden selbst erkämpfen. Die Zustände in diesen Unterkünften sind katastrophal: häufig fehlt jede Heizung, die sanitären Einrichtungen sind - wenn überhaupt vorhanden - kaum funktionsfähig und schon gar nicht für so viele Menschen ausgelegt. Wir besuchten eine Unterkunft in der Nähe von Kraljevo, in der ca. 200 Flüchtlinge leben: die Räume, notdürftig abgetrennt durch Decken, müssen sich mehrere Familien teilen, für 200 Menschen gibt es ein Waschbecken, und die Klos sind ein schlichtes Loch im Boden, sogar ohne Wasser; das muß extra vom Waschbecken zum Spülen herangeschafft werden. Humanitäre Hilfe erreicht die Flüchtlinge kaum, falls es überhaupt welche gibt, versickert sie größtenteils in den Kanälen des Jugoslawischen Roten Kreuzes.

Trotz der derzeit täglichen Demonstrationen in nahezu allen größeren Städten Serbiens liegt eine unheimliche Apathie über dem Land. Die Oppositionsparteien - weder das Parteienbündnis "Allianz für den Wandel" unter Führung von Zoran Djindjic's Demokratischer Partei, noch Vuk Draskovic's Serbische Erneürungsbewegung - genießen nicht viel mehr Glaubwürdigkeit als das Milosevic-Regime, auch wenn viele zumindest darauf setzen, daß unter Führung der Opposition wenigestens die Isolation Serbiens ein Ende haben könnte. Entsprechend gering ist die Beteiligung an den Demonstrationen der "Allianz für den Wandel": in Belgrad mit seinen zwei Millionen EinwohnerInnen sind es vielleicht wenige 1000 Menschen, in anderen Städten wenige 100. Und anstatt Lebendigkeit und Phantasie auszustrahlen - wie die Proteste des Winters 96/97 - sind diese Proteste mittlerweile zum immergleichen, starren und toten Ritual erstarrt.

Das dem so ist, ist kein Wunder. Vuk Draskovic hat durch seine zeitwielige Beteiligung an der Regierung Milosevic (1997 bis zu seinem Rauswurf während des Krieges) massiv an Glaubwürdigkeit verloren. Seine Serbische Erneuerungsbewegung steht in Sachen Nationalismus der Regierung Milosevic um nichts nach, ja übertrifft sie sogar noch. Auch die Demokratische Partei gebärdet sich nationalistisch, wenn auch moderater. Doch auch die Allianz für den Wandel tut sich schwer, den Forderungen der Europäischen Union nach vollständiger Kooperation mit dem Internationalen Kriegsverbrechertribunal in Den Haag zuzustimmen, denn auch Zoran Djindjic hat keine so saubere Weste, unterstützte er doch im Bosnien-Krieg den serbischen Milizenführer und Kriegsverbrecher Karadzic. Legt man strenge Masßtäbe an, so müßten neben Milosevic und Seselj wohl auch Vuk Draskovic und Zoran Djindjic auf die Liste der anzuklagenden Kriegsverbrecher.

Wenig ist also zu erwarten von dieser Opposition. Treffend formulierte ein Teilnehmer des NGO-Bündnisses "Jugoslawische Aktion" daher, daß auch die Oppositionsparteien nichts zur Zukunft Serbiens zu sagen hätten, und daß es ihnen nur darum ginge, selbst an die Macht zu kommen, wobei sich allerdings Djindjic und Draskovic nicht einigen könnten, wer denn Nr. 1 und wer Nr. 2 wird. Dazu paßt, daß auch das demokratische Verhalten dieser beiden Parteien zu wünschen übrig läßt. Von "ihren" Medien erwarten sie ebenso "Hofberichterstattung" wie es bei den Regierungsparteien üblich ist. So berichtete z.B. auch der von Draskovic kontrollierte Belgrader Sender "Studio B" wochenlang nicht über die täglichen Demonstrationen der "Allianz für den Wandel", da sie nicht in Draskovic's politisches Konzept paßten. Ähnliches berichteten mir MitarbeiterInnen lokaler Medien aus Städten, die von der Opposition regiert werden. Kritik an der Stadtregierung ist in diesen Medien nicht erwünscht. Wirklich unabhängige Medien existieren in Serbien fast nicht.

Auch der unabhängige Gewerkschaftsbund "Nezavisnost" hat so seine Probleme. Auf dem Papier sehr Mitgliederstark, fehlt es ihm bei einer Arbeitslosigkeit von mehr als 50 % und einem Durchschnittslohn von 85,- DM an Kampfkraft. Hinzu kommt, daß die lokalen Gliederungen nicht unbedingt der antinationalistischen Politik der Belgrader Führung folgen wollen. Eine entsprechende Auseinandersetzung wird aber innerhalb der Gewerkschaft nicht geführt, sondern im Gegenteil vermieden; eine Politik, die sich langfristig rächen könnte.

Trotzdem ist Nezavisnost führende Kraft in der "Jugoslawischen Aktion", einem Bündnis von NGOs aus verschiedenen serbischen Städten, das bereits während des Krieges mit zahlreichen Erklärungen an die Öffentlichkeit getreten ist, von den westlichen Medien in ihrer Parteienfixierung allerdings kaum wahrgenommen wurde (und wird). So wichtig dieses NGO-Bündnis auch ist, so stellt es doch höchstens ganz zarte Ansätze einer Zivilgesellschaft dar. Zahlreiche NGOs hängen am Tropf westlicher Stiftungen und sind teilweise mehr eine Arbeitsbeschaffungsmaßnahme für ihre MitarbeiterInnen, als daß sie im Land selbst über eine reelle Basis verfügen würden. Das heißt nicht, daß nicht gute Arbeit geleistet würde, deutet jedoch auf die begrenzte Wirksamkeit innerhalb der serbischen Gesellschaft hin. Zudem sind auch die NGOs oft hierarchisch strukturiert und mehr auf Abgrenzung und eigene Profilierung hin orientiert als auf Kooperation - schließlich konkurriert man um die gleichen begrenzten Finanztöpfe der Stiftungen. Doch es gibt auch andere Gruppen, die informeller organisiert sind. Als Älteste und bekannteste dieser Gruppen sind natürlich die "Frauen in Schwarz" in Belgrad zu nennen, die bereits seit 1991 auf pazifistisch-feministischer Grundlage gegen Krieg und Nationalismus aktiv sind. Ihr Büro in der Belgrader Innenstadt ist Treffpunkt für Frauen (und Männer) jeden Alters, die dort Informationen austauschen und gegenseitige Unterstützung finden können. Die Frauen in Schwarz stellen einen wichtigen Bezugspunkt für zahlreiche Gruppen im ganzen Land dar, für Gruppen wie "DRK" (Gesellschaft für die Entwicklung von Kultur) in Kraljevo, das "BürgerInnenparlament" in Leskovac oder Gruppen in anderen Städten. Landesweit ist "Youth Social Action" ein Netzwerk von Gruppen und Einzelpersonen, hervorgegangen aus der Antikriegskampagne des letzten Jahres. Mit kleinen Aktionen, vor allem aber mit Flugblättern zur Aufklärung soll die Bevölkerung sensibilisiert werden. Als nächstes Thema soll die Frage der Amnestie für Deserteure und Wehrpflichtflüchtlinge in den Mittelpunkt gestellt werden, ein Thema, von dem nach Schätzungen ca. 28.000 Menschen betroffen sind, gegen die Verfahren eingeleitet wurden.

Gibt es also Hoffnung für ein Jugoslawien nach Milosevic? Es klingt zynisch, doch vielleicht könnte das Ende der Ära Milosevic - so es denn endlich dazu kommt - als das Licht am Ende eines langen Tunnels bezeichnet werden. Doch wenn dieses Licht erreicht ist, fängt die schwere Arbeit des Aufbaus einer demokratischen und gerechten Gesellschaft erst an, eine Arbeit, für die massive Unterstützung gerade dann nötig sein wird, wenn die öffentliche Aufmerksamkeit hierzulande das Thema Serbien abgehakt haben wird, um sich dem nächsten von den Medien präsentierten Krisenherd zuzuwenden. Das Verhalten der Oppositionsparteien schon heute läßt befürchten, daß massive Demokratiedefizite auch unter einer Regierung Draskovic/Djindjic zu erwarten sind. Und die ökonomischen Probleme werden sich - auch nach dem Ende der Sanktionen - kaum von heute auf morgen lösen lassen. Enttäuschte Erwartungen sind also vorprogrammiert; ein guter Nährboden für ein erneutes Schüren von Haß und Nationalismus. Dem kann nur durch eine starke Zivilgesellschaft entgegengewirkt werden.

Andreas Speck

Infos:

Informationen zur Opposition: http://www.freeserbia.org

Internationales Netzwerk der Frauen in Schwarz:http://wib.matirz.net

Jugoslawische Aktion: http://www.yuactiongroup.opennet.org

Sozialdemokratische Jugend: http://www.sdo.org.yu

 

 
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