Oldenburger STACHEL Ausgabe 10/99      Seite 16
 
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Thesen für ein neues Oldenburg

Agendabeirat legt Zwischenergebnis vor

Der Oldenburger Agenda-Prozeß trägt erste Früchte. Seit der Auftaktveranstaltung am 6. November 1998 haben sich rund 150 Oldenburgerinnen und Oldenburger in acht Themen-Arbeitsgruppen abgerackert, um das Etappenziel zu schaffen. Das Ergebnis ihrer Arbeit liegt nun mehr in gedruckter Form vor: Der jetzt veröffentlichte Zwischenbericht des Agendabeirates (ein Gremium, welches sich aus Vertretern der fünf Ratsfraktionen sowie der Bereiche Wirtschaft, Ökologie, Soziales und Wissenschaft/ UniOldenburg unter dem Vorsitz von Oberbürgermeister Dr. Jürgen Poeschel zusammengefunden hat) enthält als Essenz des Agenda-Prozesses sog. "Leitbildthesen für ein zukunftsfähiges Oldenburg". An diesen in den Arbeitsgruppen diskutierten Leitbildern - 3 bis 9 pro Arbeitsgruppe - sollen sich zukünftige Entscheidungen messen lassen.

150 von über 150 000 Oldenbürger/innen sind natürlich nur eine homöopathische Dosis im Verhältnis zur Gesamtheit. Und ihre Streuung über die verschiedenen Bevölkerungsgruppen dieser Stadt spiegelt, da die Mitarbeit in den Arbeitsgruppen nach Neigung und auf freiwilliger Basis erfolgte, höchstwahrscheinlich nicht die exakte Zusammensetzung der Oldenburger Einwohnerschaft wider. Dennoch sollten die erarbeiteten Leitbilder als Grundkonsens dessen angesehen werden, was in Oldenburg unter einer dauerhaft "nachhaltigen" Entwicklung im Sinne der Rio-Konferenz von 1992 verstanden werden kann.

Welche Inhalte werden nun in diesen Leitbildern herausgestellt? Wie sieht es mit der Verknüpfung von ökologischen und sozialen mit wirtschaftlichen Aspekten aus, die als Hauptmerkmal einer zukunftsfähigen Entwicklung im Sinne der Agenda 21 gilt?

Diese Fragen lassen sich am Besten an einigen Beispielen verdeutlichen.

So wird Oldenburg zukunftsfähig

Beispiel Nr. 1 wurde von der Arbeitsgruppe1 "Zukunftsfähige Lebensstile" formuliert:

- In einem zukunftsfähigen Oldenburg ist das Leben der Bürger/innen geprägt durch bewussten und ressourcenschonenden Konsum mit dem Motto "Gut leben statt viel haben". Sie identifizieren sich mit ihrer Stadt und Region und nutzen das reichhaltige Angebot an regionalen Produkten und Leistungen. -

Das Motto ist der Studie "Zukunftsfähiges Deutschland" vom BUND und MISEREOR entnommen. Es sollte nicht allzu wörtlich verstanden werden. Niemand wird erwarten, daß jetzt Millionäre ihren überflüssigen Reichtum zugunsten Bedürftiger und der "Entwicklungsländer" spenden (obwohl ihnen dies natürlich frei steht) oder sie für die Lösung sozialer und ökonomischer Ungleichgewichte hierzulande einsetzen - durch die Schaffung zukunftssicherer Arbeitsplätze beispielsweise. Aber erwartet wird schon, daß sie sich mit ihrer Region identifizieren, d.h. statt exotischer Früchte aus fernen Kontinenten lieber das Angebot an frischen Saisongemüsen vom Bauernmarkt konsumieren (und es muß nicht immer Kaviar sein, wenn Ammerländer Bauernmettwurst auch ganz gut schmeckt).

Dies Beispiel war eines von der einfacheren Sorte. Beispiel Nr. 2 ist dafür etwas komplizierter. Wir sind immer noch bei den "zukunftsfähigen Lebensstilen".

- In einem zukunftsfähigen Oldenburg wählen Bürger/innen ihre Transport- und Fortbewegungsmittel neben Komfortaspekten nach ökologischen und sozialen Aspekten aus. -

Was heißt hier ökologisch? Was heißt sozial?

Ökologische Aspekte - was das bedeutet, ist bekannt: Ein Auto, das auf 100 Kilometer 12 Liter superverbleiten Super-Kraftstoff säuft hat zukünftig keine Chance mehr - und wenn die Liegesitze noch so komfortabel sind und Geld für Benzin keine Rolle spielt.

Aber soziale Aspekte? Heißt das, ich darf nicht mehr mit den umweltfreundlichen V.W.G.-Bussen durch die Stadt fahren, weil diese ihre Busse von Subunternehmern anmietet, die wiederum ihre Busfahrer nicht anständig bezahlen (Sozialdumping, mit einem Wort)?

Dann muß ich also auch im Winter - unter Vernachlässigung sämtlicher Komfortaspekte - bei Schmuddelwetter mit dem Fahrrad zum Bahnhof fahren, um zur Arbeit zu kommen (auch wenn das Licht mal wieder versagt, was bei Schnee und Nässe öfter vorkommt). So also sieht agendagemäßes Verhalten in der Praxis aus?

Wie führt man Daseinsgrundfunktionen zusammen?

Nehmen wir noch ein drittes Beispiel, diesmal von der Arbeitsgruppe 2 "Stadtplanung und Fortbewegung". - Ein zukunftsfähiges Oldenburg hat lebendige Stadtteile. Die Daseinsgrundfunktionen Wohnen, Arbeiten, Bilden, Versorgen, Erholen, Spielen und Kommunikation werden zusammengeführt. Die Wohnkultur führt unterschiedliche Gruppen und Generationen zusammen. Stadtteilzentren fördern als Kommunikationsraum das bürgerliche Engagement. -

Sieben Daseinsgrundfunktionen zusammenzuführen (ganz zu schweigen von der achten, die unser Biologielehrer uns erklärt hat) - dieses Leitbild stellt uns vor eine nicht ganz leichte Aufgabe. Aber es gibt individuelle Lösungsstrategien für dieses Problem: Ich miete die Wohnung über meiner Stammkneipe, wo ich für drei Tage in der Woche einen Thekenjob annehme (Zusammenführen von Wohnen und Arbeiten), und wenn ich nicht arbeite, kann ich dort wahlweise meine übrigen fünf Daseinsgrundfunktionen erfüllen (Bilden ist dort allerdings nicht so angesagt wegen des Geräuschpegels, aber dafür habe ich ja meine Nebentätigkeit beim Oldenburger STACHEL !). Meiden muß ich auf jeden Fall die Einfamilienhaus-Siedlungen in den peripheren Stadtteilen. Dort gibt es außer der Funktion "Wohnen" nichts für mich zu tun.

Neue Formen der Mitgestaltung brauchen engagierte Bürger

Kommen wir zum letzten Beispiel für heute. Die Arbeitsgruppe 7 "Neue Formen der Mitgestaltung" hat es so formuliert: - In einem zukunftsfähigen Oldenburg sind die Bürger/innen kritisch und engagiert. Sie handeln beteiligungsfreudig, verbindlich und verantwortungsvoll. -

Solche Bürger wünschen wir vom STACHEL uns schon lange - sie wären als Mitarbeiter hoch willkommen. Es gibt sie zweifellos auch - aber leider viel zu wenige. Der Agenda-Prozeß soll das verändern, oder besser gesagt: er muß es verändern, denn hier liegt eine der Grundvoraussetzungen für das Gelingen dieses Prozesses. Deshalb ist der nächste nun anstehende Arbeitsschritt auf dem Weg zur Lokalen Agenda 21 in Oldenburg die Bestandsaufnahme, mit der die acht Arbeitsgruppen bereits begonnen haben.

Für die Bestandsaufnahme sind nach Aussage von Niko Paech vom Agendabüro auch neue Teilnehmer in den Arbeitsgruppen gerne gesehen. Ein Einstieg in den Agendaprozeß ist jetzt besonders günstig, da mit der Bestandsaufnahme ein neuer Arbeitsschritt in Angriff genommen werden soll. Deshalb unternimmt das Agendabüro zurzeit eine Tour durch die Stadtteile Oldenburgs, um den Dialog mit den gesellschaftlichen Gruppen vor Ort, den Bürgerinnen und Bürgern zu suchen.

Der Diskussionsprozeß - so steht es in dem Vorwort zum 1. Zwischenbericht des Agendabeirates - dient der Vorbereitung von verantwortlichen Entscheidungen im Rat der Stadt Oldenburg zur Entwicklung der Stadt und der lokalen Wahrnehmung von globalen Herausforderungen.

Die Herausforderungen müssen zunächst mal im Kleinen gemeistert werden. Am Besten geschieht das, wenn möglichst viele Bürger/innen die Leitbilder in ihrem Alltag einem Praxistest unterziehen. In diesem Sinne wünschen wir dem Agenda-Prozeß in Oldenburg ein gutes Gelingen.

tog

 

 
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