Oldenburger STACHEL Ausgabe 10/99      Seite 15
 
Inhalt dieser Ausgabe
 

Erde halt an, ich will aussteigen!

Der Selbstbetrug

Es fing schon sehr früh an, nach den Köpfen und den Vorstellungen der anderen zu leben. Ich versuchte, mein Leben so zu leben, wie andere Menschen meinten, wer ich bin oder sein sollte. Nur um zu gefallen, um gemocht zu werden und auch um aufzufallen, drehte ich mein eigenes Ich so oft wie die Fahne im Wind.

Das war nicht nur scheiße, sondern es machte mich unecht und unzufrieden. Am Ende sogar haßte ich mich selbst und versuchte, mein falsches Verhalten im Alkohol zu betäuben.

Es stimmt, daß ich eine echt beschissene Vergangenheit, Kindheit hatte. Verprügelt und vergewaltigt, als unerwünschtes Kind beiseite gelegt und schon sehr früh den Abschaum und Schmutz des Lebens erfahren. Erziehungsheime, über 7 Jahre Gefängnis, so schloß ich mit 26 Jahren einen Lebensabschnitt ab, der schlimmer als die vorstellbare Hölle auf Erden war.

Im Knast reifte mein Wunsch, eine Frau, Kinder, eine richtige Familie zu haben und somit meine verlorene Vergangenheit aufzuheben, vergessen zu können.

Aus dem Knast entlassen, mittellos, keine Zukunft vor den Augen so lernte ich eine Frau kennen, die, so weiß ich es heute, für mich nur ein Mittel dazu war, eigene Kinder zu haben und mein Fickbedürfnis zu stillen! Dieses war einer meiner größten Selbstbetrüge, die ich bewußt erfassen kann, und Auslöser dafür, daß eine eventuelle genetische Suchtvorbelastung zum Ausbruch kam.

Die Kinder sollten meine verlorene Kindheit, meine mit 26 Jahren vorhandene Vorstellung, was aus mir hätte werden können, nachträglich in Erfüllung bringen. Das war die schlechteste Basis dafür, den Kindern ein tauglicher Vater zu sein!

Ich überforderte die Kinder. Aus Frust darüber, und der Erkenntnis, daß 26 Jahre meines Lebens verloren waren, ich eine gleichgültige und dreckige Frau hatte - so wie es meine Mutter war - fing ich an, meine Probleme mit Alkohol zu betäuben. Dieses funktionierte auch am Anfang. Jedoch nahm die Menge des Alkoholverbrauchs drastisch zu und ich wurde mit oder durch Alkohol ein Mensch, der versuchte, durch agressives Verhalten, seine Wünsche zu stillen bzw. sein Leben zu meistern. Nüchtern versorgte ich die Kinder, den Haushalt und ging dazu noch arbeiten.

Besoffen jedoch entwickelte ich mich zur brutalen Sau, schlug und verprügelte die Kinder und die Frau, sorgte somit dafür, daß die Kinder keine Möglichkeit bekamen, einen vernünftigen Lebensweg zu beginnen. Da ich nicht täglich, sondern mich alle vier Wochen für zwei oder drei Tage dichtsoff' und ansonsten alles auf die Reihe bekam, hielt ich mich für einen sorgsamen und tollen Vater.

Daß ich aber besoffen ein brutaler Mensch bin, sah oder wollte ich nicht sehen, und zerstörte somit die Seelen meiner Kinder. Meine geschiedene Frau hatte alles verdient, nur nicht das, verprügelt zu werden.

Ich habe diese Frau nie geliebt und ich glaube auch kaum, daß ich meine Kinder liebte. Sie war nur Mittel meiner egoistischen Selbstsucht. So bin ich heute überzeugt, daß vieles im Leben geschehen kann. Doch Kinder und eine Frau zu schlagen, ist nicht nur die primitivste Art zu zeigen, daß ich selbst mit dem Leben nicht klarkomme und Hilfe brauche, sondern es ist auch die brutalste und feigste Art, seine eigenen Probleme "zu lösen".

Hallo Anita, die Kinder Thorsten, Tanja, Marco und Jennifer. Es tut mir leid!!!

Heute ist mir selbst klar, daß mein ganzes Suchen nur danach war und ist, gemocht und geliebt zu werden. Heute ist mir aber auch klar, daß ich dieses nicht um den Preis tue, daß ich mich selbst betrüge und nur ein Scheinbild meines eigenen Ichs zu sein.

Wenn ich etwas scheiße finde und einen Menschen nicht mag, dann sag' ich es und mir ist es wichtiger, einige wenige Freunde zu haben als eine Menge Scheinfreude, nur um das Gefühl zu haben, daß ich gemocht werde. Da bin ich doch lieber ein Kotzbrocken, der sich selbst mag und sich selbst treu bleibt.

Beschissen finde ich es, ein Alkoholiker zu sein und mit dem Nicht-Trinken (Saufen) habe ich noch eine Menge Probleme. Mir ist klar, daß ich nur trocken bleiben kann, wenn ich mich den Realitäten des Lebens stelle, mir die Tatsache vor Augen halte, daß ich mit Alkohol nicht umgehen kann, unter Alkoholeinfluß ein sehr brutaler Mensch bin und eine Gefahr für andere darstelle, und ich den täglichen Willen aufbringe, nicht zu trinken.

Nur so und nicht anders bin ich fähig, mich, mein Ich zu sein und zu leben.

Zuvor sei gesagt, daß ich mehrere Therapien gemacht habe und die letzte in Oldenburg, Fachkrankenhaus Oldenburger Land, Abteilung Ofener Str. 20. Dadurch bekam ich ein gutes Fundament, mein Leben realistischer zu leben.

Es ging zwar nicht ohne Therapie, jedoch ohne vernünftige Sozialkontakte danach, nutzt die beste Therapie nichts. In diesem Bereich klafft eine große Lücke im Therapieverlauf, denn es nutzt einem Suchtkranken Menschen nicht viel, wenn er eine Therapie macht und danach oftmals hoch verschuldet, ohne Arbeit, in das alte soziale Umfeld zurückkehrt, in die Gosse oftmals!

Hätte ich nicht die Möglichkeit gehabt, nach der Therapie in der Wohngemeinschaft des Caritas in Oldenburg zu leben und danach von Menschen aufgenommen und anerkannt zu werden, so hätte ich mich schon lange in den Tod gesoffen.

Ich hatte meine Rückfälle, doch ohne ein gutes soziales Umfeld, wären diese Rückfälle dramatisch verlaufen und ich wäre wie in meiner Vergangenheit in der Gosse gelandet!

Als Alkoholiker ist mir klar, daß es ein Weg ohne die Therapie kaum gibt. Doch noch wichtiger ist es, sein Denken zu verändern und als Beispiel nicht eine schlechte Kindheit dafür verantwortlich zu machen, daß ich heute Fehler mache, sondern die Verantwortung bei mir selbst zu suchen. Nicht meine Eltern oder andere Ereignisse aus der Vergangenheit tragen die Schuld daran.

Ich, Jürgen Saupe, schlage, verprügle, und bereite anderen Menschen seelischen Schmerz, wenn ich Alkohol trinke. Dafür trage ich die Verantwortung, weil ich nüchtern weiß, welch ein Ekel und gefährlicher Mensch ich bin, wenn ich besoffen bin. Suchtbewältigung fängt mit Ehrlichkeit an, sich selbst und anderen Menschen gegenüber. Ohne diese geht es nicht!

Jürgen Saupe

 

 
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