Ausgabe 5/99 | Seite 1 | |||||
NATO-Krieg: Was Jetzt?
Friedliche Lösung war möglich
Das erste Opfer des Krieges ist die Wahrheit. Diese Feststellung gilt für den Krieg im Kosovo leider wieder einmal in besonderem Maße. Die NATO-Staaten versuchen, die Öffentlichkeit glauben zu machen, daß sie eingegriffen hätten, um eine "humanitäre Katastrophe" im Kosovo zu stoppen. Dabei waren sie es, die diese menschen-gemachte Katastrophe erst ausgelöst haben. Denn der Angriff der NATO und der dadurch bedingte Abzug aller internationalen Beobachter hat der jugoslawischen Regierung erst ermöglicht, was sie wohl schon immer gerne getan hätte, nämlich die albanische Bevölkerung aus dem Kosovo zu vertreiben.
Eine friedliche Lösung wäre möglich gewesenDer jahrzehntealte Konflikt im Kosovo erreichte mit der Aufhebung der Autonomie des Kosovo 1989 durch Serbien eine neue Eskalationsstufe. Doch solange die Kosovo-Albaner sich mit gewaltfreien Mitteln gegen die serbische Gleichschaltung zur Wehr setzten, sah die "internationale Gemeinschaft" keinen Grund zu entschiedenem Eingreifen. Erst als sich eine bewaffnete Befreiungsarmee bildete, die Serbien im Frühjahr 1998 den langersehnten Grund zum militärischen Eingreifen im Kosovo lieferte, kam das Thema "Kosovo" auf die internationale Agenda. Chancen für eine friedliche Lösung des Konfliktes wurden damit verspielt. Und auch 1998 bis zum 24. März 1999 hätte es noch viele Chancen gegeben, den Konflikt mit friedlichen Mitteln zu bearbeiten. Hilfsangebote an beide Konfliktparteien, die Einberufung einer Balkan-Konferenz, Ausbau der OSZE-Mission usw. wären Möglichkeiten gewesen. Bei den Verhandlungen in Rambouillet Anfang 1999 entwickelte sich die Forderung der westlichen "Vermittler", unbedingt eine NATO-Truppe zur Friedenssicherung zu stationieren, in der zweiten Verhandlungsrunde zu einem (wenn auch nicht dem einzigen) Haupthindernis für eine Unterschrift Jugoslawiens. (Alternativen wie eine UN-Blauhelmtruppe oder die OSZE-Mission wurden zu diesem Zeitpunkt überhaupt nicht in Erwägung gezogen.)
Die NATO-Angriffe - eine KatastropheBis März 1999 gab es immer eine Standardbegründung, warum die westlichen Staaten sich nicht mehr im Kosovo engagierten und es vorzogen, den Kosovo-Konflikt als interne Angelegenheit Jugoslawiens zu: Die Gefahr einer Ausweitung des Konfliktes auf die Nachbarländer und -regionen. Genau dies hat die NATO jetzt in Kauf genommen. Montenegro steht kurz vor dem Bürgerkrieg - der Serbien-kritischen Regierung und der ihr treuen montenegrinischen Polizei steht die pro-Milosevic orientierte Armee gegenüber. In Makedonien nehmen die Spannungen zwischen Albanern, Makedoniern und Serben täglich zu. Und der Krieg der NATO gegen Jugoslawien hat verheerende Folgen für die innerjugoslawische Opposition (Parteien wie Nichtregierungsorganisationen und freie Medien), die sich Verboten und Repressionen ausgesetzt sehen. Zaghaften Hoffnungen auf eine Demokratisierung des Landes wurde damit wahrscheinlich für viele Jahre die Grundlage entzogen. In vergangenen Konflikten und Kriegen (z.B. Irak) hat die westliche Allianz gerne auf das Völkerrecht und die Menschenrechte als Legitimationsgrund für ihr Eingreifen verwiesen. Jetzt bricht sie es selbst; die NATO-Angriffe sind, was inzwischen auch von den meisten bürgerlichen Medien festgestellt wird, völkerrechtswidrig.
Was jetzt?Es ist schwierig, zum gegenwärtigen Zeitpunkt, an dem allein die militärische Logik dominiert, eine pazifistische Alternative zu formulieren. Klar scheint, daß Bombardierungen nicht die Offensive der jugoslawischen Armee im Kosovo stoppen können, zumal diese Armee seit über vierzig Jahren auf einen Krieg gegen einen technologisch überlegenen Gegner eingestellt ist. (Jugoslawien war Vorbild für all jene, die sich auch in Deutschland in den siebziger und achtziger Jahren für eine "Defensive Verteidigung" einsetzten.) Auch eine Besetzung des Kosovo durch Bodentruppen und seine Ausgliederung aus Jugoslawien als Protektorat, was innerhalb der militärischen Logik vielleicht das einzig sinnvolle militärische Vorgehen zu Beginn des Krieges gewesen wäre, verliert mit jedem Tag weiter an Sinn. Die Vertreibungen sind schon viel zu weit fortgeschritten und es scheint sogar, als ob das jugoslawische Militär jetzt Menschen an der Flucht hinderte, um sie als Geiseln für den Fall einer Invasion zu nehmen. Außerdem wissen wir spätestens seit dem Vietnam-Krieg, welches Risiko und welche möglichen Opferzahlen mit einer solchen Intervention verbunden sein können, ganz abgesehen von den Drohungen der als unberechenbar einzustufenden russischen Regierung. Ob die am 13. April gestartete Initiative, unter Vermittlung der UN und Rußlands Jugoslawien zu der Akzeptanz eines Protektorates im Kosovo zu gewinnen, erfolgreich sein wird, kann noch nicht festgestellt werden. Der Ansatz ist sicherlich begrüßenswert, weil er eine Rückkehr zur Politik darstellt. Aber welchen Grund sollte Jugoslawien eigentlich haben, hier zuzustimmen, solange in der NATO offen über die Möglichkeit einer Teilung des Kosovo als möglicher Kompromiß-Alternative geredet wird? Letzteres war das Modell, das serbische Nationalisten schon seit Ende der achtziger Jahre offen diskutierten. Daß es jetzt als "Kompromiß" gegenüber einer Vertreibung der Kosovarer aus dem ganzen Kosovo gehandelt wird, ist eigentlich sehr traurig, auch wenn es vielleicht als einziger Ausweg aus dem Krieg irgendwann übrig bleibt. Unabhängig von der Frage, ob bzw. zu welchem Zeitpunkt Vermittlungsbemühungen zu einem Waffenstillstand führen, sollten und ob die NATO sich bereit findet, ihre Angriffe zu beenden oder in einen Bodenkrieg übergeht, sollten: * Mindestens genauso viele finanzielle Mittel für die Flüchtlinge wie für den Militäreinsatz zur Verfügung gestellt werden. (Deutschland hat allein 400 Mio DM aus dem allgemeinen Bundeshaushalt für den NATO-Einsatz genommen, weil der Verteidigungshaushalt nicht ausreichte); * Ein umfassendes Konzept der Konfliktprävention für die Nachbarregionen erarbeitet und umgesetzt werden, um eine Ausweitung des Krieges z.B. auf Montenegro und Makedonien zu verhindern. Ein wichtiges Element dabei wäre sicherlich die Ermutigung dieser Länder, weitgehende Minderheitenrechte für alle ethnischen Minderheiten in ihren Grenzen zu verwirklichen; * Kriegsdienstverweigerern und Deserteuren aller Seiten (der jugoslawischen und der kosovo-albanischen) Asyl gewährt werden; * Ein wirtschaftliches Hilfsprogramm für die Bundesrepublik Jugoslawien gestartet werden, das es der jugoslawischen / serbischen Führung leichter machen könnte, sich im Falle Kosovo kompromißbereit zu zeigen.
Christine Schweitzer ist Geschäftsführerin beim Bund für Soziale Verteidigung (Minden/Westfalen) und Mitarbeiterin eines kleinen privaten Friedensforschungsinstituts (IFGK/Wahlenau).
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