Oldenburger STACHEL Ausgabe 4/99      Seite 1
 
Inhalt dieser Ausgabe
 

Die NATO im Krieg

Deutsche Tornados bombardieren Jugoslawien / Ethnische Säuberungen im Kosov@

Seit dem 24. März steht die NATO im Krieg - in einem Angriffskrieg. Zum ersten Mal seit 1945 töten auch deutsche Soldaten wieder. All das findet ohne das größere Proteste statt. In einer jahrelangen Salamitaktik wurde die Öffentlichkeit auf deutsche Kriegsbeteiligung vorbereitet, und der Konflikt, der Anlaß für den ersten Krieg der "neuen Bundeswehr" und der "neuen NATO" ist, wurde mit Bedacht gewählt. Die "ethnischen Säuberungen" durch die jugoslawische Regierung im Kosov@ und die "humanitäre Katastrophe" bilden den Hintergrund des Bruchs des Völkerrechts und der ersten Aufführung der neuen NATO-Strategie.

Nach fast drei Wochen Krieg und Bombardierungen Jugoslawiens ist von den angeblichen Kriegszielen der NATO nichts mehr übrig geblieben. Was wollte die NATO nicht alles durch ihre Bombardierungen erreichen: eine humanitäre Katastrophe sollte abgewendet werden, eine Ausweitung des Konfliktes auf den gesamten Balkan sollte verhindert werden, Milosevic sollte zur Unterschrift unter das Abkommen von Rambouillet "gebombt" werden, und das Kosov@ sollte Bestandteil der Bundesrepublik Jugoslawien mit einer allerdings sehr weitreichenden Autonomieregelung bleiben.

Heute ist nur zu deutlich, daß alle diese Ziele nicht erreicht wurden, und mittlerweile Makulatur sind. Die humanitäre Katastrophe ist da, seit Beginn der Bombardierungen sind zu den vorher schon knapp einer halben Million Flüchtlingen, die überwiegend innerhalb des Kosov@ geflohen waren, weitere 400.000 Flüchtlinge, überwiegend in die Nachbarländer, hinzugekommen. Nach Angaben des UN-Flüchtlingshilfswerks UNHCR haben seit Beginn der Bombardierungen 430.000 Flüchtlinge die Grenzen überquert - 262.000 nach Albanien, 120.000 nach Mazedonien, 36.700 nach Montenegro (International Herald Tribune, 7.4.99). Mittlerweile hat Jugoslawien nach der Verkündung eines einseitigen Waffenstillstands im Kosov@ über die orthodoxen Ostertage die Grenzen zu Albanien und Mazedonien geschlossen und schickt Flüchtlinge mittlerweile in den Kosov@ zurück (FR, 8.4.99).

Nach der ersten und zweiten Phase der Bombardierungen, bei der im wesentlichen militärische Einrichtungen Ziel waren (wobei "Nebenschäden" natürlich vorkommen: zu deutsch: die Ermordung von ZivilistInnen), ging die NATO in den letzten Tagen auch zur Bombardierung von zivilen Infrastruktureinrichtungen (Bahnhöfe und Brücken) sowie seit dem 7.4. auch zur Bombardierungen von jugoslawischen Truppen im Kosov@ über. Sowohl "Nebenschäden" als auch Tote unter den Soldaten werden damit rapide zunehmen; Tote jedoch, die für die NATO nicht zählen.

Es ist mehr als zynisch, wenn sich die NATO besorgt zeigt über die Berichte von Morden, Plünderungen und Einschüchterungen der Zivilbevölkerung. Und noch zynischer wird es, wenn ein Sprecher des Pentagon darauf verweist, daß brutale Aktivitäten stattfanden, bevor die NATO-Aktion anfing. Als hätte die NATO mit der Eskalation der Situation nichts zu tun, und als wäre nicht genau diese Eskalation vorhersehbar gewesen...

Die Entwicklung seit dem Herbst 1998

Es gehörten nicht gerade hellseherische Fähigkeiten dazu, eine erneute Eskalation des Konfliktes im Kosov@ vorherzusagen. Zu deutlich war, daß das Abkommen vom Oktober letzten Jahres keine Lösung für den Konflikt beinhaltete, und außerdem den Interessen aller Parteien langfristig zuwiderlief. Es ging lediglich darum, eine zeitweilige Lösung für den Winter zu finden, aus der nahezu alle Parteien für sich Vorteile ziehen konnten - außer vielleicht gewaltfreie Alternativen zu einem Krieg um den Kosov@.

So war es kein Wunder, daß nach dem (teilweisen) Rückzug der jugoslawischen Armee und der Spezialeinheiten der Polizei nach dem Abkommen die Kosova Befreiungsarmee (UÇK), die fast geschlagen schien, in die Dörfer zurückkehrte. Sie war zunächst eindeutige Gewinnerin des Abkommens und spielte ihre nun neu gewonnene politische Macht auch gegen die Demokratische Liga des Kosova (LDK) des im Untergrund gewählten "Präsidenten" Ibrahim Rugova aus. In einigen Dörfern wurden PolitikerInnen der LDK von UÇK-KämpferInnen festgenommen und teilweise erst Tage später wieder freigelassen.

Die BeobachterInnen der OSZE standen der Entwicklung im Kosov@ von Anfang an hilflos gegenüber. Ihr Auftrag war im wesentlichen, Menschenrechtsverletzungen zu "verifizieren", und so eilten sie von Schauplatz zu Schauplatz um die Opfer aufzunehmen. Für Vermittlungsversuche an der Basis, für konfliktdeeskalierende Maßnahmen fehlte ihnen die Ausbildung, und ob solche Versuche vor dem Hintergrund des immer über dem Kosov@ schwebenden Hammers eines NATO-Angriffs hätten Erfolg haben können, ist auch zweifelhaft. Trotzdem begann ihre Arbeit erste Früchte zu tragen, doch dann mußten sie (vielleicht gerade deshalb) den Bomben der NATO weichen.

Rambouillet: Dayton ließ sich nicht wiederholen

Schon der Prozeß um das Abkommen von Dayton 1995 war höchst zweifelhaft, und mehr noch waren es die Ergebnisse von Dayton. Es ist nicht falsch, Dayton als einen Grund für die militärische Eskalation im Kosov@ zu bezeichnen, denn für die Kosov@-AlbanerInnen war die wesentliche Lehre aus Dayton, daß Gewalt zu einem Einsatz der NATO führen würde. Trotzdem sollte Dayton nun im französischen Rambouillet wiederholt werden.

Doch was in Dayton funktionierte, funktionierte nicht in Rambouillet. Konnte es auch nicht, denn zu verschieden waren die Voraussetzungen. Während vor Dayton die bosnischen Serben gerade militärische Niederlagen erlitten und ihnen von Milosevic die Unterstützung entzogen worden war, somit also ein Interesse an einer Beendigung des Krieges vorhanden war, so gilt das für keine der Kriegsparteien im Kosov@.

Weder die jugoslawische Armee noch die UÇK sind derzeit militärisch geschlagen, und militärisch ist die Armee von der UÇK auch nicht zu besiegen - und umgekehrt gilt wohl das gleiche. Und während Milosevic sich durch Dayton seine eigene Machtposition innerhalb Jugoslawiens sichern und stärken konnte, so kann er ein Einlenken im Kosov@ nach Jahren nationalistischer Ausschlachtung des "Mythos Amselfeld" nicht ohne Schwächung der eigenen Machtposition hinnehmen. Die Wiege von Milosevic’s Macht steht im Kosov@, sein Aufstieg zum Vorsitzenden des damaligen Bundes der Kommunisten Serbiens war eng mit der Entrechtung der Kosov@-AlbanerInnen verbunden, und das ist nicht ohne Auswirkungen auf die aktuelle Situation.

Nicht wenige KommentatorInnen weisen darauf hin, daß Milosevic Bombenangriffe braucht, um den eigentlich schon verloren gegebenen Kosov@ abzugeben. In einer solchen Situation mit Bombenangriffen zu drohen, konnte nicht funktionieren. Die perverse Logik der Macht kalkulierte hier eiskalt ein Blutbad mit ein.

Die Luftlandebrigade 31 in Oldenburg - demnächst mit dabei?

Schon mehrfach waren auch Soldanten aus Oldenburg auf dem Balkan im Einsatz, bisher im Rahmen der SFOR-Truppen in Bosnien. Oldenburg ist Standort der "Luftlandebrigade 31", einer besonderen Kriegsführungstruppe der Bundeswehr, die in der Donnerschwee-Kaserne an der Kranbergstraße ihren Sitz hat.

Zur Luftlandebrigade 31 gehören die Fallschirmjägerbataillone 313 in Varel - vor einiger Zeit durch Nazi-Umtriebe in die Schlagzeilen geraten - und 314 in Oldenburg, in Bümmerstede. Außerdem gehört noch das Fallschirmpanzerabwehrbataillon 272 in Wildeshausen dazu. Alles bereits in Kroatien erprobte Truppen, und auch derzeit sind fünf Mitglieder der Luftlandebrigade 31 im Stab der Bundeswehrtruppen in Mazedonien - nah dran am Krieg.

Doch die Luftlandebrigade 31 ist nicht nur eine "nationale" Truppe. Sie ist Teil der NATO-Truppe "Multi-National Division - Central" oder MND-C; das ist die "Schnelle Eingreiftruppe" der NATO. Insgesamt 20.000 SoldatInnen aus Großbritannien, der Niederlande, Belgien und eben Deutschland, das mit insgesamt 5.600 Soldaten dabei ist. Das Einsatzziel dieser "Multi-National Division - Central" ist auf weltweite Militärinterventionen hin ausgerichtet, ganz im Sinne der "Neuen NATO" allzeit bereit.

Doch damit nicht genug. Das MND-C wiederum ist Teil einer größeren NATO-Einheit, das "Allied Command Europe Rapid Reaction Force", an dem 13 NATO-Staaten beteiligt sind. Dieser Truppenverbund ist innerhalb von 14 Tagen weltweit einsatzbereit, und führte auch bereits für die NATO-Truppen in Bosnien das Kommando - immerhin 50.000 Soldaten.

Und um den Katalog komplett zu machen: die Oldenburger Einheiten können auch ohne NATO im Rahmen der "Westeuropäischen Union" weltweit intervenieren. Sozusagen auf allen Ebenen weltweit bereit - national, westeuropäisch, transatlantisch!

Die militärische Logik schreit derzeit nach dem Einsatz von Bodentruppen, auch wenn die Politik das noch abstreitet. Und es ist durchaus eine Strategie Milosevic’s erkennbar, genau diesen Einsatz von Bodentruppen zu provozieren, denn dann wird es nicht ohne tote NATO-Soldaten abgehen, dann werden die Zinksärge in die NATO-Staaten zurücktransportiert werden. Sollte es dazu kommen, so ist die Wahrscheinlichkeit groß, daß "unsere" Oldenburger Truppen mit dabei sind. Denn schon jetzt sind die Kommandostrukturen dieser NATO-Einheit in Bosnien präsent, und vieles spricht dafür, daß dann von Oldenburger Einheiten nicht nur Dayton überwacht wird, sondern im Kosov@ gegen die jugoslawische Armee und paramilitärische Einheiten gekämpft wird.

Auswege?

Es ist schwer, in diesen Zeiten an Alternativen zu denken, zu klein und hilflos kommen sie einem vor, und durch den NATO-Angriff wurden sie weiter geschwächt. Doch letztlich liegt die einzige Hoffnung auf den kleinen antimilitaristischen, pazifistischen, feministischen und Menschenrechtsgruppen, die innerhalb Serbiens und im Kosov@ arbeiten - oder gearbeitet haben. Es ist fraglich, ob im Kosov@ von diesen kleinen Ansätzen auch nur Reste überbleiben, werden sie doch nicht nur Opfer des serbischen Terrors, sondern gerade dann, wenn sie für "Versöhnung" und das Zusammenleben von SerbInnen und Kosov@-AlbanerInnen eintraten auch Opfer von Einschüchterungen durch die UÇK. Das wird sich nicht gerade verbessern. Und in Serbien selbst? Hier gibt es immer noch zahlreiche Gruppen, und es bleibt zu hoffen, daß sie die nationalistisch noch weiter aufgehetzte Atmosphäre während und nach den Luftangriffen überleben, und das meine ich nicht nur metaphorisch, sondern ganz real und physisch. Bereits im September letzten Jahres gab es massive Lynchjustizdrohungen gegen die Frauen in Schwarz und andere Gruppen in Belgrad durch den Vizepremier Seselj. Doch sollten sie überleben, so ist ihre Lage mit Sicherheit nicht besser als vor dem Krieg. Seit den großen Demonstrationen vom Winter 1996/97 wurde die antimilitaristische Opposition als Folge der nationalistischen Verhetzung sowieso bereits wieder marginalisiert und um alle Hoffnung auf Veränderung beraubt. Vielleicht kann man zynisch sagen, daß es da eigentlich sowieso keine Verschlechterung mehr geben kann, doch so sicher bin ich mir da nicht...

Auf politischer Ebene werden sich neue Möglichkeiten nur durch einen Stopp der NATO-Bombardierungen auftun. Es ist klar, daß das Abkommen von Rambouillet mittlerweile Makulatur ist, weder wird sich Milosevic zu einer Unterschrift bomben lassen, noch ist die UÇK weiterhin bereit, dieses Abkommen zu akzeptieren.

NATO und EU sind als VermittlerInnen diskreditiert, sie sind Kriegspartei. Um so unwahrscheinlicher ist es, daß Jugoslawien eine NATO-geführte Truppe zur Überwachung eines wie auch immer gearteten Abkommens akzeptieren wird. Notwendig erscheint eine internationale Balkan-Konferenz, die unter Einbeziehung Rußlands nicht nur eine Lösung für das Kosov@ sucht, sondern für die gesamte Region unter Einbeziehung Bosniens, Mazedoniens, Kroatiens, Albaniens, etc... Auch das Schicksal der ebenfalls gut 600.000 serbischen Flüchtlinge aus der kroatischen Karajina und Ostslawonien und aus Bosnien-Herzegowina muß dabei eine Rolle spielen, denn Flüchtlingselend sollte nicht nach "guten" und "schlechten" Flüchtlingen sortiert werden.

Andreas Speck

Graswurzelgruppe Oldenburg

PS.: Am 27. Mai wird in Wildeshausen eine öffentliche Vereidigung von Soldaten der Luftlandebrigade 31 stattfinden. Eigentlich eine Sache, die nicht unbedingt ohne Protest über die Bühne gehen sollte. Bei Interesse meldet Euch bei der Graswurzelgruppe Oldenburg, Andreas Speck, Tel.: 0441/16765

 

 
  Differenzen zur gedruckten Fassung nicht auszuschließen. Dieser Text ist urheberrechtlich geschützt. Siehe auch Impressum dieser Ausgabe und Haupt-Impressum