Oldenburger STACHEL Ausgabe 2/99      Seite 2
 
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Initiative für ein Oldenburger Gesundheitshaus

Rund 16 Millionen Deutsche sind krank, obwohl sie "objektiv" betrachtet an keiner "Krankheit" leiden - so die Schätzung des Münchner Umweltmediziners Dr. Thomas Matschurat. Die Krankheitsbilder, unter denen demnach fast jeder fünfte Deutsche leidet, tragen seltsame Namen wie CFS (Chronisches Müdigkeitssyndrom), MCS (Multiple Chemikalien-Sensitivität) oder das "sick-building-syndrom", das bei Menschen auftritt, die sich in Neubauten aufhalten und dabei häufig über das Auftreten von unangenehmen Gerüchen klagen, die Übelkeit und Atemwegsreizungen her-vorrufen.

Letzteres spielte auch bei dem jüngst in Oldenburg bekannt gewordenen Fall im Schulzentrum am Flötenteich eine Rolle, wo sowohl Schüler als auch Lehrer über Beschwerden im Zusammenhang mit seltsamen Gerüchen klagten, deren Ursache auch durch Messungen des Bremer Umweltinstituts bislang nicht aufgeklärt werden konnte.

Typisches Kennzeichen: Kein Befund

Scheinbar unerklärliche Krankheitsbilder sind das typische Kennzeichen des "sick-building-syndrom". Insofern ist es für Dr. Ingo Harms vom Odenburger Energierat nicht überraschend, daß Messungen der Raumluft keine sachdienlichen Hinweise auf die Ursache der Beschwerden gebracht haben. Auch die Wahrscheinlichkeit, daß weitere Untersuchungen aufschlußreicher sein werden, hält er angesichts der Fülle der zu untersuchenden Möglichkeiten für eher gering. Die Tatsache, daß manche Menschen bereits bei ganz geringen Dosen synthetischer Stoffe körperliche Symptome zeigen, erschwert den Nachweis von Zusammenhängen. Die Beschwerden werden deshalb häufig als "psychisch" oder schlimmer noch als "Einbildung" abgetan oder wie Nervenleiden behandelt.

Initiative gegründet

In Oldenburg hat sich jetzt ein Kreis von Interessenten zusammengefunden, bestehend aus MCS-Patienten, Ärzten verschiedener Fachrichtungen und Heilpraktikern, denen der Oldenburger Energierat als vorläufige Kontaktadresse dient. Am 10. Februar 1999 lud die Initiative zur Pressekonferenz, um ihr Anliegen an die Öffentlichkeit zu bringen: die Schaffung eines Umwelt- und GesundheitsZentrums für MCS-Betroffene in Oldenburg.

Die Anzahl der von MCS Betroffenen in Oldenburg und Umgebung beläuft sich nach vorläufigem Kenntnisstand der Initiative auf ca. 100 PatientInnen. Das Umwelt- und Gesundheitszentrum soll ein Forum sein, wo Patient(inn)en, Mediziner(Innen) und Interessierte sich austauschen können, wo Informationen gesammelt und weitergegeben und eine Daten-Börse zu Fragen von Therapie, Diagnosen, Präzedenzfällen, Krankenkassen, Rechtsfragen und Beratungsmöglichkeiten eingerichtet, sowie Vorträge und Seminare abgehalten werden können. Ein "Gesundheitshaus", wo alle Informati-onen zusammenlaufen, ist nach Ansicht von Martin Hauschild, einem Betroffenen, von immenser Bedeutung für MCS-Patienten, denn gerade diese Personen bringen durch ihr Leiden nicht mehr die Energie auf, sich die notwendigen Informationen aus weit verstreuten Quellen mühsam zusammen zu suchen. Selbst Ärzte sind damit vielfach überfordert, solange sie alleine vor dem Problem stehen.

"Unspezifische" Symptome

Was genau ist nun MCS? MCS ist eine ungewöhnlich große Empfindlichkeit gegenüber Chemikalien, die unterschiedlich schwere, meist jedoch unspezifische und über einen längeren Zeitraum auftretende Gesundheitsstörungen hervorrufen kann. Die Patienten klagen z.B. über Geruchsempfindlichkeit, Übelkeit, Schwindel, Atemwegsprobleme, Knochen- und Gelenkschmerzen, Schwitzen, Augenschwellungen, Kopfschmerzen, Hautleiden, Verwirrtheit, Depressionen oder Kreislaufstörungen. Die Ärzte und Ärztinnen stehen oft ratlos vor dem Problem.

MCS - Die verkannte Krankheit

Eine verbreitete Einstellung gegenüber MCS ist, daß derartige Krankheitsbilder nur sehr selten aufträten, weshalb sich eine wissenschaftliche und politische Beschäftigung mit ihnen nicht lohne. Daraus resultiert auch eines der Hauptprobleme der davon Be-troffenen: die in Deutschland noch ausstehende Anerkennung der Umwelterkrankungen als Krankheitsgruppe.

Im Unterschied dazu werden die Beschwerden in den USA seit Jahren als das anerkannt, was sie tatsächlich sind: Eine Krankheit, die jedefrau/jedermann jederzeit treffen kann. Das Beispiel des Schulzentrums am Flötenteich zeigt, daß solche Vorkommnisse so ungewöhnlich nicht sind. Auch über andere, ähnliche Fälle wurde in Oldenburg in den letzten Jahren berichtet und es ist zu vermuten, daß es andere gab, über die nichts in der Zeitung stand. Auch die Weltgesundheitsorganisation WHO geht mittlerweile davon aus, daß Langzeiterkrankungen, die auf Umweltschadstoffe zurückgehen und immer öfter bis zur Arbeitsunfähigkeit führen, sich weltweit auf dem Vormarsch befinden.

Es gibt zu wenig Kliniken

Was hierzulande fehlt, ist die notwendige Infrastruktur, um MCS-Patienten angemessen versorgen zu können, beispielsweise sog. Rein-lufträume, die Patienten erst einen beschwerdefreien Aufenthalt ermöglichen. Eine der wenigen Kliniken, die diese Mindestanforderungen in Deutschland erfüllt ist die Wasserschloßklinik Neuharlingersiel. Diese Reha-Klinik hat sich auf Umweltkrankheiten wie Neurodermitis und MCS spezialisiert. Die Oldenburger Initiative für ein Umwelt-und Gesundheitszentrum hat diese Klinik kürzlich besucht und zeigte sich beeindruckt von den fortgeschrittenen Diagnoseverfahren und Therapiemöglichkeiten. Seitdem steht für sie außer Frage, daß Umweltkliniken in Zukunft unentbehrlich sein werden. Ihre Forderung für Oldenburg lautet, einen schadstofffreien Raum - oder besser noch ein Haus - als Treffpunkt für ein regionales Umwelt- und Gesundheitszentrum, außerdem mehr verfügbare Akutbetten und Behandlungsplätze für MCS-Patienten.

Auch die Krankenkassen sind gefordert

Außerdem müßten sich die Krankenkassen den neuen Therapieformen öffnen und die Kosten der Behandlung übernehmen., denn noch müßten die meisten Patienten die Kosten selbst tragen oder ungeeignete Therapien über sich ergehen lassen. Anträge auf finanzielle Hilfe, so Martin Hauschild als Betroffener, seien mit einem solchen bürokratischen Aufwand verbunden, daß die Patienten zu nichts anderem mehr kämen.

Zum Ende der Pressekonferenz wies Ingo Harms noch einmal darauf hin, daß die MCS-Betroffenen auf eine breite Unterstützung angewiesen seien: "MCS-Patienten können nicht selber auf die Straße gehen", sagte er. "Sie benötigen Verbündete."

Wer weitere Informationen wünscht oder der Initiative beitreten möchte, kann sich täglich von 9-16 Uhr an den Oldenburger Energierat wenden.

Telefon (0441)52333, Fax (0441)592585.

tog

 

 
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