Ausgabe 1/99 | Seite 4 | |||||
Zwischenlagerung als Ausstiegs-Chance?Seit dem faktischen Stopp der Castor-Transporte, der übrigens nicht von den Behörden verhängt wurde, sondern auf das Unvermögen der Betreiber zurückgeht, unverstrahlte Transporte zu garantieren, suchen eben jene fieberhaft nach einem Ausweg aus ihrem Dilemma. Dieses besteht in dem Entsorgungsnachweis, der dann entfällt, wenn eine ordnungsgemäße Lagerung bestrahlten Kernbrennstoffs nicht mehr gewährleistet ist. Das geschieht, sobald die Abklingbecken an den AKW-Standorten voll sind. Bei einigen ist das sehr bald der Fall, andere haben noch ein wenig Luft. Aus dieser Misere wird der Atomindustrie nun ausgerechnet, wie es scheint, von der ach so ausstiegswilligen rotgrünen Bundesregierung herausgeholfen. Denn sie schlägt der Atomindustrie vor, an den Standorten neue Zwischenlager zu bauen, genauer: dezentrale Brennelementzwischenlager. Das wären 15 Anlagen jener Art, gegen die die Umwelt- und Antiatombewegung in Gorleben und Arhaus seit Jahren Sturm läuft. Wenn sich dies nun auch noch mit einem Ausstiegs-Szenario verbindet, wie es dem Kanzler vorschwebt, dann könnten die Atomkraftwerke ohne viel Transporte und damit wesentlich ungeschorener als bisher noch zwanzig oder dreißig Jahre weiterbetrieben werden. Am Beispiel Lingen kann man zeigen, daß dieses AKW, das kürzlich ein Zwischenlager beantragte, mit der darin vorgesehenen Kapazität gut und gern vierzig Jahre am Netz bleibt. Bekanntlich sind die Vorstellungen Schröders von einer "Auslauffrist" für Atomkraftwerke weit großzügiger als die der Betreiber. Mit ihren abgeschriebenen und längst amortisierten AKWs hatten sie sich kaum noch einige Jahre des Weiterbetriebs im nächsten Jahrtausend ausgerechnet - Schröder würde ihnen mindestens noch dreißig schenken. Zwischenlager können nur dann einen Sinn haben, wenn sie den Ausstieg beschleunigen und dabei an den Standorten kein höheres Strahlenpotential erzeugen. Das ist nur dann gegeben, wenn die Reaktoren abgeschaltet und die Abklingbecken in diese Zwischenlager entleert werden. Die Naßlagerung in den Abklingbecken ist gefährlicher als die Trockenlagerung per Castorbehälter im Zwischenlager. Das darf jedoch nicht so mißverstanden werden, daß Zwischenlager ungefährlich seien. Wirklich ungefährlich ist keinerlei Atomanlage. Man kann unter den gegebenen Umständen, die uns die Atomindustrie und die wechselnden Bundesregierungen aufgehalst haben und an sich eine ausweglose Hypothek sind, lediglich versuchen, eine Hierarchie der Gefahrenstufen aufzustellen, um auf dieser Grundlage seine politischen Entscheidungen zu fällen. Die Mindestvoraussetzung jeder dieser Überlegungen muß für die Bundesregierung und kann für die Umwelt und die Menschen nur das Abschalten sein. Mit jedem Tag des Betriebes werden zusätzliche Strahlenlasten geschaffen, die für die nächsten Jahrtausende sicher verschlossen werden müssen. Diese Aufgabe ist schon heute unlösbar, sie wird es umso mehr, je mehr zusätzlichen Atommüll es gibt. Die Gruppe Ökologie, ein Expertenteam aus Hannover, befürwortet Zwischenlager für den Fall des sofortigen, geordneten Ausstiegs. Das heißt schnellstmöglich und nur dann, "wenn dafür kurzfristig der Reaktorbetrieb eingestellt und mittelfristig das Lagerbecken am Reaktor entleert wird", wie der Physiker Wolfgang Neumann betont. Sicher ist auch dieser Vorschlag diskussionswürdig, und sicher werden manche verlangen: Ausstieg ohne Wenn und Aber. Dem wäre zu entgegnen, daß bei Castor- und auch künftig zu entwickelnden Behältern für bestrahlten Kernbrennstoff das Risiko durch äußere Kontamination und durch Unfälle größer sei als dezentrale Zwischenlager. In dieser verzweifelten Diskussion kann niemand wirklich richtig liegen. Zu verfahren ist die Lage, in die uns die Atomwirtschaft gebracht hat. Ob wir wollen oder nicht - Atommüll wird für uns und unsere Nachkommen ein monströses Problem bleiben, technisch wie gesellschaftlich. Wir können nur hoffen, dem bei Reaktorbetrieb jederzeit möglichen Kernschmelzunfall zu entgehen. Deshalb: Abschalten und aussteigen, und zwar sofort. imh
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