Oldenburger STACHEL Ausgabe 1/99      Seite 13
 
Inhalt dieser Ausgabe
 

Von Rauchschwalben, Rauchschwaden und anderen Exoten im "welthaus"

Nach den detaillierten Reisebeschreibungen eines gewissen Abenteurers mit Namen Hinrich, die er anno 98 niederschrieb und dem mehr oder weniger durchrauchtem Publikum zuteil kommen ließ, war ich wohl ein wenig naiv: ich schenkte seinen Worten Glauben und machte mich auf den Weg.

"Verqualmte Bude", "kinderfreie Zone" und "Rauchschwaden im Laden" versprach er mir. Na super!, dachte ich mir nämlich, das fehlt doch in Oldenburg völlig. Ein Raum, in dem sich die vom Aussterben bedrohten letzten Exemplare der Gattung Homo sapiens quarzus zurückziehen können und auch nicht genötigt werden, dem neu aufkommenden Trend zum Familienglück zu Dritt ansichtig zu werden.

Kaum hatte ich den mit blumigen Worten verzierten Bericht gelesen, galoppierte meine Fantasie rauch schon von dannen. Mit dem Auto vorfahrend, die gerade aufgerauchte Kippe eben noch schnell in den eh schon überfüllten Ascher gepreßt und sich auf dem höchstens 20 Meter langen Weg vom Wagen zum "rauchhaus" die nächste ansteckend, nahm ich das Café nun zum ersten Mal so richtig wahr. Was ich bisher im Vorbeirau(s)chen immer für Milchglasscheiben gehalten hatte, war in Wirklichkeit Rauch! Und die Vögel, die das Haus ständig umkreisen zu schienen, entpuppten sich bei näherem Hinsehen nicht als Raubmöwen, sondern als Rauchschwalben.

Um in das Café reinzukommen, mußte ich die Tür kräftig aufziehen, was leider zur Folge hatte, daß die Rauchkonzentration sich durch die unverzüglich eintretende Sogwirkung um einige mg/cm³ verringte. Schlecht konstruiert, dachte ich mir noch. Dann mußte ich ersteinmal den bösen Blicken der rauchenden Masse standhalten. Mein selbstgedrehtes Rauchelement im Mundwinkel beruhigte die Gemüter jedoch sogleich. Rauch war eben unter sich!

Vage nahm ich den Tresen zu meiner Linken wahr. Dahinter: eine Frau? Ein Mann? "Irgendetwas" rauchhaariges, aschblondes auf jeden Fall. Ich bestellte mit der mir eigenen rauchiger Stimme ein Bier, ein richtiges Bier. Ein Rauchbier, dieses leckere dunkle Gesöff aus dem verschlafenen bayrischen Bamberg. Die schichtschiebende Person, es war übrigens ein Mann, wie ich nun erkennen konnte, reichte mir das Glas mit ihren gelben, tabakverkrusteten Fingern rüber. Am Glas blieb davon aber nichts kleben. Ich sah mich um, mit Tränen in den Augen. Das gesamte Design war in den verschiedensten rauchfarbigen Abstufungen gestaltet, als Theke dienten Rauchfäser, die Rauchfasertapeten waren dezent lasiert, an den Wänden hingen, hinter Rauchglas, rauch-weiße Fotografien berühmter Raucher und Raucherinnen: Winnetou, Edith P(i)aff, Marx & Engels, Bakunin, Popocatepetl, Mount Helena, Jim Knopf (rauchte ohne Tabak in der Pfeife), Lukas (mit Tabak in der Pfeife) & Emma (mit Brennstoff im Kessel), Konstantin Wecker (obwohl der eigentlich nicht ganz hier her gehörte, war er doch des öfters so verschnieft, daß er gar nicht rauchen konnte...).

Die Speisekarte pries, soweit ich sie entziffern konnte, für heute eine total leckere Spezialität aus Bad Rauchingen an: Räucheraal mit Bratkartoffeln und `n Glas Küstennebel für 19,90 DM. Am Tisch zu meiner Rechten saß ein Pärchen und ließ es sich gutgehen: er aß eine große Portion Rauchfleisch, sie war schon fertig und trank ihren schwarzen Rauchtee. Am Nebentisch rauchte es auch. Und damit meine ich nicht, daß er und sie gewohnheitsmäßig den Rauch von verbrennenden Tabak in Mund und Lungen einzogen...

Aus den Boxen dröhnte gerade die Titelmusik zu "Rauchende Colts". Längst vergessenen Erinnerungen kamen wider an die rauche Oberfläche... Fast wäre ich auf einen dieser kleinformatigen Rauchhaardackel getreten, der plötzlich aus dem Nichts aufrauchte. Ich hab keinen blauen Dunst, wo der so schnell herkam.

Schemenhaft erkannte ich die Treppe ins versprochene Kaufparadies. Ich folgte den Schwaden in den Laden. Trieb sozusagen auf einer Wolke von Rauch dahin. Oben dufteten mir die Räucherstäbchen entgegen, aufgestellt in herzallerliebsten Räucherstäbchenhalter aus rauchigem Speckstein. Ein derber Hauch von Moschus lag in der Luft, konkurrierte fast aussichtlos mit dem Duft von Freiheit, Abenteuer und Selbstgedrehten.

Zu meinen Füßen röchelte etwas. Ich bückte mich, um besser zu sehen. Ein Kind! Kaum dem Krabbelstadium entwachsen. Sieh an, sieh an. Hat sich bestimmt verlaufen, der arme Wurm. Zwischen all den Gebrauchswaren aus aller Welt. Aber bevor ich allzu viel Mitleid mit ihm und seiner wohl völlig überlasteten, noch im Wachstum befindlichen organischen Klimaanlage bekam, fiel mir wieder ein, daß ich ja eigentlich diese wackelig-torkelnden, sabbernden, quengelnden, alles anfassenden Zeitgenossen, mit denen rauch nicht einmal ordentlich kommunizieren kann, ja überhaupt nicht riechen kann. Geschieht ihm also ganz recht. Was kommt es auch ins "rauchhaus". Weiß doch jedes Kind: kein Platz für Kinder, Ex-Raucherinnen und andere Spaßfeinde. Ein Plätzchen also, so richtig zum rauchfühlen.

Doch dann der Schock: ich kam aus dem Kino (rauchfrei) - sie zeigten den Westernklassiker "Viel Rauch um Nichts" -, lief durch die City (angesichts der Größe des Universums: rauchfrei) und ging ins "tierra". Angesichts der Kleine des Raumes: RAUCHFREI! Ich konnte jeder Person bis tief in die Augen schauen - manchen noch tiefer - und konnte es nicht fassen. Entrüstet beschwerte ich mich beim Personal und verließ die Lokalität. Den Laden rauchzugehen, ersparte ich mir!

Aber: ich gab ihnen noch eine Chance. Rauch ist ja kein Unmensch. Ich wartete rauchend und ungeduldig zwei Wochen ab und ging nochmal hin. Unangemeldet natürlich. Sonst hätten die ja alles arrangieren können, so mit geliehenen Rauchpublikum, Nebelmaschinen, Rauchduft aus der Sprühdose oder sonstigen Finten. Nee, nicht mit mir. Ich also unangemeldet da hin. Und: wieder nicht nur kein Qualm, diesmal haben die auch noch ihre Kinder mitgebracht! Den Gang nach oben in den Laden mit den Schwaden brauchte ich auch diesmal nicht in Erwägung zu ziehen. Wird schon kein Rauch da sein.

Es sei denn... Es sei denn, sie hätten in der Zwischenzeit eine Filteranlage eingebaut, die systematisch die externen Rauchschwaden aufsaugt, sie physikalisch-chemisch verdichtet und mit geballter Energie ober wieder ausspuckt. Nur: keine Eisenhütte in Oldenburg, kein Kohlekraftwerk mit schwefelhaltigen Rauchfahnen, Peguform ist rauch weit weg und die letzte Dampf-&Raucheisenbahn ist schon vor Tagen eingeschrottet worden. Und die paar Autos, deretwegen Oldenburg meint, sich Großstadt nennen zu dürfen, dürften den Rauch auch nicht fett machen.

Geknickt verließ ich also das "welthaus". Was hätten wir hier rau(s)chende Feste feiern können, Aber so? Bin ich also nur den Fantastereien eines unbekannten Reiseführers erlegen. Dieses einst so ehrenwerte Brauchtum ist auch nicht mehr das, was es mal war. Es hätte so schön werden können, dachte ich noch, zündete mir eine an und trotte von dannen, Richtung nach Hause. Ihr wißt schon, Rauchehorst...

ingo, welthaus

 

 
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