Ausgabe 7/98 | Seite 4 | |||||
Amerikanische Vollbeschäftigung winkt!
Mit großer Hoffnung begrüßte die NWZ die Eröffnung einer neuen Zeitarbeitsfirma in Oldenburg. Wie in den Niederlanden soll auch hier durch Zeitarbeit Arbeitslosigkeit abgebaut werden. Als Traumziel wird immer wieder die "Vollbeschäftigung" in den USA genannt, wo es gelungen sei, durch "konsequente Liberalisierung" des Arbeitsmarktes die "Beschäftigungsprobleme" zu lösen. Es lohnt sich, dieses Phänomen genauer anzugucken. Zuert einmal stellt sich die Frage, was unter "Beschäftigung" oder Arbeitslosigkeit verstanden wird. Als "beschäftigt" gilt in den USA auch die Person, welche kleinere Jobs ausführt, die ihre Existenz nicht sichern können. Wenn jemand vier Stunden in der Woche jobbt, taucht er oder sie nicht mehr in der Arbeitslosenstatistik auf. Ähnliches gilt für Großbritannien.
Unter-beschäftigungswunderWo früher Vollarbeitsplätze ein ausreichendes Einkommen garantierten, sind diese heute durch in räumlich, zeitlich und vertraglich flexible Teilzeitarbeiten ersetzt worden. Sie verteilen sich auf mehr Personen als früher und so entsteht das "Beschäftigungswunde r" ohne ein reales Mehr an Arbeit. Die "Beschäftigten" wiederum sind trotz mehrerer Jobs ständig unterbeschäftigt und können den Lebensunterhalt kaum verdienen. Bei neun Mark die Stunde liegt derzeit der reale Mindestlohn in den USA. Das amerikanische "Beschäftigungswunder" bedeutet heute 50 Prozent dauerhafte sozialrechtlich abgesicherte Normarbeitsplätze und 50 Prozent Teilzeitler, versicherungsfrei, immer einsetzbar, oft in der Form von Scheinselbständigkeiten.
Versicherungsfrei und TeilzeitAuch in Deutschland ist diese Entwicklung der Teilzeitarbeit bereits weit fortgeschritten. Noch Anfang der siebziger Jahre standen einem Nicht-Normbeschäftigten fünf Normbeschäftigte gegenüber. Anfang der achtziger Jahre lag das Verhältnis bei eins zu vier, Mitte der achtziger Jahre bereits eins zu drei, Mitte der neunziger bei eins zu zwei. Setzt sich dieser Trend wie zu erwarten fort, wird das Verhältnis in fünfzehn Jahren bei eins zu eins liegen. Nach Angaben des DBG entspricht der Arbeitsumfang, der jährlich in versicherungsfreier Beschäftigung in Deutschland erbracht wird, inzwischen dem Aerbeitsvolumen von mehr als fünf Millionen Vollbeschäftigten. Immer mehr Unternehmen drücken durch den Einsatz von "Illegalen", Scheinselbständigen und 620-DM-Kräften ihre Personalkosten. So gehen den Sozialkassen jährlich mehr als 100 Milliarden Mark verloren, die bei den Firmen zum großen Teil als "Haben" wieder auftauchen. Nach amtlichen Zahlen hat sich die sozialversicherungsfreie geringfügige Beschäftigung seit Anfang der achtziger Jahre von fünf auf dreizehn Prozent aller Arbeitsverhältnisse erhöht. Nach einer Untersuchung der Bundesregierung gab es 1997 ca. 5,6 Mio. Fälle von geringfügiger Beschäftigung. Vor allem Frauen sind gezwungen, diese Tätigkeiten auszuüben.
Schein-selbständigNach DGB-Angaben sind zusätzlich rund eine Million Menschen in Deutschland gezwungen, in der Grauzone zwischen abhängiger Beschäftigung und Selbständigkeit zu arbeiten, weil viele Tätigkeiten nur noch auf auf dieser Grundlage vergeben werden würden. Dazu gehörten Dozenten in Weiterbildungseinri chtungen ebenso wie "Regalpflegerinnen", die Regale in SB-Läden auffüllen. Das Durchschnittseinkommen solcher "abhängig Selbständigen" liegt nach DGB-Untersuchungen zwischen durchschnittlich 2 000 und 3 000 DM brutto. Da sie selber alle Versicherungskoste n übernehmen müssen, liegt ihr Einkommen oft unter der Sozialhilfegrenze.
Sozialhilfe-LohnDoch Hilfe ist in Sicht! Der Bundestag hat sich gerade für die Einführung eines "Kombilohnes" ausgesprochen. Dabei können SozialhilfeempfängerInnen, die an einem neuen Arbeitsplatz Lohn in einer Höhe unter dem Sozialhilfesatz erhalten, staatliche Zuschüsse beantragen, die diese Differenz ausgleichen. Diese Regelung wird den Druck auf Arbeitslose erhöhen, Arbeit unter jeder Bedingung anzunehmen. Die Firmen wird' s freuen, sind doch so noch nierigere Entgelte durchsetzbar. Gleichzeitig äußern sich immer mehr Politiker nach dem Prinzip "Wer als Armer nicht arbeitet, soll auch nicht essen"; sie fordern, wer "ohne wichtigen Grund" eine gering bezahlte Arbeit ausschlage, der müsse mit Kürzung oder Streichung der Sozialhilfe rechnen. Das war die eigentliche Botschaft des Spargeleinsatzes für "deutsche Arbeitslose". Der Liberale Solms kommentierte das so: "Wer die Hilfe der Solidargemeinschaf t in Anspruch nimmt, muß auf der anderen Seite auch bereit sein, zumutbare Gegenleistungen zu erbringen." Zwangsarbeit oder Hunger für Dauerarbeitslose? So stellen sich die meisten Deutschen das "Beschäftigungswunder" wohl nicht vor.
GewinnerWo es Schatten gibt, ist auch Licht. Es soll nicht verschwiegen werden, daß es auch Gewinner bei der beschriebenen Entwicklung gibt. Die Börsenwerte vieler großer Firmen steigen seit Jahren explosionsartig. Während sie aber die "Hilfe der Solidargemeinschaft" in Form von Straßen und öffentlichen Einrichtungen durchaus in Anspruch nehmen und die in Schulen und Universitäten ausgebildeten Fachkräfte für sich arbeiten lassen, zahlen sie immer weniger Steuern bei immer höheren Einkommen. Hauptsächlich Manager, Führungskräfte und sehr gut qualifizierte Angestellte profitieren von diesem Trend. Ein Blick in die USA zeigt, wohin das führt. Die einkommensreichen 20 Prozent Beschäftigten der Staaten New York, New Jersey und Pensylvania verdienen durchschnittlich fünfmal soviel wie das untere Fünftel. Jedem Manager mit einem Jahreseinkommen von 100 000 Dollar steht ein Vollzeitbeschäftigter mit 20 000 Dollar pro Jahr gegenüber. Hat dieser eine Frau, die nichts verdient, und zwei Kinder, liegt der Haushalt unter der Armutsgrenze. Der Zugang zu diesen "oberen zwanzig Prozent" regelt sich zum großen Teil über die Ausbildung. Nach einer Studie des Conference Board haben technologischer Fortschritt, die Abhängigkeit von Computern und die moderne Telekommunikation zu einer "Ausbildungsprämie " geführt. So erhöhe heute jedes zusätzliche Jahr an Berufs- und Fachausbildung das über eine Karriere erzielte Einkommen um gut zehn Prozent, vor zwanzig Jahren lag die Zahl bei knapp sechs Prozent. Der Bericht stellt sogar einen direkten Zusammenhang zwischen der Klassengröße im Gymnasium und der späteren Produktivität im Berufsleben fest. In den Staaten des Mittleren Westens, wo auf einen Lehrer nur 16 Schüler entfallen, gebe es mehr Chancengleichheit. Dort ist auch das Einkommensgefälle geringer als etwa in Kalifornien, wo jeder Gymnasiallehrer 24 Schüler zu betreuen hat. Unabhängig von diesen konkreten Zahlen scheint eins deutlich zu werden: Individuell gesehen verhindert am ehesten eine gute Ausbildung ein langfristiges Absinken in Arbeitslosigkeit. Flexibler Arbeitsmarkt und zwangsweise herbeigeführte Arbeit sichern nicht die Zukunft der meisten Beschäftigten und Arbeitslosen. Sie verteilen nur den Mangel auf noch größere Teile der Bevölkerung und erhöhen den Reichtum einer kleinen Schicht. achim
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