Ausgabe 7/98 | Seite 1 | |||||
Kosov@ - Krieg oder Frieden
Heuchler aller Seiten, vereinigt Euch...NATO-Truppen stehen in Albanien und Mazedonien an der Grenze zur"Republik Jugoslawien", sprich zu Serbien. Eigentlich würde man jaauch gerne im Kosov@ (1) auf die eine oder andere Artintervenieren (2), doch noch sträubt sich Rußland. Derweil vertreibenund ermorden serbische Polizei und Militärs Kosov@-AlbanerInnen,doch auch die Kämpfer/Terroristen (je nach Sichtweise) der UÇK(Kosova Befreiungsarmee) vertreiben und ermorden die serbischeMinderheit im Kosov@. Auf der Strecke bleiben Frieden undWahrheit, nationalistische Hetze und Heuchelei gewinnen dieOberhand.
Kosov@ - ein neues Bosnien?Medien und Militärs - aber auch InterventionistInnen vonbündnisgrün bis schwarz - warnen derzeit gerne vor einem neuenBosnien, das drohen würde, wenn der Westen nicht militärischeingreifen würde - selbstverständlich gegen das böse Serbien,personifiziert durch Milosevic. Doch der Vergleich hinkt, und wennan dem Vergleich überhaupt etwas stimmt, dann ist es die Art undWeise, wie hier von interessierte Weise Tatsachen einseitig undinteressegeleitet ausgelegt werden. Schon in Bosnien diente dasmilitärische Eingreifen letztlich der Durchsetzung und Absicherungnationalistischer Kriegserfolge. Die bosnischen SerbInnen wurdenmilitärisch etwas zurechtgestutzt, die moslemisch- kroatischeFöderation (ein Zwangsföderation auf Druck der USA) etwasunterstützt, und letztlich mit dem Zwangsvertrag von Dayton dienationalistische Politik aller Seiten in einen fragilen neuenStatus Quo gegossen. Damals interessierte die Situation imKosovÄB1Ü@ niemanden, obwohl die albanische Mehrheit auch damalsschon unterdrückt war und sich mit gewaltfreiem Widerstand wehrte. Die UÇK - Konsequenz des Dayton-Vertrages und der Nichtbeachtunggewaltfreien Widerstands Die UÇK begann ihre ersten Aktivitäten Anfang 1996, doch erst seitEnde 1997 tritt sie öffentlich in Erscheinung. Das rapide Wachstumder UÇK in nur wenigen Monaten hat wohl im wesentlichen zweiUrsachen: Erstens reagiert Milosevic wie so viele Regierungschef vor ihm aufdie bewaffnete "Befreiungsarmee" mit stärkerer Unterdrückung undder Entsendung von Polizei und Militär. Durch die Dezimierung undVertreibung der Bevölkerung - der Unterstützungsbasis der UÇK -versucht er den bewaffneten Kampf auszutrocknen. Wie so viele vorihm Muß auch Milosevic derzeit die Erfahrung machen, daß er so dieKosov@-AlbanerInnen in die Armee der UÇK treibt. Zweitens erleben die Kosov@-AlbanerInnen durch die Zunahme derbewaffneten Auseinandersetzungen derzeit eine internationaleAufmerksamkeit (und Unterstützung), die ihnen während dervorangegangenen acht Jahre gewaltlosen Widerstandes nichtbeschienen war. Der Aufbau von parallelen Institutionen imUntergrund, so z.B. illegaler Wahlen (bereits zweimal) und einesSchulsystems mit über 300.000 SchülerInnen, waren der NATO keineSilbe wert, während ein paar Gewehre auf Seiten der Kosov@- AlbanerInnen "plötzlich" zu Interventionsdrohungen an die AdresseBelgrads führen. Kein Wunder, daß die Kosov@-AlbanerInnen zu denWaffen greifen, eine noch direktere Belohnung für Gewalt kann eskaum noch geben. Nationalismus auf beiden Seiten Die serbische Bedrohung der kosov@-albanischenBevölkerungsmehrheit (90 %) soll hier nicht geleugnet werden. DieSchließung von Schulen und Universitäten für Kosov@-AlbanerInnen,eine Arbeitslosenquote von 70 %, und die Beschneidung jeglicherpolitischer Mitbestimmungsrechte sprechen für sich. Dennoch istdie Situation so einfach nicht. Die Nationalismen beider Seitenheizen sich gegenseitig an. Selbst der gewaltfreie Widerstand unter Führung von Rugova,fälschlicherweise der albanische Gandhi genannt, war imwesentlichen nationalistisch geprägt. Ging es bei den erstenProtesten gegen die Abschaffung des Autonomiestatuts in den 90erJahren noch um demokratische Werte, und wurde dabei auch diepartriarchale Tradition der Gesellschaft des Kosova in Fragegestellt, so hat der Nationalismus mittlerweile fortschrittlicheInhalte verdrängt und - selbst innerhalb des gewaltfreienWiderstands - patriarchale Rollen wieder gestärkt. Selbst Kontaktezur serbischen Opposition sind nicht gern gesehen, und eineVerständigung zwischen den SerbInnen und den Kosov@-AlbanerInnenim Kosov@ ist weiter entfernt denn je. Während im Kosov@ sich UÇK und serbische Einheiten Gefächteliefern und beide Bevölkerungsgruppen in die Flucht getriebenwerden, nutzt Milosevic in Serbien selbst die Auseinandersetzungum den Kosov@ für eine neue nationalistische Mobilisierung. Dieserbische Opposition, noch vor einem Jahr als kurz vor dem Erfolgstehend betrachtet, wird dadurch erneut marginalisiert,nationalistische Tendenzen in der Opposition werden erneutgefördert. Nicht-nationalistische Gruppen wie z.B. die Frauen inSchwarz in Belgrad finden sich erneut im gesellschaftlichenAbseits wieder. Schotten dicht: der EU geht es nicht um Kosov@, sondern um Schutzvor Flüchtlingen Mittlerweile wird deutlich, worum es EU-PolitikerInnen bei dem Rufnach einer militärischen Intervention wirklich geht: um den Schutzder Festung Europa vor Flüchtlingen aus dem Kosov@. Während Bayerntrotz der Eskalation der Gewalt noch AlbanerInnen nach Belgradabschiebt, fordert Berlins Bürgermeister von Innenminister Kanther"schärfere Grenzkontrollen". Eine zynische Politik, die deutlichwerden läßt, daß es um alles mögliche geht, nur nicht um dieMenschen des Kosov@. Eine militärische Präsenz an den Grenzen desKosov@ böte da doch die optimale Möglichkeit, Flüchtlinge nochfrüher abzufangen und in Lagern vor Ort zu internieren (manerinnere sich an UN-Truppen in Sarajevo, die von Deserteuren 1.000DM oder mehr für eine Ausreise verlangten). Der Konflikt im Kosov@ zeigt wieder einmal, daß das Denken inNationalität und Staatlichkeit zwangsläufig zu Gewalt führt. ObAutonomiestatut oder Eigenstaatlichkeit spielt hierbei letztlichkeine Rolle, die Trennung der Bevölkerung anhand nationalistischerZuordnung (hier: SerbInnen, dort: AlbanerInnen) wird durch beideLösungen zementiert werden. Berücksichtigt man zusätzlich noch diealbanische Minderheit im Nachbarstaat Mazedonien und denNationalstaat Albanien selbst, so wird die explosive Situation inder Region noch deutlicher. Notwendig ist es, über Lösungen nachzudenken, die nationalistischeund staatliche Denkblockaden auflösen und überwinden. NATO- Militärs sind dazu mit Sicherheit nicht in der Lage... Notwendigist dagegen eine Stärkung der wenigen nicht-nationalistischenGruppen in der gesamten Region, um so nationalistischeGrenzziehungen zu überwinden. Andreas Speck Anmerkung: (1) im serbischen wird die Region Kosovo genannt, im albanischenKosova. Die Schreibweise "Kosov@" (oder auch "Kosovo/a") versucht,beiden Seiten gerecht zu werden. (2) Anm. der Stachel-online-Redaktion: In dem zugelieferten Text fehlen leider viele Leerzeichen - in der Online-Ausgabe verzichteten wir auf das aufwendige Einfügen der fehlenden.
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