Oldenburger STACHEL Ausgabe 11/97      Seite 4
 
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Wissen, was der Nachbar macht

Unter dem Motto "Über Grenzen hinweg - Agenda 21 kommunal" fand am 13. Oktober eine deutsch-niederländische Tagung im Oldenburger PFL statt. Etwa 150 Interessierte aus entwicklungs- und umweltpolitischen Nichtregierungsorganisationen (NGOs), Politik und Verwaltung kamen, um Ideen, Beispiele und Anregungen auszutauschen.

Das leise Gemurmel im PFL-Foyer kündigt an: Hier ist was los! Und richtig, auf den Fluren werden gerade die letzten Vorbereitungen für die Info-Stände verschiedenster umwelt- und entwicklungspolitischer Initiativen getroffen, im großen Saal sichern sich die ersten TeilnehmerInnen die besten Plätze, eine dichte Traube von Interessierten steht um den Anmeldungsstand und im Café schlürfen einige ihren - wohl nicht "fair" gehandelten - Kaffee...

Eingeladen von dem Verband Entwicklungspolitik Niedersachsen (VEN), dem Verein Niedersächsische Bildungsinitiativen (VNB) und der "Neue Hanse Interregio (NHI)", wollte diese "Fachtagung aufzeigen, wie eng internationale Fragen und 'Dritte Welt'-Themen mit Kommunalpolitik verknüpft sind" (Faltblatt der VeranstalterInnen). Und sie sollte dazu beitragen, "die entwicklungspolitischen Aspekte der Agenda mehr in den Mittelpunkt zu stellen", wie es Jochen Gerdes von der NHI formulierte.

"Über Grenzen hinweg"

An die 150 Interessierte, darunter gut vierzig aus den niederländischen Nachbarprovinzen Groningen, Fryslân, Drenthe und Overijssel, fanden sich schließlich zusammen und diskutierten in drei Workshops. Eine Diskussion im herkömmlichen Sinne von argumentativen Wortgefechten fand jedoch nicht statt, war aber wohl auch weder erwünscht noch gefragt. Wichtig war den TeilnehmerInnen vor allem der Informations- und Erfahrungsaustausch. Interkommunal, interregional und international.

Kein Problem mit der Agenda?

Leider blieb dieser Austausch, zumindestens im Workshop "Dritte Welt - (k)ein Thema für Kommunen" recht oberflächlich - und das lag nicht nur an der recht knapp bemessenen Zeit. So malte Margret Poggemeier, städtische Mitarbeiterin im "Büro für kommunale Entwicklungszusammenarbeit - KEZ" der Stadt Osnabrück, zwar den Aufbauprozeß einer lokalen Agenda für Osnabrück in den schillernsten Farben, ließ sich aber bei den Schwierigkeiten, Problemen und Nachteilen nicht in die Karten schauen. Fragen in diese Richtung wurden nur vage bis ausweichend beantwortet. Schade eigentlich, denn gerade dies sind die spannenden Bereiche eines Lernprozesses. Schließlich kann ein solcher erst dann als gelungen angesehen werden, wenn insbesondere die Mißgeschicke weitergegeben werden und so den anderen, neuen Aktiven die Möglichkeit gegeben wird, aus gemachten Fehlern zu lernen. Und das mensch nicht alle Fehler selber machen muß, ist mittlwerweile ja nun auch ein alter Hut...

Und auch die niederländischen Gäste Tineke van der Schoor, NGO-Vertreterin aus Groningen, und Jaap Jeepma, Koordinator des Agenda-Service-Büros Groningen, konnten mit wenig Konkretem aufwarten. So wurden leider nur Allgemeinplätze unter Gleichgesinnten ausgetaucht.

"Wenn’s denn nichts kostet, machen auch wir was für die Agenda!"

Auf diesen schlichten Nenner läßt sich das Grußwort von Oldenburgs Oberbürgermeister Jürgen Poeschel bringen. Viel sprach er von der " Zäsur im kommunalpolitischen Denken und Handeln", von dem Formulieren von "Leitbildern für nachhaltige Entwicklung", von "dem festen Ratswillen, dies in den nächsten drei Jahren" auch zu schaffen. Allein: Oldenburg stecke, so Poeschel, in seiner "größten Haushaltskrise". Er freue sich daher zwar über Form und Inhalt einer lokalen Agenda auch für Oldenburg, doch angesichts der leeren Stadtkassen, könne nur gemacht werden, "was kein Geld kostet."

Dem widersprach der Leiter des Bremer Landesamtes für Entwicklungszusammenarbeit, Gunther Hilliges, in seinem Referat vehement: "Finanzielle Engpässe sind kein zusätzliches Problem, sondern eine Herausforderung, intelligente Lösungen zu suchen." Einsparungen in den Sparten Verkehr, Energie, Abfall oder Trinkwasser etwa sieht er als mögliche Agenda-Aktivitäten an, die "ökonomisch attraktiv" werden könnten. Ob und wie dies in Bremen gelungen ist, ließ er allerdings offen.

"Mit den Regierenden oder kraftvoll gegen sie!"

Hilliges plädiert für ein konsequentes Umsetzen der Agenda 21, "mit den Regierenden oder kraftvoll gegen sie." Und mißt den Kommunen und den NGOs eine besondere Rolle innerhalb dieses "gemeinsamen Such- und Lernprozesses" bei. Sie stehen für ihn als Wegweiser einer "demokratischen Zivilgesellschaft" dar, als treibende Kraft, die einen Wertewandel an der Basis bewirken kann. "Die NGOs agieren allerdings noch am Rande der Gesellschaft, werden kaum wahrgenommen. Und auch die Gemeinden sind isoliert und häufig gar nicht oder nur schwach in nationale und internationale Netze eingebunden", stellt Hilliges fest. Hinzu käme, daß besonders in den Industrienationen die Agenda 21 auf ein Umweltprogramm reduziert sei. In fast allen deutschen Städten sind die Agenda-Prozesse an die örtlichen Umweltschutzämter angebunden. "Kommunale Entwicklungszusammenarbeit spielt selten eine Rolle", beklagt Hilliges.

Am meisten scheint ihn dabei zu ärgern, daß das "europäische Industrialisierungsmodell" in den 70er und 80er Jahren die Chance hatte, durch "deutliche Kurskorrekturen in Richtung nachhaltige Entwicklung zu einem weltweiten Vorbild zu werden:" Doch unter "der Dominanz des Ost-West-Konflikts wurde diese Chance und mindestens 20 wichtige Jahre internationaler Entwicklungsdiskussion verspielt!" Sagt Hilliges.

"Wenn wir kein Verständnis für die Probleme der Entwicklungsländer haben,..."

...warum sollten sie für unsere Umweltfragen Verständnis haben?", fragt sich der Kommissar der Königin der Provinz Groningen, Hans Alders. Der Kommissar, vom Status her vergleichbar mit hiesigen "Landesvätern" und "-müttern", plädiert daher im Rahmen des Agenda-Prozesses, so er denn gelingen solle, für eine "Offenheit ohne Bevormundung", die Aktiven sollten "Erfahrungen anerkennen, Widerstände aufzeigen und Erfolge benennen". Und die Datenautobahn. benutzen.

Ab auf die (Daten-) Autobahn!

Eine Agenda ohne Internet kann sich Alders kaum vorstellen: einen weltweiten Gedankenpool mit Ideen wünscht er sich, und erscheinen diese auch noch so unrealisierbar. "Denn", so der Kommissar weiter, "man weiß ja nie, was daraus alles werden kann!" Schnell wird klar: dieser Mann ist bei der Sache. Ein Verfechter der Agenda. Ein Illusionär mit Pragmatismus.

"Laßt uns viele Frösche sein!"

Und mit einem Vortragsstil, der auch schon mal ins Pathetische abgleitet. Wie sonst ist es zu erklären, daß er sein Publikum geradezu aufforderte, demjenigen Frosch nachzueifern, der in einen Milchbottich fiel und nur deshalb die Nacht überleben konnte, da er wie wild im Milchsee strampelte, diesen dadurch zu einem Butterberg werden ließ, ihn nun leichtfüßig erklimmen und so seinem Schicksal noch einmal entkommen konnte.

"Bleiben Sie hartnäckig!"

Auch Heidrun Alm-Merk, die niedersächsiche Ministerin der Justiz und für Europaangelegenheiten, bediente sich in ihrem Eingangsreferat mehrfach bildlich-blumiger Redewendungen. Sie sprach vom Stand der Agenda-Dinge in Niedersachsen, wagte einen neidischen Blick auf unser westliches Nachbarland, hob die Bedeutung der entwicklungspolitisch orientierten Informations- und Bildungsarbeit für die Agenda hervor und bekundete dem Publikum mehrfach ihre eigene Ungeduld. Das machte sie zwar sympathisch, brachte aber wenig neue Erkenntnisse. Nichtdestotrotz gab es für ihre engagiert gehaltene Rede - und für ihr "Bleiben Sie hartnäckig!", das die Ministerin ihren ZuhörerInnen mit auf den Weg gab -, reichlich Applaus.

Die selbstverpflichtende Tagungserklärung

Alle Anwesenden waren sich einig: Die Lokale Agenda ist und muß mehr sein als nur Umweltschutz. Dies verdeutlich auch die "Tagungserklärung", in der es heißt: "Sie Ädie TeilnehmerInnen, d.A.Ü stimmen überein, daß Agenda-Prozesse nicht allein umweltbezogen diskutiert werden können. (...) Die Initiativen und NGOs sollten ihre Kompetenz und Erfahrung in entwicklungspolitischen Fragestellungen aktiv in lokale Agenda-Prozesse einbringen und sich dafür einsetzen, daß sozialer Ausgleich zwischen Nord und Süd Bestandteil für lokale Aktionsprogramme für nachhaltige Entwicklung wird."

Eine Erklärung, die sich in erster Linie an die TeilnehmerInnen selbst wendet. Klare Forderungen in Richtung Politik und Verwaltung bleiben verständlicherweise aus: zu unterschiedlich war dafür die Zusammensetzung der Tagung.

Bleibt die Frage:

"Rio + 5 = Lokale Agenda 21?"

Mag sein, daß mein Anspruch an eine solche Fachtagung zu hoch ist, aber ein wenig mehr Substanz hätte ihr sicherlich gut gestanden. Statements und Absichtserklärungen gibt es im politischen Alltag schon genug.

Dennoch: Es ist löblich, eine der wenigen Agenda-Tagungen mit einem deutlichen entwicklungspolitischen Schwerpunkt zu veranstalten. Es ist auch ein löblicher Versuch, den Agenda-Prozeß nicht nur auf lokaler Ebene voranzubringen, sondern ihn auch auf (inter-) regionaler Ebene anzugehen. Und weiter zu verfolgen. "Lieber in die Augen schauen, als Rücken an Rücken stehen" - dieser Ausspruch von Alders zeigt dabei die Richtung an.

Was auffiel: Auf der Tagung wäre weniger manchmal mehr gewesen. Weniger Eingangsreferate - mehr Zeit für die Workshops; weniger geleitende PolitikerInnenworte - mehr Worte untereinander; weniger werbemäßige Selbstdarstellungen - mehr handlungsorientiertes Diskutieren.

Aber was nicht ist, kann ja noch werden...

Marco Klemmt


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