Oldenburger STACHEL Ausgabe 11/97      Seite 6
 
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5000 wollen rasen - 500 sollen zahlen

Stadt kündigt Ausbau der Rauhehorst an

Wieder einmal wollen die Stadtverwaltung und der Rat die Oldenburger ungefragt für eine schlechte Verkehrspolitik büßen lassen. Die Rauhehorst, vielberaste und unsichere Verkehrslinie zwischen den nordwestlichen Stadtteilen und der City, soll im kommenden Jahr großzügig ausgebaut werden. weil es eine Satzung zuläßt, will die Stadt fast alle Kosten von knapp 3Mio. DM dafür bei den Anwohnern dieser einen Straße eintreiben. Sie und die Bauplaner sind sich einig, daß der Straßenzustand verbessert werden muß. Streit liegt in der Luft; darüber, wie die Straße nachher aussehen soll. Und vor allem: Wer soll was bezahlen?

Vom Feldweg zum Highway off limit

Zur Jahrhundertwende sah es noch aus wie in den ländlichen Teilen des heutigen Ohmstedes: Eine Allee großer Eichen, beiderseitig Gräben und ein paar Bauern. In den 30ern entstanden ein Dutzend Siedlungshäuschen als "Kriegsheimstätten" und für Kinderreiche Familien. Die Nebenstraßen waren Feldwege. Noch vor 20 Jahren wäre die Rauhehorst eher eine Ausfallstraße ins Blaue gewesen, würde nicht der Fliegerhorst davor gelegen haben. Noch heute begrenzen stellenweise die alten Eichen, Wassergräben und Grünstreifen die Weite der Straße und der gegenüberliegenden Grundstücke. Eine Weide mit Schnucken und Pferden läßt den Blick weitergehen, eine ökologische Gärtnerei lädt zum Besuch ein. Scheinbare Ruhe und Beschaulichkeit unweit der City, wenn Gott wollte.

Seit den 70ern wurden einst großzügige Grundstücke immer mehr geteilt. Am Straßenrand, an Nebenstraßen, in Seitengassen und Hintergrundstücken wuchsen die Einzelhäuser und Bungalows ins Zahllose; sieben Mehrfamilienhäuser gibt es inzwischen auch. Mittlerweile hat der Stadtteil 4000 Haushalte. Die wenigsten Grundstücke sind größer als 600qm. Kinder sind nur selten zu sehen.

Schildbürgers Verkehrsplanung

Eine Ernsthafte und koordinierte Verkehrs- und Stadtplanung hat es in vielen Bereichen Oldenburgs nie gegeben. So sind zahlreiche Straßen entstanden, die nur provisorisch ausgebaut und instandgehalten wurden. Dieses Verfahren war für beide Interessensseiten der Verkehrs- und Finanzpolitik der bequemste Weg.

Normalerweise müssen Anlieger für Straßenbauten Beiträge zahlen. Wird eine im Neubaugebiet angelegt, haben die späteren Anwohner bis zu 90% der Kosten zu tragen. Wird eine Straße erst später ausgebaut, haben die Bürger die Chance, mit bis zu 30% der Kosten davonzukommen, während die Hauptlast die Kommune trägt.

Wie viele andere Ausfallstraßen der weiten Stadtgebiete mußte auch die Rauhehorst in Jahrzehnten zunehmend mehr leisten.

"Stachus im reinen Wohngebiet"

(Ein Anwohner)

Die Rauhehorst bietet eine freie Sicht auf fast zwei Kilometern. Die einzige Ampel, unweit der Babenend-Schule, stoppt erst auf Knopfdruck den Verkehr. Für diese Anlage haben die Anwohner fast 15 Jahre gekämpft; zum Glück brauchte es keine Präzedenz- Unfälle.

Daß man über diese Strecke geradewegs und ohne "unnötigen" Aufenthalt in die City und wieder herausfindet, wissen auch tausende von Pendlern der angrenzenden Stadtteile und Gemeinden im Nordwesten Oldenburgs. Die frühere Idylle ist zweimal täglich für zwei Stunden ins unerträgliche Gegenteil verkehrt. Geschwindigkeiten von bis zu 70km/h, auch bei LKWs, und Gehupe ergänzen das Auf und Ab des Lärms. Nachts kennen viele Durchfahrer gar keine Hemmungen mehr. Diese übermäßige Nutzung als zeitsparende Alternative zur Alexanderstraße hat die Asphaltdecke sehr abgenutzt. Das erhöht die Fahrgeräusche und das Lastengerumpele; hält aber niemanden davon ab, die besseren Paralellen zu nutzen.

Für nicht motorisierte Bewegungen ist die Strecke nicht bedenkenlos und frei nutzbar. Die unbeleuchtete Westseite hat keinen baulich abgetrennten Weg: Ein weißer Strich, von allen Fahrzeugen ignoriert, deutet einen Fußweg an. Auf ihm wagen sich allenfalls Radfahrer stadteinwärts. Die Ostseite müssen sich Fußgänger und Räder auf einem streckenweise nur einen Meter breiten Weg teilen. Die Straßenbauordnung schreibt an sich 1,5 Meter für Rad- und 2 Meter für Fußwege vor. Zur Straße werden diese Verkehrsteilnehmer stadtauswärts auf einigen hundert Metern durch einen breiten Graben geschützt oder, an seiner Statt, durch Parkflächen. (Um sie streiten sich die Anwohner, die oft mehrere Autos pro Haushalt, aber kaum Stellplätze haben, obwohl auf den vorderen Grundstücken Platz dafür wäre.)

Schon Ende der 70er Jahre erkannte die Stadt die gewachsene Bedeutung der Rauhehorst. Sie wurde ins sogenannte Vorbehalte-Netz der Straßen einbezogen, was bei zukünftigen Straßenausbauten ihre Wichtigkeit betonen sollte. Jedoch geschah außer der Einrichtung einer Buslinie erstmal gar nichts, bis Anfang der 90er Jahre. Es blieb eine "Schlumpp-Straße" wie die vielen anderen, die Oldenburgs Verkehrspolitik widerspiegeln.

Viele Anwohner fürchten den wachsenden Verkehr seit langem. Schon vor 20 Jahren fanden sich Stadtteil- und Anwohnergemeinschaften, die der Stadt ihre Bitte vortrugen. Am größten ist die Angst um die älteren Anwohner und die Kinder zweier Schulen im Stadtteil. Der einundsiebzigjährige Manfred Meiners, seit seiner Geburt in der Rauhehorst wohnend, erzählt, die Stadt habe 1978 versprochen, die Straße "innerhalb von zwei Jahren" auszubauen. Zum Glück seien nur zwei Menschen in einen Graben gefallen in den letzten Jahren. Er und seine Nachbarn verrohrten daraufhin auf eigene Faust und Kosten vor ihren Grundstücken, was die Ämter erst zu verhindern suchten.

Wende nach der Wende

Die weltpolitische Neuordnung änderte auch die Zukunft der Straße. Der Kriegerhorst verlor seine einstige "Wichtigkeit". Damit erlangten seine und die angrenzenden Flächen neues Interesse als künftiges Gewerbegebiet und Bauland. Am westlichen Brookweg, auf dem die Rauhehorst endet, wurde eine weitere Berufsschule geplant und neues Bauland für noch mehr Einfamilienhäuser ausgewiesen. Inzwischen entschlossen sich sogar solche Erlauchtigsten wie der Ex-Stadt-Chef Wandscher, sich im hinteren Bügerfelde niederzulassen, gleich am eigens verkleinerten Naturschutzgebiet. Künftige Erschließungsbeiträge für die Rauhehorst, die schnellste Verbindung in der Stadt, beträfen diese Siedler nicht, obwohl sie nur um die Ecke wohnen wollen.

Mittlerweile sind die jahrelangen Gerüchte zum Ausbau zu einem gemeinsamen Tatendrang in Parteien, Stadtverwaltung und bei den Anwohnern gewachsen. Die Stadt ließ durchsickern, daß Ende 1998 mit dem Ausbau begonnen werden soll.

Was soll geschehen?

Die unterschiedlichen Erwartungen und Verhalten haben indes neue Fragen aufgeworfen und eine politische Debatte entfacht. Viele Bürger fürchten, über den Tisch gezogen zu werden. Sie haben nämlich inzwischen erfahren, daß sie aufgrund der "Erschließungsbeitragssatzung" die hohen Kosten fast alleine tragen sollen. Konkret haben sie mit etwa 40DM/qm Grundstück an Vorleistungen zu rechnen. Die insgesamt 2,8 Mio. will die Stadt wie immer im Voraus haben. Rechtlich ist sie dazu in der Lage. Das Verfahren ist seit Jahren vielerorts üblich. Das gewünschte Geld ist sogar schon in den kommenden Haushaltsentwurf eingeplant.

Die Bewohner wissen freilich noch nicht, was sie dafür im Gegenzug tatsächlich für eine Straße erhalten werden. Die Straße dürfte ihr heutiges Bild komplett verlieren. Die Fahrbahn soll, laut Anwohnervertreter, auf 6,5 Meter verbreitert werden. Dazu kommen beidseitig jeweils drei Meter für Rad- und Fußweg. Das ist nicht möglich, ohne sämtliche Grünstreifen und Gräben einzuebnen; wahrscheinlich müssen etwa ein Dutzend große Bäume von bis zu einem Meter Stammdurchmesser fallen. Ein Ausgleich für die Wohnqualität ist den Anwohnern nicht in Sicht. niemand weiß, welche Neubegrünungen geplant sind, zumal viele Teile ihrer Grundstücke opfern müssen, die eigentlich der Stadt gehören und bisher in die Vorgärten einbezogen wurden. Ferner scheinen die Sicherheitswünsche weiterhin unbedeutend, denn Ampeln und Zebrastreifen seien nicht vorgesehen.

Einige Anwohner wissen freilich von den umweltproblematischen Folgen von Straßenbau und -ausbau, gerade auch vor ihren Haustüren. Die meisten sind allerdings bereit, ihr Opfer zu liefern. Wenn es ihnen mehr Sicherheit böte. Doch dies ist noch fraglich.

Finanzpolitik und Interessen der Stadt

Niemand will hingegen die drohende ungerechte Vorauszahlung. Seit diese zur Diskussion steht, hat sich eine Anwohner-Initiative gebildet. Sie will gegen diesen Stadtplan kämpfen.

Das städtische Presseamt verspricht, es sei keine Ungerechtigkeit, weil die Anwohner die Mittel in der Vergangenheit sparen konnten. Das Geld sei vorhanden und die Rauhehorst keine Hauptverkehrsstraße, also müsse voll gezahlt werden.

Unterstützung bekam die Initiative bisher nur von zwei Parteien: Von der Linken Liste (Olli) und der PDS. Sie luden am 3.11. zu einer Versammlung, zu der fast ein Viertel der Anwohner erschienen. Zunächst kritisierte Ratsmitglied Reinhold Kühnrich (Olli), wie die Stadtverwaltung und der Rat regelmäßig Verkehrs-, Finanz- und Stadtplanung möglichst an den Bürgern vorbei und zu deren Ungunsten betreibe. Seiner Ansicht nach versuche die Stadt, mit den Vorleistungen zum Ausbau der Rauhehorst zunächst den maroden Finanzhaushalt zu entlasten. Den 2,8 Mio. DM stünden nur 500000DM an Investitionsausgaben gegenüber.

Über die NWZ hatte die Verwaltung zwei Tage vor der Versammlung verlautbaren lassen, diese Aussage sei falsch. Denn die Stadt habe mit 2,3 Mio. DM "Verpflichtungsermächtigung" 72000DM an Mehrausgaben. Wozu sie sich verpflichtet, ließen die zehn Zeilen offen. Auf meine Nachfrage meinte Stadt-Sprecher Krogmann, das Geld sei nicht Teil des Haushaltsplanes, aber die Stadt wolle sich zu einer Ausgabe-Möglichkeit verpflichten.

Adler und Kühnrich warnten zwar vor Zahlenspekulationen als Holger Brock von der Anwohner-Initiative von bis zu 40000DM pro 1000 qm sprach. Hans-Henning Adler (PDS) erklärte aber den derzeitigen Rechtsvorteil der Stadt. Die Anwohner sollten deshalb um eine - auch in der kommunalen Satzung vorgesehene - Ausnahmemöglichkeit kämpfen, die die Kosten auf möglichst alle anderen städtischen Nutzer abwälzen helfe.

Über die drohende Ungerechtigkeit und schlimmere Beispiele der Stadtpolitik waren viele Anwesende so empört, daß im Saal, trotz größtenteils eher kleinbürgerlichem Milieu des Viertels, vereinzelt ziemlich revolutionäre Töne zu hören waren. Die meisten hoffen hingegen auf das Funktionieren "demokratischer Prinzipien" angesichts dessen, daß die Vertreter aller übrigen Parteien in vorherigen Versammlungen und Gesprächen angeblich nichts von den Plänen zur Rauhehorst gewußt haben wollen und erstaunt seien.

Ein möglicher Ausweg

Öffentlich haben sich bisher kaum weitere Ratsvertreter geäußert. Sind sich die Parteien und die Verwaltung im Stillen längst einig darüber, wie der Ausbau möglichst zum finanziellen Vorteil der Stadt auf den stehenden Finanz- und Bauausschußsitzungen beschlossen werden kann?

Die Fraktion Kühnrich/Adler hat deshalb einen Ratzantrag vorbereitet, den sie auch den Anwohnern der Rauhehorst als kurzfristiges Ziel empfiehlt: Wenn die Kommune durch Ratsbeschluß eine provisorische Straße wegen ihrer Verkehrsbedeutung dem "Vorbehaltsnetz" zuordnet, soll diese als endgültig erschlossen gelten. Den Anliegern könnten damit die Erschließungsbeiträge gemindert werden. Stattdessen träte nämlich die "Straßenausbaubeitragssatzung" in Kraft. Die Satzung zur Erschließung lasse solche abweichenden Regelungen zu. Die Fraktion begründet es als "sozial unausgereift", wenn einige Haushalte "aus eigenen Mitteln ein Verkehrsproblem der Stadt mitfinanzieren". Es sei nicht gerechtfertigt, vergangene Planungssünden zufälligen Anliegern anzulasten.

Hintegründe

Ganz ist der Wahlkampf noch nicht gelaufen. Vielleicht hat sich deshalb bisher nur eine Politikerin mit einem einzigen Satz in der NWZ geäußert. Die Spekulationen seien "Nonsens", meinte Heike Brockmann, Landtagskandidatin der SPD für Nordwest-Oldenburg. Ein Ausbau finde nicht gegen die Anwohner statt.

Gerade im bisher verdeckten Verfahrensablauf mit den Folgen für die Anwohner scheint der Hase im Pfeffer zu liegen. Die Stadt scheint sich vor einer sie bedrohenden "Lex Rauhehorst" beschützen zu wollen. Für den Fall nämlich, daß die Kosten solcher Ausbaumaßnahmen aufgrund einer Satzungsänderung auf mehr Bewohner verteilt werden, hat auch sie einen größeren Anteil zu entrichten. Die für die Kommune als Bauherrin wachsenden Preise erwiesen sich mittelfristig als Bremsklotz für den Moloch Straßenbau. Wollen das die Stadt und die Interessenverteter im Hintergrund verhindern? Rauhehorst wäre zumindest ein Präzedenzfall.

Wenn sich Anwohnergemeinschaften auch nicht über alle Details einig sein werden - eine gleichmäßige Lastenverteilung wollen alle. Notfalls indem parallele Straßen wie Mittelweg oder Johann-Justus-Weg wieder den gleichen Verkehrsrang wie ihre Straße erhalten.

Liefen viele Anwohner bisher als unbekannte Nachbarn aneinander vorbei, so hoffen sie nun sogar, daß es auf der nächsten Vollversammlung in der vorgesehenen Kneipe möglichst sehr eng wird. Kontakt erwünschen: Brock (Tel. 681569), Klöpper (9620044), Heeder (62615) und Mydla (682590).

Karl-Heinz Peisker


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