Ausgabe 11/97 | Seite 1 | |||||
Die Spitze des Eisbergs
Peguform und die Folgen einer verfehlten IndustriepolitikEs war im Jahre 1986, als die Segnungen der modernen Industriegesellschaft auch die Stadt Oldenburg erreichten. In diesem denkwürdigen Jahr entstand auf dem alten Firmengelände an der Stedinger Straße, das 170 Jahre lang die Oldenburger Glashütte beherbergt hatte, ein neuzeitlicher Industriebetrieb, Peguform genannt. Für die Stadt Oldenburg war diese Ansiedlung zunächst einmal erfreulich, denn sie war mit der Schaffung von rund 700 neuen Arbeitsplätzen verbunden; eine Entscheidung also, die in einer von Arbeitslosigkeit gebeutelten, industriefernen Region zukunftsweisend und in jeder Hinsicht als Erfolg der städtischen Industriepolitik zu werten war, wie Oberstadtdirektor Heiko Wandscher nicht müde wurde zu betonen. Nachdem dieser dicke Fisch mit vereinten Kräften ins Boot gehievt war, wurden auch die stadtbekannten Querulanten von der DKP, die versucht hatten, dem Oberstadtdirektor in die Suppe zu spucken, indem sie ihm jede Mark an Subventionen vorzurechnen versuchten, die die durchtriebenen Kapitalisten sich für jeden neugeschaffenen Arbeitsplatz aus dem Stadtsäckel ergaunert hatten, wieder ruhiger und Politik und Verwaltung gingen zur Tagesordnung über. Doch ein alter Spruch besagt, da , wo Licht ist, auch Schatten sei. Die Frage war nur, auf wen dieser Schatten fallen würde. Im Dezember 1987 nahm das Kunststoffwerk der Peguform GmbH die Produktion auf. Bald gab es erste Beschwerden von AnwohnerInnen aus Osternburg, die sich über üble Gerüche beklagten. Ganz ähnliche Beschwerden hatte es schon 1984 im Stammsitz der Firma in Bötzingen gegeben. Aus Bötzingen waren auch gesundheitliche Beeinträchtigungen bekannt geworden, die sich in der Folgezeit in ähnlicher Weise auch in Oldenburg zeigten. Bei den Betroffenen traten die verschiedensten Symptome auf wie Übelkeit, Schwindel, Atemnot, Schlafstörungen, Augenbrennen und -ränder, Kopfschmerzenäverstärkter Haarausfall, Hautleiden, Magen- und Darmbeschwerden, chronische Müdigkeit, die alle heute als Krankheitssymptome der Umweltkrankheit MCS (Multiple Chemical Sensivity - Chemikalienunverträglichkeit) bekannt sind. Daß Peguform der Verursacher dieser gravierenden, weil dauerhaften Erkrankungen ist, die für die einzelnen Betroffenen jeweils eine tiefgreifende Änderung ihrer Lebensumstände mit sich brachte, ist bislang nicht hinreichend bewiesen worden, obwohl viele Anzeichen darauf hindeuten. Der Fall einer Oldenburger Familie, deren Tochter schwere Gesundheitsschäden davongetragen hatte, die bis heute nur gemildert aber niemals gebessert werden konnten, wird am 20. November vor dem Oberlandesgericht (OLG) Oldenburg erneut zur Verhandlung kommen, nachdem der Bundesgerichtshof (BGH) in Karlsruhe ein Urteil desselben Gerichts aufgehoben hatte, in dem die Richter eine Verursachung der gesundheitlichen Beschwerden durch das Peguform-Werk ausgeschlossen hatten (siehe Artikel von Ingo Harms im Stachel, Heft 7-8/1997).
Mangel an KompetenzFür die Grüne Ratsfraktion war dieses und eine Pressemitteilung zur Peguform-Affäre, die von den Oldenburger Umweltverbänden und Selbsthilfegruppen herausgegeben worden war, Anlaß, das Thema im Umweltausschuß auf die Tagesordnung zu setzen. In der Novembersitzung sollten Vertreter der Behörden, denen die Verbände schwere Fehler und Versäumnisse in der Sache vorgeworfen hatten - es handelt sich dabei um das Staatliche Gewerbeaufsichtsamt als genehmigende Behörde und das städtische Gesundheitsamt als fachlich betroffene Behörde - ihre Sicht der Dinge vor dem Ausschuß vertreten. Wer allerdings als Zuhörer an der öffentlichen Sitzung teilnahm, in der Hoffnung, eine Erklärung für die Vorgänge um Peguform zu bekommen, mußte schon bald erkennen, daß er sich den Weg ins Rathaus hätte sparen können. Der in reinem Fachchinesisch gehaltene Vortrag des Gewerbeaufsichtsamtes veranlaßte einen der Ratsherrn zu der Bemerkung an den Behördenvertreter, er möge die Dinge doch bitte so darstellen, daß man sie auch verstehen könne. Fehlanzeige! Der Leiter des Gesundheitsamtes versuchte wiederum, die Zuhörer davon zu überzeugen, daß sein Amt alles Menschenmögliche getan habe, um den Beschwerden aus der Bevölkerung auf den Grund zu gehen. Die Aktivitäten des Amtes - "eine Sauarbeit", so der Kommentar des Amtsleiters, Dr. Friedrich, ergaben leider keine eindeutigen Hinweise auf die Ursache der "unspezifischen" Beschwerden. Im Falle der Firma Peguform jedoch ließ die Mehrzahl der durchgeführten Recherchen im Ergebnis darauf schließen, daß Peguform nicht als Verursacher in Frage kam. An den fraglichen Tagen, wo die Gerüche von Peguform wahrgenommen wurden bzw. die Beschwerden aufgetreten waren, wehte der Wind aus der falschen Richtung. Die Wohnung der Klägerin wiederum lag nicht in dem Teil des Stadtgebietes, wo nach der vorherrschenden Windrichtung die Beschwerden hätten auftreten müssen, wären sie vom Peguform-Werk gekommen. Auf das Krankheitsbild MCS angesprochen gab Dr. Friedrich Auskunft, ihm wäre außer dem Fall der Klägerin nur ein weiterer Fall mit diesem Krankheitsbild bekannt, und in diesem Fall bestehe nach seinen Erkenntnissen kein Zusammenhang mit Peguform. Es lohnt an dieser Stelle nicht, den Ursachen für den offensichtlichen Mangel an Erkenntnis, den der Leiter des Gesundheitsamtes hiermit offenbart hat, weiter nachzuspüren. Das OLG Oldenburg reiht sich lückenlos in die Reihe der Instanzen ein, die es nicht für nötig befanden, sich mit den Problemen der Geschädigten eingehender zu befassen. Der Spruch aus Karlsruhe ist eine Ohrfeige für das Gericht, da das BGH darin feststellt, daß das OLG "entscheidungserhebliche" Beweisanträge der Klägerin nicht berücksichtigt hat. Beispielsweise ging das OLG bei der Erkenntnis, daß Peguform die geltenden Emissions-Grenzwerte nicht überschritten habe, von falschen Voraussetzungen aus. Das Gericht hatte sich in diesem Punkt mit der Aussage des Gewerbeaufsichtsamtes zufrieden gegeben, obwohl ein TÜV-Gutachten 1989 eine "erhebliche unzulässige Erhöhung des Schadstoffausstoßes" festgestellt hatte. Die durch TÜV-Gutachten belegten Verstöße des Betriebes stellen jedoch allenfalls die Spitze eines Eisbergs dar.
Fragen über FragenWas ist dran an den Einwänden von Kritikerseite, das Peguform-Werk habe schon bei seiner Errichtung 1986 nicht mehr dem neuesten Stand der Technik entsprochen, das Werk habe von seiner Produktion her nicht in ein Gewerbegebiet, sondern in ein Industriegebiet gehört und habe eigentlich in der unmittelbaren Nachbarschaft eines Wohnviertels niemals genehmigt werden dürfen? Bei der Anhörung im Umweltausschuß wurde von den Fraktionssprechern von SPD und CDU - unter dem Eindruck des Vortrages, den das Gewerbeaufsichtsamt sich dort geleistet hatte - die Meinung geäußert, dem Ausschuß mangele es an Kompetenz, um sich mit den komplexen Sachverhalten weiter zu beschäftigen. Es erhebt sich hier unwillkürlich die Frage, welchen Personen aus Verwaltung und Politik es 1986 an der Kompetenz mangelte, als es um die Frage der Ansiedlung des Industriebetriebes ging. War es vielleicht so, daß die gewieften Konzernmanager in der industriefernen Provinzstadt Oldenburg leichtes Spiel hatten? Sie brauchten den von sich überzeugten Stadtfürsten ja nur zu erzählen, was diese gerne hören wollten, nämlich, daß sie im Lotteriespiel der Städte und Gemeinden, genannt Wirtschaftsförderung, mit Peguform einen Hauptgewinn gezogen hatten. Gab es überhaupt kritische Nachfragen, was Peguform außer Kunststoffstoßfängern, lackierten Seitenteilen und Türinnenverkleidungen für Autos noch so alles produzierte? War damals schon die Rede von den gasförmigen Emissionen, Abwässern und Produktionsabfällen des Werkes oder wurden diese Fragen einfach an das fachlich zuständige Gewerbeaufsichtsamt delegiert? Fragen über Fragen. Wo kam z. B. der Gestank nach "faulen Eiern" her, den Anwohner aus dem Gulli wahrgenommen hatten, ein typisches Kennzeichen von Schwefelwasserstoff, auch ein Nebenprodukt der Firma Peguform? Gab es vielleicht auf dem Werksgelände irgendwo ein Rohr, was mit der städtischen Kanalisation in Verbindung stand? Welche Stoffe verlie en den Betrieb über die Dachklappen, die eigentlich, zwecks gr" eren Verdünnungseffekts, über den 85 Meter hohen Schornstein abgeleitet werden sollten? Welche der vielen Substanzen, die von dem Werk in die Umgebung abgegeben wurden (und werden) sind gesundheitlich bedenklich und dürfen eigentlich nicht an Menschen gelangen? Wer kennt die Antworten auf diese Fragen?
Die TatsachenTatsache ist, daß die genaue Zahl der Geschädigten bis heute nicht bekannt ist und auch wohl nie mehr vollständig zu ermitteln sein wird. Tatsache ist auch, daß die bislang bekannten Gesundheitsschäden bis hin zur Vollinvalidität zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht eindeutig mit den Emissionen des Peguform-Werks in Verbindung gebracht werden können. Ähnlich wie im Fall des Atomkraftwerks Krümmel, das in dem Verdacht steht, für die hohe Zahl an Leukämieerkrankungen in der Elbmarsch verantwortlich zu sein, ist es äußerst schwierig, den Zusammenhang im Einzelfall nachzuweisen, auch wenn die Wahrscheinlichkeit dafür spricht, daß es einen Zusammenhang gibt. Die Fälle liegen meistens Jahre zurück und es gibt viel zu wenig beweiskräftige Messungen, zumal auch die Ausbreitung vieler Stoffe in der Umwelt nicht genau bekannt ist. Umgekehrt dürfte aber auch die Firma Peguform Schwierigkeiten haben, eindeutig nachzuweisen, daß sie nicht für die Erkrankungen verantwortlich gemacht werden kann. Die vielen verstreuten Informationen, die bei den unterschiedlichsten Personen vorhanden sind, dürften vielmehr - richtig zusammengesetzt - ein wenn auch unvollständiges Puzzle ergeben, aus dem dann schon einige Schlüsse zu ziehen sein werden. Die Aufgabe, dieses Puzzle zusammenzusetzen, fällt dem Oberlandesgericht Oldenburg zu, das vom BGH dazu angehalten worden ist, eine sorgfältige Beweisaufnahme durchzuführen. Ob danach die Verantwortlichen auch zur Verantwortung gezogen werden, mag von Realisten bezweifelt werden. Ebenso, ob eine Wiedergutmachung an den (potentiellen) Opfern einer verfehlten Industriepolitik überhaupt möglich ist. tog
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