Oldenburger STACHEL Ausgabe 11/97      Seite 2
 
Inhalt dieser Ausgabe
 

Radio-Frequenzen für Oldenburg

Zeitgeisterbahn

Warste nicht da, haste was verpaßt - Kittner lästerte im Neuen Gymnasium

Nach 2 Jahren war es wieder einmal soweit: Der bekannte hannoversche Kabarettist Dietrich Kittner suchte unser Städtchen heim, um mit bitterbösenobergenialwahrheitsbasierenden Satiren und Liedern sein Publikum zum Lachen, Nachdenken und Handeln zu bewegen.

Es ist unglaublich, aus welchen Ecken und Winkeln unserer Realität und Sprache der Mann seine Attacken ausgräbt. Daß er für sein Mundwerk keinen Waffenschein vorlegen muß, ist schon erstaunlich. Eigentlich berichtet er Wahrheiten, Fakten, die sich eine jede aus guten Zeitungen (z.B. dem Stachel...) oder sonstigen Quellen beschaffen kann. Es gibt da allerdings kleine Unterschiede in der Darstellungsform: Bei Kittner gibt es gewiß nach einer Reihe von Worten oder Gesten (auch darin ist er Meister) einen kleinen Schwenk, eine Bemerkung, einen Nebensatz, welcher explosionsartig dauerhafte Lachzustände medizinischer Intensität im Zuschauer hervorrufen. Es läßt sich schwer zitieren, die Spitzen sind zu abhängig von der Ausstrahlung des Vortragenden und seiner klug aufgebauten Einleitungen. Doch geht es ihm nicht nur ums Lachen, die Inhalte sind scharfe und ernstzunehmende Schilderungen bundesdeutscher Zustände, Fakt ist, daß zum Ertragen wirklich gemeiner Wahrheiten Humor unersetzlich ist. Was ist zum Beispiel komisch an den Vorgängen um die Brandstiftungen in Lübeck? Eigentlich nichts, ein unvorstellbarer Skandal wird dort gerade verbuddelt. Doch Kittner greift sich das Themea, stellt die Fakten dar und beleuchtet anhand derer die Denktechniken der Täter und ihrer Beschützer. Krämpfe erschüttern die Lachmuskulatur, Kittner flaxt: "Also, wer da jetzt lacht, wird nie Staatsanwalt in Lübeck."

Natürlich wurde auch unser GottKanzler nicht ignoriert, allerdings gab es keine Kohlwitze, nur Zitate. Das ist noch schlimmer. Erbarmen kannte er für keine der Parteien, alle mußten leiden, so wunderte er sich unter anderem erbost über die olivgrüne Verfärbung der Grünen. Natürlich hat er auch für den menschlichen Alltag stets einen Tip parat: "Kleben sie ihre Briefe nicht so fest zu oder benutzen sie Postkarten, das erleichtert die Zustellung." Selten wurde das neue Telekommunikationsgesetz so präzise erläutert. Intensiv und sprachlich und juristisch wohlausgefeilt schwadronierte er über das bekannte Tucholskyzitat. Ob Soldaten Mörder wären, stünde ja gar nicht zur Debatte, aber daß nicht alle Mörder Soldaten seine, wäre wohl klar. Mathematische Präzision, keine Lücken die der Staatskasse dienen könnten. Er machte aus seinem Herzen keine Soldatengrube.

Drei Stunden kittnerte der Meister des deutschen Kabaretts durch Geschichte und Gegenwart, gab persönliches und weltpolitisches von sich, eine gewaltige Energie, die er auf der Bühne entwickelt und mit treffenden Spitzen seinem Publikum vermittelt.

Sein Anliegen am Ende der Veranstaltung: Mit Blick auf das von der Bundesregierung gebrochene Wirtschaftsabkommen mit Kuba über die Lieferung von Milchpulver für das tägliche Glas Milch in den kubanischen Schulen hat er eine private Initiative gegründet, die den Kids dort helfen soll. Für diesen Zweck ging, wie auf jeder seiner Veranstaltungen, der Hut rum. Bislang haben sich fuer so schon 248000 DM eingefunden.

Nicht nur ein Meister der Worte. Danke, Dietrich, bis zum nächsten Mal.

Wu


Diese Veröffentlichung unterliegt dem Impressum des Oldenburger Stachel. Differenzen zur gedruckten Fassung sind nicht auszuschließen.
Nachdruck nur mit Quellenangabe, Belegexemplar erbeten.


 

 
  Differenzen zur gedruckten Fassung nicht auszuschließen. Dieser Text ist urheberrechtlich geschützt. Siehe auch Impressum dieser Ausgabe und Haupt-Impressum