Ausgabe 5/97 | Seite 1 | |||||
Weichen stellen!
Kritik und Konzepte des VCD zur nötigen VerkehrswendeWenn wir uns heute mit dem Thema Regionalisierung des Öffentlichen Personennahverkehrs (ÖPNV) befassen, so sprechen wir konkret über eine Ausgestaltung der zum 1. Januar 1994 umgesetzten Bahnreform. Die Deutsche Bundesbahn fungiert seither als privatwirtschaftlich handelnde "Deutsche Bahn AG", die die Zuständigkeit für den regionalen Zugverkehr vollständig auf die Bundesländer übertragen hat. Bevor ich näher auf die unmittelbaren Folgen dieser Unternehmensumwandlung für die kommunale Ebene am Beispiel der Region Oldenburg eingehe, seien mir ein paar Worte zu den Beweggründen erlaubt, die die Privatisierung des Staatsunternehmens "Bundesbahn" erst ermöglichten.
Spätestens seit Ende des 2. Weltkrieges führte eine autozentrierte Verkehrspolitik zu einem gigantischen Stillegungsprogramm in den westlichen Bundesländern. Ein einst intaktes und flächendeckendes Bahnnetz fiel jenen Politikerinnen und Politikern zum Opfer, die lieber den Autobahnanschluß für jedes noch so kleine Dorf propagierten und gleichzeitig dafür sorgten, daß der Autoverkehr bis heute unter anderem über einen unverschämt günstigen Benzinpreis massive Steuersubventionen erhält. Über 500 Bahnstrecken mit mehr als 10.000 Kilometer Gleislänge verschwanden von der Landkarte. Die Bahn, die anders als beim Straßenverkehr, nach 1945 die immensen Kriegsschäden durch eigene Kredite beseitigen mußte, erhielt von der bundesdeutschen Verkehrspolitik nicht den Hauch einer realen Chance zu einem echten Wettbewerb mit dem motorisierten Individualverkehr. Immer höhere Schulden der Deutschen Bundesbahn vermittelten der Bevölkerung den Eindruck, daß nur eine durchgreifende Reform den Moloch "Bahn" auf die Sprünge helfen könnte.
Schauen wir uns doch nur einmal die realen Verkehrsanbindungen der Stadt Oldenburg zur Zeit der Umsetzung der Bahnreform, also Anfang der neunziger Jahre, an: Ein großzügiges Fernstraßennetz mit dem Luxus einer Stadtautobahn quer durch die Häuserzeilen und einem opulenten Autobahnnetz in die umliegenden Städte steuert tagtäglich seinen Beitrag zum Klimakollaps bei, während Bahnreisende aus Richtung Sandkrug aufgrund des schlechten Gleiszustandes fast zu Fuß noch schneller die Innenstadt erreichen. Auch die Fernbahn nach Bremen bringt es bis nach Wüsting nur auf "satte" 90 km/h. Von der zur Zeit völlig brachliegenden öffentlichen Infrastruktur, den stillgelegten Stadtteilbahnhöfen oder der demontierten Regionalbahn nach Brake, will ich hier erst gar nicht sprechen.
Soweit die Bestandsaufnahme: was bringt uns nun vor Ort die Regionalisierung? Zunächst einmal hat das Land Niedersachsen mit dem Nahverkehrsgesetz (NVG) vom 28. Juni 1995 die Zuständigkeit des Schienengebundenen Nahverkehrs - mit Ausnahme der Regionen Hannover und Braunschweig - auf die landeseigenen Nahverkehrsgesellschaft (LNVG) übertragen. Der Straßen-ÖPNV verbleibt bei den Kreisen und kreisfreien Städten. Für die Aufrechterhaltung des kompletten Bahnangebotes aus dem Fahrplan 1993/94 erhält das Land Niedersachsen die dafür notwendigen Mittel vom Bund. Der VCD hatte sich frühzeitig in das Gesetzgebungsverfahren zum NVG eingeschaltet und seine Forderungen, etwa für Mindeststandarts (Fahrtenhäufigkeit), Fahrgastbeiräte und einheitliche Tarife, artikuliert. Nur teilweise schenkte uns dabei Verkehrsminister Peter Fischer, der ohnehin lieber den Wesertunnel und andere Straßenprojekte favorisiert, das gewünschte Gehör (Umsetzung des Fahrgastbeirates). Vor Ort befassen sich nun die meisten PolitikerInnen und PlanerInnen mit der Umsetzung der im NVG geforderten Nahverkehrspläne. Diese Pläne, die in den Behörden einer Fachplanung (z.B. Flächennutzungsplan) ähneln, enthalten Rahmenaussagen für die geforderten öffentlichen Verkehre, konkretisieren die im NVG geforderte "ausreichende Verkehrsbedienung" und stehen für die Umsetzung der im Nahverkehrsplan genannten Leistungen. Ein Nahverkehrsplan darf nur dann neue Verkehrsangebote vorsehen, wenn deren Betriebsdefizite abgedeckt sind.
Diese genannten gesetzlichen Grundlagen sollten uns aber nicht darüber hinwegtäuschen, daß eine Verkehrswende, die wieder allen Menschen den Zugang zum öffentlichen Verkehrsnetz gewährleistet, so unmöglich bleibt. Ende 1995 haben wir unsere eigenen Vorstellungen zu einen flächendeckenden Schienenverkehrskonzept der Öffentlichkeit vorgelegt. In unserem VCD-Konzept "Integraler Taktfahrplan" für Niedersachsen zeigen wir, wie schon in wenigen Jahren bei einer besseren Verkehrspolitik die Umwelt und wir Menschen von den umweltschädlichen Folgen des Autoverkehrs deutlich entlastet werden könnten. Moderne Triebwagen pendeln im Takt von Dorf zu Dorf oder von Stadt zu Stadt, bieten genügend Abstellflächen für das eigene Fahrrad und gewährleisten im nächsten Bahnhof einen guten Anschluß an die nächste Regionalbahn. Von Oldenburg pendeln dann die Züge nicht nur in den benachbarten Zentren, wie Bremen, Wilhelmshaven oder Osnabrück, sondern auch nach Brake, Vechta und Westerstede. Auch die Kreisstadt Aurich erhält endlich wieder Bahnanschluß.
Und das Geld? Es soll sich doch keiner hinstellen und ernsthaft behaupten, derartige Konzepte seien nicht finanzierbar. Wer so etwas behauptet, verschließt die Augen vor den Realitäten: Eine Milliarde DM kostet etwa der Wesertunnel, zu dessen ersten Spatenstich schon jetzt Ministerpräsident Schröder und Verkehrsminister Fischer die Werkzeuge putzen. Gleichzeitig pumpt die Landesregierung massive öffentliche Mittel in den Ausbau des Hannoveraner S-Bahnnetzes zur EXPO, Gelder, die in der Fläche bitterlich fehlen. Daß der "Automann" Schröder ohnehin lieber weitere milliardenschwere Autobahnen (z.B. A 26 und A 33) in die Landschaft schlagen möchte und einen der größten Tempolimit-Bremser darstellt, sei nur am Rande erwähnt. Die Liste der verkehrspolitischen Fehlinvestitionen ließe sich spielend erweitern, würde aber den Rahmen des mir zur Verfügung stehenden Platzes sprengen.
Andernorts, zum Beispiel in Rheinland-Pfalz, ist selbst eine SPD/FDP-Koalition schon viel weiter: Von Fahrplanwechsel zu Fahrplanwechsel erwachen dort seit Jahrzehnten stillgelegte Bahnlinien in der Fläche aus ihrem Dornröschenschlaf und übertreffen mit ihren Fahrgastandrang zumeist die kühnsten Erwartungen der VerkehrspolitkerInnen. Ja, selbst in Bayern und Baden-Württemberg basteln die verantwortlichen PolitikerInnen an Konzepten, welche Bahnlinien in den nächsten Jahren wieder der Bevölkerung zur Verfügung stehen sollen. Niedersachsen bildet in dieser Richtung eines der unrühmlichen Schlußlichter. Hier feiert etwa die Landesregierung den längst überfälligen Ausbau der Bahnverbindung von Oldenburg nach Osnabrück als einen Beitrag zur Verbesserung des Verkehrsangebotes in der Fläche. Wer genauer hinschaut, erfährt, daß die Verkürzung der Reisezeiten auch durch die Schließung von sechs Haltestationen erkauft werden soll. Welch eine Politik! Noch schlimmer: Ginge es nach der Landesnahverkehrsgesellschaft, fahren bald auf einer weiteren Regionalverbindung, der Strecke von Lüneburg nach Dannenberg, gar keine Züge mehr.
Trotz aller Umstände engagieren wir uns auch weiterhin für die Umsetzung einer besseren Verkehrspolitik im Lande. Nächstes Jahr sind Landtagswahlen und wir Umweltverbände sollten alles daran setzen, zu versuchen, die Verkehrspolitik endlich als ein zentrales Thema herauszustellen.
Michael Frömming, VCD-Landesvorsitzender
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