Oldenburger STACHEL Ausgabe 5/97      Seite 11
 
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Wohin mit der Alterslast?

Neue Rentenpläne aus dem Hause Blüm

Während die Auswirkungen aus den Rentenkürzungen, die die Bundesregierung im Rahmen des Sparpakets im Herbst letzten Jahres beschlossen hat, noch kaum registriert worden sind, machte sich Arbeitsminister Blüm mit seiner Rentenreform-Kommission schon auf den Weg zu neuen Abschlägen bei der Alterssicherung. Ende Januar diesen Jahres legte die Kommission ihren Bericht vor. Einen Gesetzesentwurf gibt es allerdings noch nicht. Das Rentenrecht wird sich nach Blüm`s Plänen strukturell verändern. Während in Zukunft nur ein kleiner Teil der RentnerInnen mit einer guten Absicherung im Alter rechnen kann, wird die Zahl derer sich erhöhen, für die das Sozialhilfeniveau den Maßstab für die Mindestabsicherung abgeben wird. Das gilt heute schon für viele alte Frauen.

Bis zur Rentenform von 1956/57 dienten die Renten sowohl einer begrenzten Lebensstandarsicherung, als auch einem Schutz vor Armut im Alter. Seit Ende der 50er Jahre trat das Prinzip der Lebenstandardsicherung immer mehr in den Vordergrund, während der Sozialhilfe die Aufgabe der Mindestsicherung zufiel. In den 60er Jahren wurde schließlich die Anrechnung beitragsloser Zeiten (Schule, Arbeitslosigkeit) stark ausgebaut. Seit der Rentenreform von 1992 ist der Trend wieder rückläufig. Das von 1956/57 dominierende Rentenmodell wird es in Zukunft nicht mehr geben, wenn sich Blüm`s Rentenreform durchsetzt. Das Prinzip der Lebensstandardsicherung gilt dann nur noch für einen privilegierten Teil von RentnerInnen. Die Mehrzahl führt jetzt schon ein Leben am Rande der Sozialhilfe oder darunter.

So stellte der CDU-Bundestagsabgeordnete Ulf Fink, der zugleich Mitglied in Blüm`s Rentenkommission ist, in einem Bericht fest, daß schon heute in Westdeutschland die Renten für Frauen zu 76,1 %, für Männer zu 17,3 % unter dem Niveau der Sozialhilfe liegen. Wenn trotzdem nur wenige ältere Menschen Sozialhilfe in Anspruch nehmen, so bedeutet das bei einigen Frauen, daß sie ihren Lebensunterhalt noch von der Rente ihres Ehemannes bestreiten, für viele andere dagegen, daß sie ein Leben unterhalb der Sozialhilfe führen. In Zukunft wird die Zahl von Rentnerehepaaren sicherlich zurückgehen. In der Regel werden gerade ältere Frauen der Mindestsicherung durch die Sozialhilfe überantwortet.

Die Alterslast beim Sozialamt

Doch gerade an dieser Mindestsicherung ist in den vergangenen Jahren stark herumgefeilt worden. Im Verhältnis zu früheren Jahrgängen müssen Personen, die jetzt in´s Rentenalter kommen, mit einem um etwa 10 Prozent gekürzten Sozialhilfesatz rechnen. Eine so drastische Kürzung im Rahmen der Sozialhilfe gibt es nur noch bei Erwerbsunfähigen. Es wird oft übersehen, woraus die Sozialhilfe überhaupt besteht. Sie enthält die Unterkunftskosten, die Krankenversicherung und einen Betrag zur Bestreitung des normalen Lebensunterhalts. Dieser Betrag ist aufgegliedert in einen monatlich laufend gezahlten Regelsatz von zur Zeit 531 Mark, in einmalig gezahlte Pauschalen für Bekleidung, Weihnachten usw. und in Mehrbedarfszuschläge für Personen, die sich in besonderen Lebenssituationen befinden. Bis Ende `81 Ende wurde alten Menschen ab dem Alter von 60 Jahren ein Mehrbedarfszuschlag in Höhe von 30 Prozent des Regelsatzes zugestanden. Danach wurde er auf 20 Prozent gesenkt. Das würde zur Zeit einem Betrag von 106 Mark entsprechen. Ab 1.7.93 gab es den Mehrbedarf wegen Alters nur noch ab 65 Jahren, ab 1.7.96 gibt es ihn nur noch für Personen mit einer Gehbehinderung. Der Mehrbedarfszuschlag wegen Alters ist somit praktisch abgeschafft worden. Sind also RentnerInnen gezwungen, Zeitungen auszutragen oder als Haushaltshilfe zu arbeiten?

Die im Herbst letzten Jahres beschlossenen Rentenkürzungen unterscheiden sich von den jetzt geplanten darin, daß sie überwiegend Frauen, prekär Beschäftigte oder Selbständige bzw. Personen mit einer sogenannten "diskontinuiertlichen Beschäftigungsbiographie" betreffen. Wesentlicher Bestandteil dieser Kürzungen war die Neubewertung der Anrechnungszeiten. Zeiten der Schulausbildung werden nur noch mit drei statt sieben Jahren, Zeiten von Arbeitslosigkeit ohne Leistungsbezug werden gar nicht mehr als Anrechnungszeiten bewertet. Diese Zeiten wurden bei der Rente bislang mit 75 bzw. 80 Prozent des eigenen jährlichen Durchschnittsgehalts bewertet. Sie konnten bei Personen mit "unstetem Erwerbsverlauf" die Rente erheblich steigern. Im Stachel Nr. 10/1996 wurde das an einem Beispiel verdeutlicht: Für eine Frau mit acht Jahren Schulausbildung, fünf Jahren Kindererziehung, fünfzehn Jahren Erwerbstätigkeit bei gutem Durchschnittsverdienst und zehn Jahren Arbeitslosigkeit hat sich der Rentenanspruch halbiert im Verhältnis zu einer Frau, die bei gleichem Lebenslauf vor 1996 ihre Rente beantragt hat. Statt etwa 1200 Mark würde sie noch 600 Mark erhalten. Mit 1200 Mark hätte sie eine Rente in der Höhe des Sozialhilfeniveaus, mit 600 Mark müßte sie zum Sozialamt gehen.

Die Rentenreform, die die Blüm-Kommission jetzt vorgelegt hat, setzt den Trend zur Beschränkung der Rente als Lebensstandardsicherung auf einen immer geringeren Teil älterer Menschen fort. "Leistungsgerechtigkeit" soll herrschen. Wer vorgeleistet hat, soll auch eine Gegenleistung erhalten. Wer nicht genug vorgeleistet hat, geht leer aus.

Das bekommen nunmehr auch Erwerbsunfähige zu spüren. Mit 14,5 Milliarden Mark im Jahr 2010 werden sie den größten Einspar-Posten zur Rentensanierung beisteuern. Die Erwerbsunfähigkeitsrente soll für die Personen halbiert werden, die auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt noch zwischen drei Stunden und unter sechs Stunden täglich erwerbstätig sein können. Außerdem ist ein Abschlag für die Inanspruchnahme dieser Rente vor dem 60. Lebensjahr geplant. Angesichts der realen Beschäftigungsentwicklung ist dieser Vorschlag genauso absurd wie der nach der Erhöhung der Regelaltersgrenze von derzeit 65 auf 67 Jahren. Wer wird nach all den Abschlägen und Kürzungen noch zum klassischen Rentner zu rechnen sein?

Neue Rentenformel: Der "Demographie-Abschlag"

Herzstück der Rentenreform ist die Einführung einer "demographischen Komponente". Wenn sich die Lebenserwartung älterer Menschen erhöht, dann sollen die Renten zukünftig langsamer steigen. So forderte der neue Arbeitgeberpräsident Dieter Hundt, in die Berechnung des Ruhegeldes müsse die Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt und die Veränderung der Altersstruktur einfließen. "Das Rentenniveau von derzeit 72 Prozent des durchschnittlichen Nettolohnes wird auf Dauer nicht zu halten sein. Mitte der siebziger Jahre waren es 65 Prozent. Ein solches Niveau ist angesichts des erreichten Wohlstands vertretbar". Als Zielmarke hat sich die Blüm-Kommission daher die sukzessive Senkung des Rentenniveaus von 70 auf 64 Prozent gesetzt.

Um dieses Niveau zu erreichen, hat die Kommission folgende Rechnung präsentiert: Ein "Standardrentner", der 45 Beitragsjahre lang den Durchschnittsverdienst bekommen hat und mit 65 aufhört zu arbeiten, erhält gegenwärtig eine Rente von etwa 2120 Mark monatlich. Das entspricht 70 Prozent seines früheren Nettolohnes. Um das Niveau auf 64 zu senken, wie Blüm es will, soll es bei bei der regelmäßigen jährlichen Anpassung einen Abschlag entsprechend der steigenden Lebenserwartung eines 65jährigen seit 1992 geben. Das hieße, daß die zum 1. Juli anstehende Rentenerhöhung von etwa 1,7 Prozent um 0,4 Prozent niedriger ausfallen würde. Die Höhe von 64 Prozent wäre im Jahr 2015 erreicht. Tatsächlich gibt es den Standard-Rentner nur sehr selten. Höchstens die Hälfte aller Männer und 5 Prozent aller Frauen erreichen dieses Niveau.

Doch gibt es in Kreisen der CDU noch drastischere Vorstellungen. Die Junge Union und der CDU-Wirtschaftsflügel möchten die Renten gern auf 60 % des durchschnittlichen Nettolohnes senken. Der Verband Deutscher Rentenversicherungsträger (VDR) stellte sogar fest: Wenn der Beitragssatz der Rentenversicherung 20 Prozent nicht überschreiten soll, dann müßte entweder die Regelaltersgrenze von 65 auf 72 Jahre erhöht oder das Standard-Rentenniveau von 70 auf 56 Prozent gekürzt werden.

Schützt eine private Altersvorsorge?

Während die "unsteten Erwerbsverläufe" leistungsgerecht bereinigt werden, indem die Rentenansprüche für Frauen und Personen, die in ihrer Erwerbsfähigkeit eingeschränkt sind, halbiert werden sollen, trifft der "Demographie-Abschlag" auch Personen mit mittleren Renten. Letztlich können dann nur noch Erwerbstätige mit überdurchschnittlichem Einkommen und kontinuierlicher Berufstätigkeit mit einer Rente rechnen, die dem Prinzip der Lebensstandardsicherung entspricht. Nur sie können es auch wagen, in eine private Alterssicherung einzuzahlen. Würde jemand vor Erreichen seines Rentenalters Sozialhilfe beantragen müssen, weil die Leistungen vom Arbeitsamt nicht zur Bestreitung des Lebensunterhaltes ausreichen oder eine zu niedrige Erwerbsunfähigkeitsrente gezahlt wird, der würde seine private Altersvorsorge für die Begleichung der Sozialhilfezahlungen verwenden müssen. Es ist vielen Menschen meist unbekannt, daß eine private Altersvorsorge in Form einer Lebensversicherung oder eines Pension-Sondervermögens in der Sozialhilfe als Vermögen angerechnet wird. Höchstens bei Personen, die lediglich ein Paar Jahre vor Erreichen des Rentenalters Sozialhilfe beziehen müssen, wird von den Sozialämtern geprüft, ob ein Teil ihrer Altersvorsorge zur Aufstockung einer zu niedrigen Rente dienen kann. Wenn allerdings die gesetzliche und private Alterssicherung das Sozialhilfeniveau im Rentenalter übersteigen wird, dann wird das angesparte Vermögen zur Begleichung der Sozialhilfezahlungen verwandt. Davor sind auch langjährig Erwerbstätige nicht geschützt. Denn sie würden mit der gesetzlichen Versicherung schon ihren Lebensunterhalt im Alter entsprechend dem Sozialhilfeniveau aufbringen können.

Der "Lebenserwartungs- oder Demographie-Abschlag" würde nach der Rechnung von Ulf Fink den Prozentsatz an Rentnerinnen, deren Renten unter dem Sozialhilfebedarf liegen, von 76,1 auf 81, den an Rentnern von 17,3 auf 21 steigen lassen. Er würde nicht mehr nur die niedrigen, sondern auch die mittleren Renten betreffen. Wer im Alter seinen Lebensstandard sichern will, indem er in eine private Altersversorgung einzahlt, gerät zudem in die Gefahr, das angesparte Vermögen für eventuelle Sozialhilfezahlungen einsetzen zu müssen. Ein normaler Erwerbstätiger kann heute als nicht mehr voraussehen oder vorausplanen, wie er im Alter abgesichert sein wird. Die Rentenreform trifft letztlich nicht mehr nur Frauen, Langzeitarbeitslose oder in ihrer Erwerbsfähigkeit eingeschränkte Personen, sondern eben auch den männlichen Durchschnittsverdiener.

Wolf Herzberg, ALSO


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