Oldenburger STACHEL Ausgabe 3/97      Seite 6
 
Inhalt dieser Ausgabe
 

Buchtip: Leyla Zanas

Briefe und Schriften aus dem Gefängnis

Die kurdische Abgeordnete des türkischen Parlaments Leyla Zana war 1994 wegen "Separatismus" zu 15 Jahren Gefängnis verurteilt worden. Ihre Briefe aus dem Gefängnis, die der Zensur entgingen, sind seit Ende letzten Jahres nach der Veröffentlichung in Frankreich auch auf Deutsch zu lesen.

Anfangs sollte sie, die einzige Frau in ihrer Parlamentsfraktion, nur schweigen. Dagegen wehrte sie sich erfolgreich. In einem der Texte aus dem Gefängnis beschreibt sie die Last, die sie verspürte, als sie später immer als Erste sprechen sollte. Die kurdischen Abgeordneten sollten, so wollte es die türkische Regierung, bei der Parlamentseröffnung 1991 ihre kurdische Identität und damit ihre Wähler verleugnen. Leyla Zana war von einem großen Teil der 300.000 Einwohner Diyarbakirs auf der Liste der Sozialdemokratischen Volkspartei (SHP) mit herausragendem Ergebnis gewählt worden. "Die Verantwortung, die auf mir lastete, erdrückte mich fast", schreibt sie. Sie entschied sich dafür, "nicht zu kapitulieren".

Staatsfeind wg. kurdischer Rede

Als ihr Name im Parlament aufgerufen wurde, war es sofort still im Saal. "Die wenig mehr als zehn Meter von meinem Sitz zum Podium" erschienen ihr unendlich lang. Als sie es dann wagte, dort - erstmals in der Geschichte der türkischen Republik - wenige Worte auf Kurdisch zu sprechen, hatte sie die Erwartungen ihrer Wähler, aber auch ihrer Gegner erfüllt. Die türkische Regierung stempelte Leyla Zana nun zu einer gefährlichen Staatsfeindin.

Ihr Schlußplädoyer vor dem Staatsgerichtshof, das sie dort nicht halten konnte, ist ebenfalls in dem 120-Seiten-Buch enthalten. Darin wollte sie von Inquisition und "intellektuellem Terrorismus" in ihrem Land reden. Wer für politischen und kulturellen Pluralismus eintrete, müsse in der "Atatürkei" mit Gefängnis rechnen.

Abgeordnete des Europäischen Parlaments erhalten seit Januar 1996 keine Besuchserlaubnis mehr bei Leyla Zana, so berichtete anläßlich der Buchvorstellung Claudia Roth, Fraktionsvorsitzende der Grünen im Europaparlament. Vor der Zustimmung dieses Parlaments zur Zollunion mit der Türkei war das anders. "Da wollte die Türkei sich eine Zeit lang demokratisch und rechtsstaatlich geben," um diese Zustimmung zu erhalten. Kurz nach dem Beschluß im Dezember 95 war es mit dem Besuchsrecht schon vorbei. "Von der erhofften Demokratisierung keine Spur, von der Freilassung der kurdischen Abgeordneten kein Wort mehr!" Statt dessen würden jetzt Leute vor dem Staatsgerichtshof für Reden angeklagt, die sie auf Einladung des Europaparlaments gehalten haben.

Der Krieg in Kurdistan geht weiter, der Rest an freier Presse wird mundtot gemacht, Opposition wird erstickt, öffentlichen Streit gibt es höchstens darüber, wie weit die Islamisierung der Gesellschaft gehen soll. In solch einer schwierigen Situation so viel Mut und Hoffnung einer einzelnen Person, die sich nicht unterkriegen läßt - das ist schon einen Buchkauf wert. (Leyla Zana, Briefe und Schriften aus dem Gefängnis, Montage Verlag, Dötlingen 1996, 24.80 DM)


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