Oldenburger STACHEL Ausgabe 3/97      Seite 12
 
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Kohle-Abbau

Wie falsche Subventionen die Energiewende verhindern

Keine Demonstration hat das Bonner Regierungsviertel je so bedroht wie die zwei Belagerungsringe von wütenden Bergbauarbeitern in der dritten Märzwoche. Die Kumpels stürmten gar die Bannmeile, womit ihnen erstmals gelang, was vielen Umwelt-, Friedens- und Menschenrechtsdemonstrationen versagt geblieben war. Für den Vizekanzler waren die erbosten Grubenarbeiter nichts als "Erpresser". Äußerungen der Angst auf beiden Seiten. Was war geschehen?

Die Zukunft der deutschen Steinkohle steht auf dem Spiel, und mit ihr 90.000 direkt betroffene Arbeitsplätze. 1970 gabe die Kohle noch einer Viertelmillion Personen Arbeit, doch mit der Verteuerung auf dem Weltmarkt - Inlandskohle muß heute mit 291 DM pro Tonne gegen billige Importkohle von nur 70 DM pro Tonne konkurrieren - benötigten die Zechen wachsende Zuschüsse. Waren es 1970 noch 600 Millionen, so betrugen sie 1996 bereits 10 Milliarden. Damit avancierte der Steinkohlebergbau nach der Atomenergie zur meistgestützten Energiequelle.

Atom vor Kohle

Kohle und Atom teilen den deutschen Strommarkt im Verhältnis von 65 % Kohle zu 30 % Atom unter sich auf. Doch die Steinkohle-Subventionen kommen nicht nur der Verstromung zugute, sondern auch der Verkoksung für die Stahlindustrie. Den Atomkonzernen flossen zwar mit bisher 143 Millarden kaum mehr Gelder zu als der Kohle. Vergleicht man jedoch die Anteile der Subventionen, die der reinen Stromerzeugung dienen, so erhielt die Atomindustrie zwei- bis dreimal soviel Gelder wie die Steinkohle. Wer also die Kohlesubventionen verurteilt, sollte die mörderische volkswirtschaftliche Last der Atomenergie nicht unerwähnt lassen.

Verfassungswidrig

Keine Volkswirtschaft kann sich diese Belastung auf Dauer leisten, zumal in einer Zeit leerer Staatskassen. Die Finanzierung des "Strommix" aus Kohle und Atomenergie, das Regierung, Stromwirtschaft und Kohlebergbau seit Jahren einmütig propagieren, konnte deshalb nur mit verdeckten Subventionen durchgehalten werden. Seit zwanzig Jahren wird die Kohle zum überwiegenden Teil mit dem "Kohlepfennig", einem bundesweiten Aufschlag auf den Strompreis, gestützt. Dies entlarvte jedoch das Bundesverfassungsgericht jedoch im Jahr 1994 als verfassungswidrigen Betrug der Stromkunden. Leider standen die Atomsubventionen nicht in Karlsruhe vor Gericht. Sie fließen auch nicht aus einer so offensichtlichen Quelle wie dem "Kohlepfennig", sondern nehmen subtilere Wege. Da diese Milliarden nicht dem Erhalt von Arbeitsplätzen, sondern allein der Erhöhung der Gewinne dienen, haben sich die Konzerne auch wesentlich besser mit Vertuschungen und Regierungsvereinbarungen abgesichert. Eine Kilowattstunde Atomstrom - die ökologischen Folgen nicht mitgerechnet - verursacht heute schon volkswirtschaftliche Kosten von 70 Pf, bezahlt wird sie aber nur mit knapp 10 Pf. Den "Rest" begleicht die Gemeinschaft.

Faß ohne Boden

Nicht dieser Skandal hatte jedoch die Wut der Kumpel herausgefordert. Ihr Blick gilt ausschließlich den Kohlezuschüssen, die nach Wegfall des "Kohlepfennigs" direkt von den Steuereinnahmen erhoben werden mußten. Wüßten sie, daß mit den Atom-Milliarden nicht nur ihre Arbeitsplätze gesichert, sondern auch ein vollständiger Ersatz des Atomstromanteils finanzierbar wäre, sie wären nicht gegen Bonn gezogen, sondern in Essen geblieben, um dort vor dem Hauptgeschäftssitz der VEBA zu demonstrieren. Dieser Energiekonzern und mit ihm eine Handvoll anderer Energieversorger verbreiten seit Jahren die Mär von der Zukunft der Kohle- und Atomenergie, obwohl niemand es besser als diese knallharten Geschäftsleute wissen müten, daß ein dauernder Zuschußbetrieb keine wirtschaftliche Zukunft hat. Obendrein ist die Kohle, ob deutsch oder importiert, auch ökoligisch ein Faß ohne Boden, trägt sie doch in ihrer jetzigen Einsatzweise mit unnötig hohen CO-2-Emissionen zum Klimakollaps bei.

Neue Technologien

Diese Einsicht ist aber kein Unglück und muß auch nicht zum Arbeitsplatzabbau führen. Im Gegenteil, sie ist eine Chance für fortgeschrittene Technik, mit der die Kohle heute immer effizienter eingesetzt werden kann. Eine Verdoppelung des Nutzungsgrades ist nicht unrealistisch. Aus den eingesparten Energiekosten und den niedrigeren Investitionskosten können weiterhin Kohlestützungen fließen, die dann jedoch keine Subventionen sind, sondern aus neuer Produktivität geschöpftes Kapital. Ein anderer Teil der Arbeitsplätze würde in den neuen Technologien und der zusätzlich erforderlichen Dienstleistung untergebracht.

Energiewende

In den Energiezentralen der Zukunft, den Wärme-Kraft-Kopplungen, wird die Kohle nicht nur verstromt, sondern gleichzeitig in Wärme verwandelt. Damit steigt der Nutzungsgrad gegenüber reinen Kraftwerken von 40 auf über 90 Prozent. Diese dezentrale Energiestruktur erfordert den Einsatz von Blockheizkraftwerken in vielen kleinen Einheiten, deren Fertigung, Installation und Wartung einen erhöhten Personalbedarf voraussetzt. Sofern sie mit der Entwicklung intelligenter Nutzsysteme Hand in Hand geht, fließt aus den enormen Energiesparraten neues Kapital. Die damit verbundene Entlastung der Atemluft von Abgasen und der Atmosphäre von Treibhaussubstanzen würde die Absichten der Rio-Konferenz und die erklärten Ziele der Bundesregierung in den Schatten stellen. Auch die wirtschaftliche Effizienz ist enorm und übertrifft allein die der Atomkraftwerke um das drei- bis sechsfache. Die Forderung der Stunde muß also lauten, einen Teil der heutigen Kohle-Subventionen in die Energiewende zu investieren.

Abbau

Doch die neue Kohle-Vereinbarung von Mitte März sieht vor, daß die Zahl der Arbeitsplätze bis 2005 auf 45.000 praktisch halbiert wird, wobei keine betriebsbedingten Kündigungen, sondern ausschließlich Ruhestands- und Vorruhestandsregelungen greifen sollen. Die Subventionen werden ebenfalls sukzessive gekürzt, von knapp 9 Milliarden Mark im Jahr 1997 auf 5,5 Milliarden im Jahr 2005. Damit wird auch weiterhin jeder Arbeitsplatz im Kohlebergbau mit jährlich 130.000 Mark gestützt. Das klingt auf den ersten Blick schlimmer als es ist, muß doch mindestens ein weiterer Arbeitsplatz bei Bergbau-abhängigen Gewerben hinzugerechnet und die Kosten der Arbeitslosigkeit abgezogen werden. Außerdem wird Kohle weltweit knapper, wodurch sich die Preise früher oder später erhöhen müssen und die deutsche Kohle wieder konkurrenzfähig werden könnte. Beim Koks zeichnet sich diese Entwicklung bereits ab. Dennoch bleibt, im Vergleich mit den Möglichkeiten einer Energiewende, eine Verschwendung wertvollen Kapitals zu beklagen.

Atomausstieg rettet Kohle

Die Szenarien der Energiewende sind nicht nur hundertfach durchgerechnet, sondern an vielen Orten bereits umgesetzt. Auch die Grünen in Nordrhein-Westfalen, dem Hauptstandort des Bergbaus, sind dieser Idee verpflichtet. Sie sprachen sich im Landtagswahlkampf 1995 für ein vollständiges Auslaufen des Ruhrkohlenbergbaus in 20 Jahren bei gleichzeitiger Umschichtung in neue Technologien aus. Noch besser wäre es allerdings, wenn Grüne und Bergbauarbeiter im Schulterschluß mit fortschrittlichen Kräften, beispielsweise dem Castor-Widerstandsspektrum, ein Ende der Nuklearsubventionen und damit der Atomenergie durchsetzen würden. Damit würden mehr Mittel für eine befriedigende Arbeitsplatzpolitik frei, als die klügsten Lösungen im derzeitigen Steinkohlenkonflikt jemals schaffen könnten.

Oldenburger Energierat


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