Ausgabe 3/97 | Seite 13 | |||||
Deutschland bald Fahrradparadies?Im Herbst 1997 tritt eine geänderte Straßenverkehrsordnung in Kraft, die jetzt schon vorgestellt worden ist und viel diskutiert wird. Dabei heißt es immer, die Novelle der Straßenverkehrsordnung (StVO) bringe Verbesserungen für den Fahrradverkehr. Aus diesem Grund hat auch der Bundesverband des Allgemeinen Deutschen Fahrradclubs (ADFC) der Novellierung zugestimmt, wenn auch mit einiger Kritik. Damit jetzt bei den Fahrradbegeisterten keine Euphorie aufkommt, möchte ich erläutern, was die geänderte StVO beinhaltet, wobei dabei schnell klar wird, daß es mit Fahrradförderung nicht weit her ist. Denn das, was als Neuerungen gepriesen wird, ist in der Praxis längst Realität, dagegen werden Rechtsunsicherheiten, die bisher häufig zugunsten der Radfahrer ausgelegt worden sind, zu deren Ungunsten beseitigt. Zu den angeblichen Neuerungen zählt zum Beispiel die Möglichkeit zur Einrichtung von Fahrradstraßen, d.h. Straßen in geschwindigkeitsreduzierten Bereichen (Tempo 30), die einen hohen Durchgangsverkehr aufweisen, dagegen wenig Priorität haben. Radfahrer dürfen in diesen Straßen nebeneinander, Autos nur im Fahrradtempo und zumeist nur in eine Richtung fahren. Die ganze Straße wird als Radweg (Zeichen 237 StVO) ausgewiesen mit dem Zusatz "Autos frei". Zwar ist diese Ausweisung bisher rechtlich nicht vorgesehen, doch wird sie bereits seit längerer Zeit von mehreren Kommunen mit Erfolg angewandt: In Bremen, Lübeck, Münster etc. gibt es Fahrradstraßen, ohne daß es deswegen größere Probleme gibt, da sie noch nicht in der StVO verankert sind. Wirklich neu soll sein, daß das Aufstellen von Verkehrszeichen, die Radwege benutzungspflichtig machen (Zeichen 237 StVO), in Zukunft an eine Mindestqualität der Radwege gekoppelt wird. Das läßt leider die Benutzungpflicht für die vielen, bereits bestehenden alten Radwege nicht automatisch erlöschen, die diese Mindestanforderung nicht erfüllen. Und die Mindestqualität für neu anzulegende Radwege orientiert sich nicht an der ERA (Empfehlungen für Radverkehrsanlagen) , sondern an Verwaltungsvorschriften, in denen die Richtwerte für Fahrradwege (Mindestbreite n) deutlich unter denen der ERA liegen.
Ein großes Manko ist, wie eben schon erwähnt,
daß die Radwegebenutzungspflicht nicht
abgeschafft werden wird. Die Regelung, daß
"unzumutbare Radwege" nicht benutzt zu werden
bbrauchen, existiert bereits heute und ist
ddaher nicht neu. Und was "unzumutbar" ist,
ddefiniert im Zweifelsfall der autofahrende
Richter, also kein hilfreiches und effektives
Mittel zur Umgehung der Radwegebenutzungspfli
cht. Dafür wird die umstrittene
Radwegebenutzungspflicht auf linke Radwege
ausgeweitet. Bisher bietet @2 Abs.4 Satz 2,
2. Satzteil der StVO ("linke Radwege dürfen
sie
Die Neuregelung berücksichtigt nicht, daß der
Sicherheitsgewinn durch Radwege
verkehrswissenschaftlich umstritten ist.
(Warum gibt es eigentlich keine
Beutzungspflicht für Bundesautobahnen?) Gute
Radverkehrsanlagen brauchen keine
Benutzungspflicht. Sollte die jetzt
ausgeweitete Benutzungspflicht doch nur
deswegen nötig sein, weil zumindest
regelmäßige Alltagsradfahrer wissen, daß die
danebenliegende Fahrbahn meist besser,
gepflegter, schneller befahrbar und trotzdem
sicherer als der begleitende Radweg ist.
Dabei haben Kommunen bereits heute die
Möglichkeit, die Radwegebenutzungspflicht zu
unterlaufen: Einfach den Radweg als Fußweg
mit dem Zusatz "Radfahrer frei" ausschildern.
Der Radfahrer hat dann die Wahl, weiter auf
dem Bordstein zu fahren oder die Straße zu
benutzen. Diese Ausschilderung wird durch die
geänderte StVO ebenfalls erleichtert. Gilt
bisher, daß ein Radweg dann ein Radweg ist,
wenn er baulich als ein solcher zu erkennen
ist, gilt ab Herbst '97m daß ein Radweg erst
dann ein Radweg ist, wenn er als solcher
ausgeschildert ist (Zeichen 237 StVO). In
Oldenburg wird dies wohl dazu führen, daß
überall neue Radwegeschilder aufgestellt
werden...
Eine weitere Niederlage mußten die Radfahrer
einstecken, da die Möglichkeit, Radfahren
entgegen von Einbahnstraßen generell
zuzulassen, herausgekippt worden ist. Aber
auch hier haben die Kommunen bereits heute
die Möglichkeit, durch Zusatzzeichen
"Radfahrer frei" das Radfahren entgegen der
Einbahnstraßenrichtung zu ermöglichen. Eine
Maßnahme, von der die Stadt Oldenburg
glücklicherweise oft Gebrauch gemacht hat.
Viel Getöse um eine Novellierung, die nichts
Positives für den Fahrradverkehr bringt,
zumindst nichts, was vorher nicht schon
möglich gewesen wäre, wenn die Kommunen es
gewollt hätten: Die angeblichen Neuerungen
und Verbesserungen des Fahrradverkehrs werden
bereits heute schon angewandt (Bsp.
Fahrradstraße). Dagegen wird der
Benutzungszwang auf linke Radwege ausgeweitet
und dabei die anhaltende Diskussion über den
Sicherheitsgewinn oder -verlust durch Radwege
ignoriert. Es wird dringend Zeit, den in der
Vergangenheit fast ausschließlich an den
motorisierten Verkehr vergebenen Verkehrsraum
neu zu verteilen. Es mußt erkannt werden, daß
Verkehrsregeln allein wenig helfen, wenn
nicht daran gedacht wird, daß es auch
unmotorisierte Verkehrsteilnehmer ohne
schützende Karosserie gibt, die nur dann
wirksam geschützt werden können, wenn die
Gefahren reduziert werden, die im
wesentlichen von der Geschwindigkeit der
motorisierten Fahrzeuge ausgehen. Da helfen
weder Radfahrer- oder Fußgängerhelme noch
Radwege.
Stephan Popken
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