Ausgabe 11/96 | Seite 6 | |||||
fair ist nicht gleich fairDies ist inzwischen schon die dritte Ausgabe des Stachels, die sich mit dem Vor- und Nachspiel des diesjährigen Ökomarktes beschäftigt. Wer es trotzdem noch nicht mitbekommen hat: In der diesjährigen Ökomarktzeitung war ein Artikel des Dritte-Welt-Arbeitskreises überklebt. Der Artikel tauchte als Flugblatt am Ökomarkt wieder auf, überschrieben mit dem Wort Zensur. Um die Vorkommnisse noch einmal auf den Tisch zu bringen, hat der Ökomarktbeirat zusammen mit Kornkraft Hosüne eine Diskussion zum Thema "Naturkost/Naturwaren - Handel mit der 3. Welt" organisiert. Alle diesjährigen AusstellerInnen haben eine Einladung bekommen, auf deren Rückseite der zensierte Artikel im Orginalwortlaut abgedruckt war. Ich habe an der Veranstaltung im Umwelthaus teilgenommen und berichte als nicht direkt betroffene Beobachterin. Auf dem Podium sitzen VertreterInnen der am Streitfall beteiligten Oldenburger Gruppen. Außerdem sind Jochen Kuhlmann von der Gesellschaft zur Förderung der Partnerschaft mit der Dritten Welt (Gepa) und Ulrich Walter, Geschäftsführer der Firma Lebensbaum, gekommen. Eine einheitliche Stellungnahme von Seiten des Ökomarktes zum Zensurvorwurf bekommen die anwesenden LadnerInnen nicht zu hören. Der Ökomarktbeirat war sich nicht einig, wie er reagieren sollte, als Matthias Gebbel, Geschäftsführer von der Erzeugergemeinschaft im Großmarkt Oldenburg anrief: Er fände den Artikel polemisch geschrieben und unsachlich und werde die 3000 Exemplare an die Läden nicht verteilen. Einige Beiräte stimmten gegen Zensur, doch so schnell war keine Gegendarstellung zu bekommen.
Für das Geld - gegen die Meinungsfreiheit"Wir wollten uns nicht auf juristisches Glatteis begeben", begründet Volker Harms, Mitglied des Beirates, die Entscheidung für die Überklebeaktion. Im Laufe der Diskussion wird klar, was er damit meint: Die Ökomarktzeitung wird durch die Anzeigen der AusstellerInnen finanziert. Sehen sie ihren Werbevorteil nicht erfüllt, können sie sich weigern ihre Anzeigen zu bezahlen. Der Beirat entschied sich also für das Geld, gegen die Meinungsfreiheit und die Ökologie: Der umstrittene Artikel wurde mit einseitig klebender Papierfolie verdeckt. Mit dem Ergebnis, daß ein Berg von 5000 Plastikfolien entstand. Bisher gibt es keine Richtlinien, nach denen die Artikel für die Ökomarktzeitung ausgewählt werden, außer sie enthalten Eigenwerbung. Die Entscheidung trifft der jährlich gewählte sechsköpfige Beirat zusammen mit den drei Vorständen des Ökomarktvereins. Selbst der "Dritte Welt"-Arbeitskreis, der nicht Mitglied im Ökomarktverein ist, kann sich in den Beirat wählen lassen. Die offenen Strukturen sprechen eigentlich für Meinungsvielfalt in der Ökomarktzeitung. Doch einige der Anwesenden sehen sie als reines Werbeblatt, in das "ein solcher Artikel nicht hineingehört". Fazit: es besteht unter den Anwesenden Uneinigkeit über Sinn und Zweck der Ökomarktzeitung. Richtlinien für die zukünftige Umgehensweise mit den Inhalten der Ökomarktzeitung sollen auf der Jahreshauptversammlung des Ökomarktvereins im November erarbeitet werden. Dies ist das Ergebnis der einstündigen, zum Teil hitzigen Diskussion über die Vorkommnisse des heurigen Ökomarktes. Bleibt die Frage: Was ist "fairer Handel"? Antworten sollen die beiden Referenten von auswärts liefern: Jochen Kuhlmann von der Gepa und Ulrich Walter von Lebensbaum. Seiner Firma wurde in dem zensierten Artikel vorgeworfen, Kaffee von der mexikanischen Finca Irlanda mit einem selbstgemachten Fair-Trade-Siegel zu vermarkten, obwohl das Projekt den gängigen Regeln des fairen Kaffeehandels widerspricht. Diese Angriffe sind nicht neu. Vor 18 Monaten startete die Freie ArbeiterInnen Union (FAU) eine Kampagne gegen Lebensbaum mit folgender Begründung (Argumente aus einem Flugblatt der FAU): Die Finca Irlanda ist im Besitz der deutschstämmigen Familie Peters, der die Erträge aus dem Kaffeehandel zuflie en. Sie bezahlen ihren ArbeiterInnen den gesetzlichen mexikanischen Mindestlohn (18 Pesos), der unter dem Existenzminimum liegt. Davon werden täglich drei Pesos für Verpflegung abgezogen. Die kostenlos zur Verfügung gestellten Wohnungen gleichen Baracken. Die FAU kommt zu folgender zusammenfassender Bewertung: "In keinem der untersuchten Punkte unterscheiden sich die Bedingungen auf der Finca Irlanda nennenswert von den Arbeits- und Lebensbedingungen auf den anderen Kaffee-Fincas im Socunosco, die z. B. von der mexikanischen Tageszeitung La Jornada als 'das barbarische Mexiko am Ende dieses Jahrhunderts' qualifiziert werden. Die ArbeiterInnen auf der Finca haben ganz offensichtlich keinerlei Nutzen von dem hohen Verkaufspreis des von ihnen gepflückten Kaffees. Bernd Peters gibt dies auch ganz unumwunden zu: 'Den Aufschlag für ein biologisch-dynamisches Produkt investiert die Finca Irlanda in die organische Anbauweise des Kaffees'". Dies ist auch die einzige Rechtfertigung von Walter Ulrich für den Handel mit der umstrittenen Finca: Bei der Finca Irlanda handelt es sich um das Welt-Pionierprojekt in Sachen organisch-biologischer Kaffeeanbau. Ansonsten läßt er sich auf keine inhaltliche Diskussion ein. Stattdessen schimpft er über seine angeblichen WidersacherInnen: "Die Angriffe kommen aus einem speziellen politischen Spektrum, das Unterstellungen aufwirft, statt Fragen zu stellen. Mit einer Szene, die solche Umgangsformen hat, will ich nichts zu tun haben". Daß er selber kein gutes Gesprächsverhalten an den Tag legt, sich nicht an Redezeiten hält und andere unterbricht, scheint ihn nicht zu stören. Außerdem kann er nicht eingestehen, daß er auf seinen Kaffeepackungen nicht mit den Worten "Guter Kaffee: Zu fairen Preisen erzeugt, fair gehandelt" Werbung machen sollte.
Kriterien für fairen HandelJochen Kuhlmann bringt seine Kriterien für fairen Handel mit Kaffee ruhig und sachlich hervor: Zusammenarbeit mit Genossenschaften und nicht mit GroßgrundbesitzerInnen, Garantie von Mindestpreisen, Aufschläge für soziale Projekte, Vorfinanzierung und langfristige Abnahmegarantien. Inga Kurschat und Ronald Sperling vom Arbeitskreis "Dritte" Welt stimmen den Regeln im wesentlichen zu. Trotzdem kaufen sie seit einigen Jahren keine Produkte mehr bei der Gepa. Dies ist eine Reaktion auf die sich ändernde Vermarktungsstrategie der Gepa: Seit Anfang der 90er Jahre begann Gepa u. a. Kaffee an Gro verbraucherInnen direkt, also nicht über die regionalen "Dritte" Welt Läden, zu verkaufen. Neuerdings wird auch die Belieferung von kommerziellen Geschäften und die Etablierung von Franchise-Läden (d. h. formal unabhängige Läden, die aber ausschlie lich Gepa-Produkte verkaufen dürfen, ähnlich wie Benetton oder McDonalds) geplant. Inga Kurschat kritisiert, da Öffentlichkeits- und Bildungsarbeit bei solchen Vermarktungswegen zum Teil zu kurz kommen. Handel ist beim Arbeitskreis "Dritte" Welt zweitrangig, in erster Linie geht es um die Sensibilisierung der KonsumentInnen. Der Arbeitskreis "Dritte" Welt kauft seine Produkte bei der MITKA, die 1986 mit dem Ziel gegründet wurde, Kaffee aus Mittelamerika (hauptsächlich Nicaragua) direkt zu importieren. Inzwischen sind u. a. El Puente (gegründet 1972 und damit älteste Non-Profit-Importorganisation der BRD) und Dritte-Welt-Partner Ravensburg (1988 vom Ravensburger Weltladen-Verein gegründet, heute jedoch unabhängig) Mitglieder bei MITKA.
Was ist TransFair?Die VertreterInnen auf dem Podium sind sich einig, daß die Kriterien für fairen Handel von Gepa und MITKA im wesentlichen übereinstimmen. Es besteht jedoch ein formaler Unterschied: Im Gegensatz zu Kaffee, Tee, Honig und Kakao von der Gepa tragen die Produkte von MITKA kein TransFair-Siegel. Der 1991 gegründete "Verein zur Förderung des Fairen Handels mit der Dritten Welt", TransFair, hat 30 Mitgliedsorganisationen, deren wichtigste die großen kirchlichen Hilfswerke und die Friedrich-Ebert-Stiftung sind. Anders als die Importorganisationen (Gepa, MITKA, El Puente und der Dritte-Welt-Partner Ravensburg) ist TransFair nicht selbst im Handel tätig, sondern prüft Produkte und vergibt das Gütesiegel. Die Vergabe des TransFair-Siegels ist an zwei grundsätzliche Regeln gebunden: Die Handelsfirma mu direkt mit den ProduzentInnen verhandeln, so da ZwischenhändlerInnen ausgeschaltet werden. Au erdem mu ein Mindestpreis gezahlt werden. Ronald Sperling kritisiert, da zwar "die Herstellung des Produktes, aber nicht die Handelsstrukturen in Deutschland" bewertet werden. Gro röstereien können sich ihr faires Mäntelchen anziehen, ohne an ihren ausbeuterischen Handelsstrukturen etwas zu ändern. So hat zum Beispiel Europas gr" te Kaffeerösterei, die Union Rösterei, gleich im ersten Jahr 60% des TransFair-Siegelmarktes beherrscht. ,Auch wir hatten am Anfang Schwierigkeiten, uns darauf einzulassen, von anderen geprüft zu werden", erzählt Jochen Kuhlmann. "Doch die KonsumentInnen sollen sich auf ein Markenzeichen verlassen können. Deshalb sind wir doch bei TransFair eingestiegen". Jochen Kuhlmann sieht die Gefahr, da TransFair e.V. die Kriterien für einzelne Produkte herunterschraube, um sein Siegel an GroßkundInnen zu "verkaufen". Fazit des Abends: Für die Naturkostszene heißt es aufgepaßt. Zu viele Marken und Zeichen kursieren. Dies verschleiert die Tatsache, daß einige vielleicht doch fairer handeln als andere. Bärbel Epp
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