Ausgabe 10/96 | Seite 1 | |||||
Rote Zahlen - schwarze ZukunftDer Pulverdampf des Kommualwahlkampfes ist verraucht, Mandate und Posten sind vergeben. Während die Wahlentscheidungen oft mehr durch die geplagten Sehnerven und ein Gefühl des Ärgers bestimmt wurden, während der Verstand oft nicht herausbekam, worin der entscheidende Unterschied zwischen den männlichen OB-Kandidaten bestand, stehen jetzt Entscheidungen an, für die keiner von beiden eine Hilfe in Aussicht stellen konnte. Es geht darum, wie Oldenburg das jährliche zig- Millionen-Defizit wegbekommt. In dieser Frage werden Entscheidungen gefällt werden, die das Leben in der Stadt völlig verändern können. Doch auch wenn die Kommune dem Programm der Pöschel-Partei CDU folgen würde und viele der nicht gesetzlich vorgeschriebenen freiwilligen Leistungen streichen würde, wenn ALSO-Büro und Kulturetage verschwinden würden, auch dann würde sich das Minus nicht wesentlich verringern. Allein schon die Erfüllung der Bundes- und Landesbeschlüsse drückt die Stadt ins Defizit. Aus eigener Kraft kann sie Ausgaben und Einnahmen nicht ausgleichen.
Politisch gewolltes Defizit
Der Schlüssel zur Verhinderung des Bankerotts der Kommunen liegt allein in Bonn und Hannover. Auch dort wird auf das Defizit verwiesen. Doch im Gegensatz zu Kreisen und Städten besteht hier die Möglichkeit, durch eine andere Steuererhebung Einnahmen und Ausgaben ins Gleichgewicht zu bringen. Es ist kein Naturereignis, sondern allein eine politische Entscheidung, daß im Wesentlichen und in steigendem Maße Lohnsteuern und indirekte Steuern den Staat finanzieren, während Vermögen von immer mehr Steuern befreit werden. Die Vermögen wachsen kontinuierlich, die Lohnarbeit wird monatlich um ca. 10 000 Stellen reduziert. Da ist das Staatsdefizit eine logische Folge. Daß aber auch ohne revolutionäre Entscheidungen genügend Geld für eine Besteuerung nutzbar gemacht werden kann, zeigt der folgende Auszug aus einem Artikel zu den "Hinter- und Abgründen der Staatsverschuldung" von Paul Rieckmann. Wer es ausführlich nachlesen möchte: Der Artikel ist vollständig in der Kommune 8/96 und im Reader zur Vorbereitung des 2. Strategiekongr esses der Grünen zu finden. Es wird spannend sein zu beobachten, wie die Grünen auf dieser Basis die Schuldenfrage entscheiden werden.
"Kohlsche Umverteilungsmanie oder die bestellte Finanzkrankheit
Deutschland zählt zu den reichsten Ländern der Welt. Das in Geld ausgedrückte Vermögen beträgt circa 10.000 Milliarden DM. Beinahe die Hälfte davon ist Geldvermögen der privaten Haushalte und spiegelt sich in Wertpapieren aller Art, Anlagen bei Versicherungen und Bankeinlagen wider. Bei einer gleichmäßigen Verteilung hätte jeder deutsche Haushalt ein beträchtliches Vermögen. Dem ist nicht so: Die unteren 50 Prozent der Haushalte verfügen über ganze 2,5 Prozent des privaten Geldvermögens. Die obersten 10 Prozent dagegen verfügen über mehr als 50 Prozent. Das Geldvermögen und sonstige Vermögen hat sich in immer weniger Händen konzentriert. Selbst konservative Blätter oder Institutionen wie die katholische Kirche befinden, daß sich Deutschland auf dem Weg zu einer Klassengesellschaft ganz neuer Art befindet. .... 2,5 Millionen wohlhabende Haushalte in der Bundesrepublik stehen vier Millionen minderbemittelte Familien gegenüber, die aus Sicht heutiger Lebensgewohnheiten kaum das Notwendigste zum Leben haben. Sieben Millionen Haushalte zählen im weitesten Sinne zu den gut betuchten, sind aber nicht reich. Gleichzeitig steigt die Zahl der Sozialhilfeempfänger jährlich um zehn Prozent."
Steuergerechtigkeit?
"In dieser Situation streicht die konservative Bundesregierung an allen sozialen Ecken und Kanten und macht sich gleichzeitig zugunsten der Reichen an die Streichung der Vermögenssteuer heran. ... In Deutschland leben zur Zeit über eine Million Vermögensmillionäre. Daß dies kein Zufall ist, dafür haben die Bonner Umverteilungen gesorgt. Seit 1982 ist die Steuergerechtigkeit endgültig unter die Räder gekommen. Die Lohnsteuer als Abgabe der arbeitenden Bevölkerung steigt unentwegt. Die veranlagte Einkommenssteuer sinkt dagegen. Zeitgleich ist die Umsatzsteuer deutlich gestiegen, so daß über den Konsum der privaten Haushalte vor allem eine Belastung der "unteren 90 Prozent der Bevölkerung" zu verzeichnen ist. Und die Besteuerung der Einkommen ist durch vielfältigste Subventionsmöglichkeiten für die Bestverdienenden schreiend ungerecht. Je mehr man in Abschreibungsprojekte investieren kann, um so weniger wird an das Finanzamt abgeführt. Vom komplizierten Steuerrecht mit seinen unzähligen Ausnahmeregeln, Abzugsmöglichkeiten, Fördermodellen und Abschreibungskonstruktionen profitieren nur die Spitzenverdiener. Steuervermeidung ist zum Volkssport der Reichen und Superreichen geworden. Gleichzeitig werden in abenteuerlichen Konstruktionen Gewinne in das steuerbegünstige nde Ausland geschaffen. Seit 1993 der Fiskus Zinseinkünfte oberhalb des Freibetrags mit einer 30prozentigen Abschlagssteuer belegt hat, haben die Reichen des Landes dreistellige Milliardenbeträge in Steueroasen verbracht. Die Einnahmeverluste sind beträchtlich. Die Zinseinnahmen in Deutschland belaufen sich auf über 130 Milliarden DM. Regelmäßig müßten pro Jahr circa 35 bis 40 Milliarden DM in die Finanzkassen fließen. Der Bundesfinanzministe r hatte zwar einen gewissen Schwund eingerechnet und jährliche Einnahmen von etwa 25 Milliarden DM prognostiziert. Tatsächlich werden nur 15 Milliarden DM eingenommen. Experten schätzen für 1994 und 1995 eine Geldkapitalflucht nach Luxemburg in Höhe von 225 Milliarden DM. Ins Bild paßt die Vernachlässigung der Steuerfahndung und der Betriebsprüfungen. In Deutschland stehen 60 Millionen Steuerzahlern gerade mal 1000 Steuerfahnder gegenüber. Und immer weniger Betriebsprüfungen finden statt. Seit 1982 ist das preisbereinigte Bruttosozialprodukt in Westdeutschland um fast 25 Prozent gestiegen. Wenn Einkommensströme größerer Bevölkerungsteile stagnieren oder gesunken sind, hat es Verlierer und Gewinner gegeben. ...
Der Kreislauf...
... der Kohlschen Distributionspolitik enthält folgende Momente: - Durch radikale steuerliche Begünstigung der Bestverdienenden wird das Vermögen der Gesellschaft in einem Korridor von zehn Prozent konzentriert. - Eine gesunkene Steuermoral und bewußt hingenommene Steuerflucht führen zu massiven Steuerausfällen. - Der Staat muß, da die Einnahmenpolitik der Regierung es so will, sich verschulden und vor allem im Sozialbereich wildern gehen. - Den Schulden wiederum stehen als Gläubiger die gerade steuerlich geschonten und/oder begünstigten Bestverdienenden gegenüber. - Politisch beerbt Kohl gegenüber den Wählern seine eigenen Fehlleistungen, da das Sparen scheinbar objektiver Natur und originäres Feld der Konservativen ist. Bestverdiener sind nicht Lehrer, BAT-IIa- Angestellte oder Haushalte mit einem Bruttojahrerseinkommen von 100.000 DM. Die Kohlitis deutscher Umverteilungspolitik besteht in formal relativ hohen Steuersätzen, die jedoch durch eine Vielfalt von Subventionsmöglichkeiten und Steuervergünsti gungen auf ein sehr niedriges Maß reduziert werden. Haushalte mit einem Einkommen von über 500.000 DM zahlen inzwischen in der Regel einen niedrigeren Steuersatz als Haushalte mit einem Jahreseinkommen von 100.000 DM ..." achim
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