Ausgabe 9/96 | Seite 1 | |||||
Zensur
oder Schutz vor Verleumdung?
"Ja, Firma S., G.:
Seltsame Dinge konnten beobachtet werden: Manche Kunden von Naturkostläden nahmen sich eine Ökomarktzeitung, die dort auslag, zogen vorsichtig an einem Blatt dieser Zeitung - und hatten plötzlich eine überklebte Seite freigelegt. Was war geschehen? War ein Artikel zensiert worden? Eben dieses Wort "Zensur" prangte fett auf der nachgedruckten Seite, die später vom 3.Welt-Laden verteilt wurde.
Vorabdruck - eine andere Zeitung
Wie schon in den letzten Jahren baten wir die Redaktion der Ökomarktzeitung auch dieses Mal, uns einen Vorabdruck aus dem Satzcomputer zukommen zu lassen, damit wir mit Hilfe dieser Vorlage unsere eigene Ankündigung des Ökomarkts gestalten konnten. So faßten wir dann in der Augustausgabe des Stachels einige im Ökomarktblatt ausführlich dargestellten Inhalte kurz zusammen, um einen Überblick über das Marktangebot und seine politischen Hintergründe zu geben. Mit dabei war auch der 3.Welt-Laden, der ebenfalls einen Stand angekündigt hatte. Wie waren wir erstaunt, als wir nach Erscheinen des Auguststachels und der Ökomarktzeitung feststellen mußten, daß die Quelle unserer Zeilen über die Kritik des 3.Welt-Ladens verschwunden war! Fünftausendmal war diese ursprüngliche Seite der Ökomarktzeitung überklebt worden!
Ganz ohne unser eigenes Zutun und Wissen hatten wir eine Wandlung vom Original zur Fälschung dokumentiert. Diese Ketzerei gegen die ökologische Gemeinschaftskirche brachte uns flugs eine Boykottandrohung des S. ein. Unwissenheit schützt vor Strafe nicht!
Wie kam es zur Klebeaktion?
Unsere Nachfragen ergaben dann folgendes Bild: Der ursprüngliche Inhalt der Ökomarktzeitung war von der Redaktion vollständig dem Beirat des Ökomarktvereins vorgelegt worden. Der Beirat hatte alle Artikel der Zeitung gutgeheißen. Einige hatten jedoch erst spät abends auf dem Tisch gelegen, und ihre Bedeutung bzw. Sprengkraft erkannten alle Beteiligten nicht so schnell. Wie genehmigt wurde der Inhalt zum Setzen und Drucken gegeben. Als die fertige Zeitung an die Verteiler ausgeliefert worden war, prasselten plötzlich schwere Anklagen auf die Redaktion nieder. Die Naturkost- Erzeugergemeinschaft hatte den 3.Welt-Laden um Hintergrundinformationen zu seinem Artikel gebeten und ausführliches Material erhalten. Auf diesem Weg und durch Hinweise von Naturkostlädnern war deutlich geworden, daß es eine überregionale Kampagne zu den Entstehungsbedingungen der 3.Welt-Produkte in den Naturkostläden gibt, während der gegen einzelne Großhändler schwere Vorwürfe erhoben worden waren. Statt diese Informationen nun zum Anlaß für eine eigene Stellungnahme und für eine Auseinandersetzung mit der Kritik zu nehmen, weigerte sich die Erzeugergemeinschaft, wie verabredet 3000 Exemplare der Ökomarktzeitung an die Läden auszuliefern. Zudem mußte sich die Redaktion anhören, daß die von ihr "nicht richtig" gestaltete Zeitung auch rechtliche Konsequenzen für sie haben könnte. Nicht diese Perspektive führte jedoch zu der Überklebeaktion, sondern die reale Gefahr, daß das Ergebnis wochenlanger ehrenamtlicher Arbeit nicht zu den LeserInnen gelangen würde. Schweren Herzens und widerwillig entschloß sich die Redaktion, das für sie kleinere Übel zu wählen und den Artikel des 3.Welt-Ladens aus der Ökomarktzeitung zu verbannen.
Offenheit schafft Vertrauen!
Ich kann gut verstehen, daß einige NaturkostlädnerInnen die pauschale Kritik des 3.Welt-Ladens als ungerechtfertigt empfinden; ich denke auch, daß sie Angst haben, daß ihr guter Ruf zu Unrecht beschädigt werden könnte und ihre Kunden das Vertrauen zu ihnen verlieren könnten. Genau das wird jedoch mit Sicherheit eintreten, wenn Kritik offensichtlich unterdrückt und die offene Auseinandersetzung gescheut wird. Der Verdacht wird wachsen, daß es hier etwas zu verbergen gebe. Um die Diskussion zu fördern, haben wir den 3.Welt-Laden, eine Vertreterin eines Naturkostladens und die Naturkost- Erzeugergemeinschaft zu einem Beitrag aufgefordert. Ihre Stellungnahmen sind in diesem Stachel zu lesen.
Stachel und Ökoszene
Die Geschichte des Stachels war eng mit der Entwicklung der "Ökomarkt-Szene" verflochten. Zahlreiche alternative Betriebe und Naturkostläden inserieren im Stachel und ermöglichen so sein weiteres Erscheinen. Gab es auch manchmal Unmut über Inhalt oder Erscheinungsbild, so zeigten doch nicht selten gerade die "Ökos" Sympathie für das Überbleibsel aus bewegter Zeit. Auch die AutorInnen des Stachels waren oft persönlich eng mit den alternativen Betrieben verbunden. Wenn wir nun einen Teil der "Ökoszene" kritisieren, haben wir durchaus die Befürchtung, daß das unserer weiteren Existenz schaden könnte. Ebenfalls befürchten wir Feindseligkeit aus Kreisen, deren Urteil uns immer sehr wichtig war. Wir haben uns trotzdem dazu entschlossen, darauf hinzuweisen, daß entgegen G.s Meinung überhaupt nichts klar ist, wenn Kritik und gegensätzliche Standpunkte nicht offen ausdiskutiert, sondern unter den Teppich gekehrt werden. Denn Forum für Diskussionen zu sein, die anderswo nicht zugelassen werden, genau das sieht der Stachel als seine Aufgabe an.
achim
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