Oldenburger STACHEL Ausgabe 9/96      Seite 5
 
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Arbeitskräfte im Ausverkauf

Weltmarktfabriken in Mexico

Aurora Pelayo (Tijuana, Mexico) und Mary Tong (San Diego, USA) berichten über Arbeits- und Lebensbedingungen in den "freien" Produktionszonen

Unternehmen aus den Industriestaaten begannen in den 60er Jahren, die arbeitsintensiven Produktionsbereiche in die Länder der "Dritten Welt" auszulagern. In den "freien" Produktionszonen (in Lateinamerika "Maquilas" genannt) werden ihnen neben minimalen Löhnen besondere Vergünstigungen geboten: sie brauchen keine Zölle für die Einfuhr von Rohstoffen und Maschinen und häufig auch keine Steuern zahlen, sie können ihre Gewinne ohne Einschränkungen ins Ausland überweisen, ihnen werden die Produktionsgebäude und die Verkehrsanbindungen gestellt und es gelten umfangreiche Einschränkungen bei den nationalen Arbeitsgesetzen und Umweltschutzauflagen. Anfänglich waren es vorwiegend Unternehmen der Bekleidungsindustrie, die sich in den "freien" Produktionszonen ansiedelten. Aus importierten Stoffen nähen die dort beschäftigten Frauen unter miserablen Arbeitsbedingungen und zu niedrigsten Löhnen Wäsche und Kleidung, die anschließend wieder exportiert und bei uns verkauft werden. Mittlerweile haben viele andere Industrie- und Dienstleistungsunternehmen ihre Produktion internationalisiert und produzieren weltweit an verschiedensten Standorten in "freien" Produktionszonen.

Die ersten "freien" Produktionszonen entstanden in Südostasien und in Mexiko. Heute gibt es sie in fast allen Ländern der Dritten Welt und in Osteuropa und ihre Zahl nimmt stetig zu. Dabei überbieten sich die einzelnen Staaten in ihren Zugeständnissen gegenüber den multinationalen Unternehmen. Werden an einem anderen Standort niedrigere Löhne und noch günstigere Bedingungen geboten, ziehen die Unternehmen weiter. "Der ideale Standort wäre", so ein Manager von Philips, "einen Supertanker mit Fertigungsstätten zu bauen, der dort vor Anker geht, wo es gerade am billigsten ist."

Während auch deutsche Unternehmen seit Jahren Teile ihrer Produktion ins Ausland verlagern, haben sie gleichzeitig eine "Standort-Debatte" angezettelt, in der die Unternehmervertreter vollmundig erklären, daß die Löhne und Sozialleistungen in der Bundesrepublik zu hoch seien und sie also gezwungen würden, ihre Produktionsstätten an günstigere Standorte zu verlegen. Indem die Beschäftigten an den verschiedenen Standorten gegeneinander ausgespielt werden, sollen sie gezwungen werden, Lohneinbußen zu akzeptieren und auf erkämpfte soziale Errungenschaften (z.B. Lohnfortzahlung bei Krankheit) zu verzichten. Die andere Seite der Medaille sind die bei uns billigen Konsumgüter aus den "freien" Produktionszonen; wobei wir (als KonsumentInnen) allzu leicht vergessen, daß sie nur durch die Ausbeutung der ArbeiterInnen und die miesen Arbeitsbedingungen in den Weltmarktfabriken so günstig sind. Dies gilt übrigens auch für viele der teureren Markenartikel!

In Mexiko sind 1965 die ersten Maquilas in der Grenzregion zur USA entstanden. Mit einem Programm zur Industrialisierung der Grenzregion wollte die mexikanische Regierung Arbeitsplätze für die Saisonarbeiter schaffen, die aufgrund des Einreiseverbots nicht mehr in der US-Landwirtschaft arbeiten konnten. Angezogen durch die niedrigen Löhne und die Nähe zum US-Markt eröffneten Unternehmen der Bekleidungs-, Schuh-, Elektronik-, Plastik- und Automobilindustrie aus den USA sowie deren mexikanische Subunternehmen Montagebetriebe in der Region. Mit dem Beitritt Mexicos zur NAFTA (Nordamerikanisches Freihandelsabkommen) haben in den letzten Jahren auch zunehmend Unternehmen aus Japan und Südkorea Maquilas in nächster Nähe zum US-Markt gegründet. Mittlerweile existieren etwa 3000 Betriebe mit über einer halben Million Beschäftigten, davon etwa 60% Frauen.

Abgesehen von einigen Maquilas, die mit moderner Technik produzieren und bessere Arbeitsbedingungen für die Beschäftigten bieten, erinnern die Bedingungen in vielen Betrieben an frühkapitalistische Zeiten. Nach der Abwertung des mexikanischen Peso 1994/95 liegt der durchschnittliche Wochenlohn bei 25 US-$, sodaß ihr Lohn, der zum Teil auch nicht regelmäßig ausgezahlt wird, nicht zum Überleben ausreicht. Lange Arbeitstage, Streß, fehlende Sicherheitsmaßnahmen und Lüftungen und der Umgang mit giftigen Substanzen führen zu schweren Krankheiten und zahlreichen Arbeitsunfällen. Die Mißachtung der bestehenden Arbeitsgesetze wie auch sexuelle Belästigungen und Übergriffe gegen Frauen sind an der Tagesordnung. Die Mitarbeit in Gewerkschaften oder kollektive Aktionen gegen die Übergriffe der Betriebsleitungen führen in der Regel zur Entlassung. In vielen Wohngebieten der ArbeiterInnen gibt es keine Elektrizitätsversorgung oder Kanalisation, und sie werden darüberhinaus durch die giftigen Abfälle und Abwässer aus vielen Maquila-Betrieben belastet.

In den letzten Jahren haben sich zahlreiche ArbeiterInnen in Selbsthilfeorganisationen organisiert. Durch gemeinsame Aktionen oder die Bildung von eigenständigen Gewerkschaftsgruppen versuchen sie, ihre Lebenbedingungen zu verbessern und sich gegen die schlechten Arbeitsbedingungen in den Maquila-Betrieben zu wehren. Durch ihre Vernetzung und den Kontakt zu Gewerkschaften und UnterstützerInnengruppen in den USA ist es in einigen Fällen gelungen, Druck auf verschiedene US-Unternehmen auszuüben, um die Bedingungen in den Maquilas zu verbessern.

Von der Selbsthilfeorganisation ,Comite de Apoyo Fronterizo Obrero Regional" aus Tijuana, dem Zentrum der Maquila-Industrie, haben wir Aurora Pelayo eingeladen. Begleitet wird sie von Mary Tong, einer Mitarbeiterin eines Unterstützungskommittee (,Support Committee for Maquila Workers") aus San Diego (USA). Sie werden über die Situation und den Widerstand in den mexikanischen Maquilas und über die Arbeit ihrer Organisationen berichten.

VeranstalteterInnen: Lateinamerikagruppe, "Dritte Welt" Informationszentrum und Laden Oldenburg, Viva Maria, ALSO


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