Ausgabe 8/96 | Seite 3 | |||||
Erfolgreich: Camp, Demonstration und spontane BlockadenUnweit des AKW Esenshamm am Sportplatz Kleinensiel waren ständig über 60 Personen im Anti-Atom-Camp versammelt. Bei der friedlichen und bunten Demonstration am Samstag vom Camp zum Atomkraftwerk waren gut 140 AtomkraftgegnerInnen anwesend. Das vom Arbeitskreis Wesermarsch veranstaltete Aktionswochenende war somit die größte Widerstandsveranstaltung gegen das AKW seit vielen Jahren.
Am Samstagvormittag fanden ab ca. 10.00 Uhr in Rodenkirchen und Nordenham kleinere Demonstrationen und Aktionen statt, um auf die tödlichen Risiken aus dem Betrieb von Atomkraftwerken, hier speziell dem AKW Esenshamm, hinzuweisen. Um die Gefahr zu verdeutlichen, wurden "Jodtabletten" und Informationsflugblätter verteilt, in denen die Nichtbeherrschbarkeit einer möglichen Atomkatastrophe und deren Konsequenzen für die Bevölkerung vor dem Hintergrund des Katastrophen"abwehr"plans für das AKW Esenshamm dargestellt wurden. Iris Kunze vom Jugendumweltbüro Oldenburg: "Nach einem größeren Unfall im AKW Esenshamm kann nahezu die gesamte Bevölkerung von Nordenham in Folge der atomaren Verseuchung innerhalb weniger Monate sterben. Und eine Versorgung atomar verstrahlter Menschen ist in der gesamten Region nicht möglich. Alleine in Oldenburg können 13.000 Menschen innerhalb von einigen Monaten an der Radioaktivität und die gleiche Menge von Menschen langfristig an Krebs sterben."
Ab 12.00 Uhr begannen die Auftaktveranstaltungen zur Demonstration im und um das Camp. Am Fähranleger an der Weser und im Camp wurde über das AKW und sein Gefahrenpotential informiert. Die Demonstration begann kurz nach 15.00 Uhr am Camp und machte auf dem Weg zum AKW einen Abstecher zum Fähranleger, wo in einem Redebeitrag von Anne Kistner und Dorina Scholz auf die jüngsten Störfälle im AKW eingegangen wurde. Um 16.30 Uhr fand die Abschlußkundgebung vor dem Haupttor des Atomkraftwerkes mit einem Redebeitrag von Ingo Harms vom Oldenburger Energierat statt. Weiter wurde eine Solidaritätserklärung des Studierendenparlaments der Carl-von-Ossietzky-Universität Oldenburg mit dem Camp und der Demonstration bekanntgegeben. In einem Gespräch bewertete Ursula Schönberger, atompolitische Sprecherin der Bundestagsfraktion Bündnis 90/DIE GRÜNEN, die Demonstration als gelungen. Nach dem Ende der Demonstration wurden das Haupttor und später auch alle Nebentore stundenlang von den AtomkraftgegnerInnen blockiert. Gleichzeitig führte eine Gruppe von Leuten auf der Weser am Kühlwassereinlaß des AKWs eine spektakuläre Aktion durch. Mit Booten ruderten sie zu zwei ca. 100 Meter voneinander entfernten Pollern und befestigten dazwischen ein riesiges Transparent mit der Aufschrift "Das AKW bleibt aus!".
Am frühen Sonntagmorgen wurde der vorverlegte Schichtwechsel im Atomkraftwerk um 5.30 Uhr durch die Camp-TeilnehmerInnen, die vor den Toren und auf der Straße frühstückten, erfolgreich verzögert, indem sie bis zu 4 Tore friedlich blockierten. Somit war das Atomkraftwerk zeitweise vollkommen vom Verkehr abgeschnitten. Die letzten Blockaden wurden erst um ca. 10.00 Uhr beendet.
Besonders gefreut hat Tobias Höpner vom AK-Wesermarsch, daß AtomkraftgegnerInnen aus dem ganzen Bundesgebiet an dem Camp teilgenommen haben. Hans-Otto Meyer-Ott aus Brake stellte auf dem Abschlußplenum am Sonntag fest, daß dieses Camp ein schöner Erfolg und wertvolle Unterstützung für die zukünftige Arbeit des AK Wesermarsch sei. Auch im nächsten Jahr solle wieder ein solches Camp stattfinden. Während des Camps wurden viele neue Kontakte unter den AtomkraftgegnerInnen geschlossen und vorhandene aufgefrischt, so daß in Zukunft die Arbeit und weitere Aktionen gegen die Atomindustrie noch besser gemeinsam durchgeführt werden können.
Für den Arbeitskreis Wesermarsch Richard Meinsen P.S.: Für Fotos können Sie sich an mich wenden. (Tel. 0441-85932, Fax 0441-85792)
Rede von Ingo Harms (Energierat Oldenburg)zur Abschlußkundgebung auf der Demonstration gegen das Atomkraftwerk Esenshamm am 27.7.1996
Liebe Freunde, liebe Umweltbewegte, liebe Atomgegnerinnen und Atomgegener!
Vom Atomkraftwerk Esenhamm gehen so unvorstellbare Gefahren aus, daß es davor keinen Schutz gibt daß deshalb keine amtlichen Untersuchungen über die Folgen existieren daß sich die Versicherungen deshalb aus dem Risiko zurückgezogen haben
Niemand kann die Verantwortung für dieses Risiko übernehmen. Wer sich dennoch für verantwortlich erklärt, entlarvt sich selbst als Zyniker. Nach einer Kernschmelze ist es bedeutungslos, ob jemand zahlt oder wer verurteilt wird. Es gibt keinen Zweifel, daß eine Kernschmelze überall und jederzeit möglich ist. Das kann zehn Jahre nach Tschernobyl nicht oft genug wiederholt werden: Jedes Atomkraftwerk, ob russisch, ukrainisch, englisch, französisch oder deutsch, kann versagen. Eine Kernschmelze in Esenshamm kann noch in 100 Kilometer Entfernung eine mehrfach tödliche Dosis zur Folge haben. Tschernobyl hat auch eine sprachliche Katastrophe verursacht. Vor Tschernobyl galt die offizielle Sprachregelung, daß kein Atomkraftwerk weltweit versagen könne. Hier, vor diesem Kraftwerk, hat sich der Atomkonzern PreußenElektra mündlich und schriftlich dafür verbürgt. Heute wird zwischen schlampiger und verläßlicher Atomtechnik unterschieden. Die schlampige ist immer dort, wo ein AKW versagt, die verläßliche ist immer hier, in Deutschland. Das nukleare Siechtum zehntausender ukrainischer und belarussischer Menschen dient als angeblicher Beweis deutscher Sicherheit. Das ist der sprachliche Super-GAU, das ist der deutsche Atomzynismus. Die Landesregierung erklärt den Betrieb atomtechnischer Anlagen für unverantwortbar. Das bedeutet, Herr Schröder und Frau Griefahn verantworten seit Jahren das Unverantwortbare. Aber damit nicht genug: Schröder, der heute nicht mehr die Fabrikhallen sondern die Chefetagen aufsucht, will den Energiekonsens. Damit will er auch und gerade uns Atomgegnerinnen und Atomgegner in die Mitverantwortung für das nukleare Abenteuer zwingen. Wir sollen nicht nur stillhalten, wir sollen Ja sagen. Doch wir sagen Nein. Dieser perfiden Atompolitik, die sich als Ausstiegspolitik verkauft, hat die Opposition nichts entgegenzusetzen. Im Gegenteil, die rotgrüne Koalition hat der Atomindustrie mehr genützt als die vorangegangen 14 Jahre schwarzer Durchmarsch. Für uns Atomgegnerinnen und Atomgegner wird damit einmal mehr die grundsätzliche Ohnmacht des parlamentarischen Weges unter Beweis gestellt. Die Befreiung von der atomaren Bedrohung kann nicht vom Parteienklüngel ausgehen, weil der Parteienklüngel Teil des Problems ist. Parteipolitik beugt sich heute mehr denn je der Knute der wirtschaftlichen Rezession. In einer Zeit der leeren Staatskassen gelten Atomkonzern nicht mehr als suspekt. Sie übernehmen immer größere Teile der öffentlichen Aufgaben und gefallen sich schon in der Rolle der Kulturmäzene. Kinder werden nicht mehr über die Gefahren von Atomkraftwerken aufgeklärt, sondern Atomkonzerne wie die EWE sponsern Kinderbuchmessen und verteilen Autorenpreise. Gerade die Kinder werden die Hauptleidtragenden der nuklearen Verseuchung sein. Schon heute häuft sich die Blutkrankheit Leukämie unter Kindern in der Nähe von Atomanlagen. Trotzdem gestattete die Landesregierung diesem Atomkraftwerk eine Erhöhung der radioaktiven Abgabewerte. Damit straft sie ihre eigenen Behauptungen, daß die bisherigen Abgaswerte nur zu einem Prozent ausgeschöpft wurden, Lügen. Lug und Trug statt Treu und Glauben, das ist das wahre Gesicht der Atomindustrie und der mit ihr interesseverwobenen Politik. Die Transnuklear-Affäre hat offenbart, daß im Atomkraftwerk Esenshamm radioaktive Abfälle umdeklariert und gesetzwidrig verschoben wurden. Von diesem Kraftwerk geht nicht nur atomare, sondern auch kriminelle Energie aus. Anstatt diese atomaren Hasardeure zur Rechenschaft zu ziehen und ihre Anlage stillzulegen, läßt die Politik sie ungeschoren. Im Gegenteil, sie dürfen sich öffentlich als Umweltschützer aufspielen, die der Atmosphäre angeblich jährlich 150 Millionen Tonnen Kohlendioxid ersparen. Die Wahrheit ist jedoch, daß mit den 100 Milliarden Mark, die das atomare Abenteuer bisher verschlang, mindestens das dreifache an Kohlendioxid hätte vermieden werden können, wenn diese Summe in vernünftige Energietechnik gesteckt worden wäre. Seit Jahren ist die Mehrheit der Bevölkerung gegen die Nutzung der Atomkraft. Aus Angst vor dem Super-GAU. Seit Jahren läßt sich die gleiche Mehrheit einreden, daß Atomkraft wirtschaftlich unverzichtbar sei. Aus Angst vor der Arbeitslosigkeit. Dem atomaren Lügenkartell gelingt es auf diese Weise, die geringe wirtschaftliche Bedeutung der Atomkraft ins Astronomische aufzublähen. Tatsächlich hat Atomenergie noch nicht einmal die 5-%-Hürde überschritten. Und Arbeitsplätze werden durch Atomkraft nicht geschaffen, sondern vernichtet! Nur von einer atomfreien, regenerativen Energieversorgung können neue Wirtschaftsimpulse ausgehen. Der sofortige Ausstieg aus der Atomenergie ist machbar. Das hat die neue Studie des Ökoinstituts einmal mehr bewiesen. Im Zeitalter des Energiekonsens ist die Forderung nach dem Sofortausstieg als politischer Radikalismus verschrien. Wer aber den Sofortausstieg ablehnt, verharmlost die ungeheuren Risiken der Atomtechnik und macht sich mitschuldig an der zunehmenden radioaktiven Verseuchung der Gegenwart und der Zukunft. Diese Politiker unterscheiden sich in nichts von den Atombefürwortern, den eigentlichen politischen Extremisten. Sie sind die nuklearen Fundamentalisten. Atomkraftwerke und Demokratie sind unvereinbar, weil die Folgen eines Atomunfalls irreversibel sind. Atomkraftwerke und Demokratie sind unvereinbar, weil Atomkraftwerke Quellen von Geld und Macht sind, vor denen die Macht der Wählerinnen und Wähler ins Nichts zerrinnt. Die Hoffnung, daß sich Atomenergie durch Wahlen abschaffen läßt, ist vergeblich. Der parlamentarische Weg hat sich als Bumerang erwiesen. Nur eine Opposition außerhalb der Parteien kann die notwendigen Forderungen formulieren. Wir fordern, daß dieses Atomkraftwerk nicht wieder in Betrieb genommen wird. Wir fordern die Abschaltung aller Atomkraftwerke, und zwar sofort. Sämtliche Ausgaben für Atomkraft und Atomforschung sind in den Bau von Blockheizkraftwerken, Photovoltaik, Windkraftwerken und die Nutzung von nachwachsenden Rohstoffen zu investieren. Zukunft kann erst beginnen, wenn die Atomenergie beendet ist.
Diese Veröffentlichung unterliegt dem Impressum des Oldenburger Stachel. Differenzen zur gedruckten Fassung sind nicht auszuschließen. Nachdruck nur mit Quellenangabe, Belegexemplar erbeten.
|
||||||
Differenzen zur gedruckten Fassung nicht auszuschließen. Dieser Text ist urheberrechtlich geschützt. Siehe auch Impressum dieser Ausgabe und Haupt-Impressum |