Oldenburger STACHEL Ausgabe 8/96      Seite 1
 
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Rückkehr, jetzt?

Höchstens freiwillig!

Offensichtlich ganz im Sinne der Stadtverwaltung Oldenburg wurde ihr Ausländerbeauftrag ter Werner Vahlenkamp am 25. Juli in der NWZ zitiert:"Wer, wenn nicht Leute wie er, sollen denn das zerstörte Land wieder aufbauen?" Gemeint war ein junger Mann aus Bosnien, der im Flüchtlingsheim Gaußstraße von Reporterin und Beauftragten überrascht wurde. Er wollte noch nicht ins ehemalige Jugoslawien zurück und bestritt, von der Ausländerbehörde der Stadt einen Aufforderungsbogen zur Ausreise im Oktober erhalten zu haben: "Wenn ich ihn bekommen habe, ist er jedenfalls verlorengegangen." Daß er auch kaum die Möglichkeit haben würde, jetzt "das zerstörte Land wieder aufzubauen", sollte auch einem Beauftragten bekannt sein, der AusländerInnen zur Seite stehen sollte.

Schon seit Beginn 96 rufen diejenigen, die meinen, Deutschland könne sich ein Auto für jeden zweiten Bürger, aber auf keinen Fall bosnische Flüchtlinge leisten, dazu auf, die vom Krieg Vertriebenen zurückzuschicken - notfalls durch Abschiebung. Sie nehmen dafür die formale Erfüllung des Dayton-Abkommens zum Vorwand. Doch nicht zuletzt die Kommunalwahl in Mostar hat gezeigt, daß in Bosnien nur eines gesichert ist: die ethnische Aufteilung des Landes und die Zementierung der Vertreibung Hunderttausender Flüchtlinge. Die konkrete Situation der RückkehrerInnen aus Deutschland interessiert diejenigen, die ihre Abschiebung verlangen, einen Dreck: In ihre Heimat können sie meistens nicht zurück, weil das der "Kriegsfeind" nicht zuläßt (siehe auch "Erkundungsfahrt nach Bosnien" im Stachel 5/96); im Gebiet "ihres Volkes" aber gibt es für sie kein Aus- und Unterkommen; die Häuser sind zerstört oder von anderen Flüchtlingen bewohnt; zudem schlägt den Rückkehrern oft Haß entgegen, sie werden als "Deserteure" bechimpft.

Der in Dayton vereinbarte Friede ist höchst instabil, er gleicht eher einem Waffenstillstand, waährenddessen die Kriegsparteien zum nächsten "Waffengang" rüsten. Allein die USA hatten die Kriegsgegner dazu gebracht, nicht mehr aufeinander zu schießen und ihren Teilungsplan anzuerkennen. Wenn die amerikanischen Soldaten Ende des Jahres wirklich abziehen, wird es fraglich sein, ob es die extremen Nationalisten für erforderlich halten, diesen Frieden weiterhin zu respektieren. Ihre Macht ist ungebrochen, eine Aussöhnung, ein Zusammenleben von Kroaten, Muslimen und Serben wird von keiner Macht gefördert und immer schwieriger.

Ganz gleich, welche Richtung sich bei den deutschen Innenministern in der Frage der Abschiebungen im Oktober durchsetzt, die Stadt Oldenburg sollte sich auf keinen Fall dazu hergeben, Abschiebungen nach Bosnien zu unterstützen. Es könnte eine Verfrachtung in Elend und Tod sein. Die Rückkehr der Flüchtlinge muß freiwillig erfolgen!

Über die Lage in Bosnien nach dem Friedensabkommen von Dayton berichtete am 9.5. der bei den Vereinten Nationen in Genf akkredierte Korrespondent Andreas Zumach in der Universität Oldenburg. Die Katholische Hochschulgemeinde KHG hatte ihn eingeladen, um die Diskussion in Oldenburg über eine realistische Bewertung des Daytoner Abkommens zu unterstützen. Wir übernehmen eine Zusammenfassung des Berichtes, die die KHG im Guckloch Nr. 3 veröffentlicht hat.


Bosnien nach dem Dayton-Abkommen

Die Massaker waren einkalkuliert!

Die Vereinten Nationen brauchen mehr Macht; zu ihnen gibt es auf der Welt keine Alternative, sie müssen Stop-Schilder aufstellen können, wenn auf der Welt Völkermorde geschehen. Solches tun zu können, heißt: die UN müssen reformiert werden. Dies vertrat der bei den UN in Genf akkreditierte Korrespondent Andreas Zumach, der auf Einladung der Katholischen Hoschschulgemeinde an der Universität Oldenburg über die Lage in Bosnien nach dem Friedensabkommen von Dayton sprach. Die UNO sei 50 Jahre nach Gründung auf dem Tiefpunkt ihrer Geschichte angelangt! Er zitierte den Generalsekretär der UN, Butros Ghahli, der in einem Interview von Anfang Mai 1996 die Massaker von Srebrenica und Zepa als "Tiefpunkte des Versagens der Weltgemeinschaft" beschrieben hatte. Mitte Juli 1995 hatten bosnische Serben die damaligen UN- Schutzzonen eingenommen, nachdem diese von den UNPROFOR verlassen worden waren. Es fanden Massaker an schätzungsweise 6.000 Muslimen statt, die bis heute als vermißt gelten. Die Vereinten Nationen - so der Generalsekretät -, denen die Öffentlichkeit die Schuld zuweise, hätten aber darauf keine Form des Einflusses gehabt, da sie nicht die Befehlsgewalt über die UN- Truppen gehabt hätten. Diese hätte bei dem englischen und dem französischen General gelegen, die sich nie ihre Befehle bei den UN geholt hätten, sondern ausschließlich bei ihren entsprechenden Regierungen in London und Paris. Daran wird deutlich - so Zumach -, daß es die UN als Subjekt nicht gibt. Was im Namen der UN in Bosnien getan worden ist, haben im eigentlichen Sinn fünf Länder bestimmt, die Länder der "Kontaktgruppe Bosnien": Frankreich, die USA, Großbritannien , Rußland und Deutschland.

Vertreibungen eingeplant

Zumach legte offen, daß die Vertreibungen der Muslime von der Politik eingeplant, zumindest billigend in Kauf genommen worden seien. Von Anfang an hätte die für Bosnien zuständige Kontaktgruppe eine Lösung des Problems darin gesehen, Bosnien in Gebiete für Serben, für Muslime und für Kroaten aufzuteilen, d.h. die Landkarte ethnisch zu bereinigen. Dies bewahrheitet ein Blick auf die verschiedenen Friedensinitiativen von Beginn an. In solche Konzepte waren die muslimischen Schutzzonen, in Form von Enklaven, nicht einzubauen. Von daher war durch den Rückzug der Friedenstruppen die Vertreibung geplant und gewollt. "Man mußte die 1000-fachen Massaker einkalkulieren", so Andreas Zumach, "weil sie die logische Folge des Abzugs waren". Daß solches geplant war, ist den Geheimdiensten und der Politik - und damit auch der deutschen Politik - ab Mitte Juni 1995 bekannt gewesen. Abgehörte Telefonate zwischen dem bosnisch-serbischen General Mladic und seinen Truppen belegen dies. Ein Haftbefehl für Mladic ist seit Monaten durch den Internationealen Gerichtshof in Den Haag ausgestellt - bisher ohne Erfolg.

Der zweite Akt in diesem "abgekarteten Spiel" sei die Offensive der bosnischen Armee und die Vertreibung der Kraijna-Serben durch die kroatische Armee gewesen. Die Frontlinien waren als Teil der Gesamtlösung abgesprochen zwischen den Parteien und waren Voraussetzung für das Friedensabkommen von Dayton. Das Friedensabkommen fußt also im Kern auf diesen geschaffenen Fakten. Ein Blick auf seinen Text macht ebenfalls deutlich, daß er sehr klare Aussagen zu den politischen Strukturen der verschiedenen Nationalitäten in Bosnien macht, dagegen sehr verschwommen immer dort ist, wo es um die Struktur der Zentralgewalt in Bosnien geht.

UNO von NATO instrumentalisiert

Zumach erläuterte, daß die UNO auf schlechte Art instrumentalisiert und somit desavouriert worden sei. Zum einen sei es erkennbares Interesse der NATO gewesen, UNPROFOR zu ihren Gunsten auszuspielen; dahinter stecke eine Machtpolitik, die einen europäischen Block schaffen will, um sich ggfls. auf Rohstoffverteilungskämpfe im nächsten Jahrhundert vorzubereiten. (Vgl. entsprechende Aussagen des EU-Kommissars Jacques Delors: "Wir müssen bereit sein für die Ressourcen-Kriege des 21. Jahrhunderts.") Aus diesem Grunde sei für die europäischen Verteidigungsminister und ihre Regierungen der Bosnieneinsatz das wichtigste gewesen, was der NATO passieren konnte. Unter dem Mäntelchen der "humanitären Hilfe" laufen hier Pläne und Manöver zur Kriegsführungsfähi gkeit.

Desweiteren sei der Präsidenten-Wahlkampf in den USA eine wichtige Folie für das Friedensabkommen. Clinton brauche den außenpolitischen Erfolg in Bosnien, d.h. den formalen Abschluß und die Erfüllung eines Abkommens. Damit werde aber den Gegebenheiten vor Ort nur wenig Rechnung getragen.

Septemberwahl stärkt Nationalisten

Das Friedensabkommen besage nämlich, daß im September 1996 Wahlen stattfinden müßten. Da nach Berechnungen des UN-Flüchtlingskommissar iats von den ca. 3 Millionen bosnischen Flüchtlingen bis dahin erst ca. 5% zurückgekehrt sein dürften, bedeute diese Wahl zu diesem Zeitpunkt, daß voraussichtlich drei nationalistische Parteien durch einen demokratischen Akt legitimiert würden, die nicht unbedingt repräsentativ seien. Die Wahl käme zu früh. Eine Bedingung müßte z.B. sein, daß eine Wahl nur stattfinden könne, wenn z.B. 60% der Flüchtlinge in ihre Heimat zurückgekehrt seien.

Kriegsgefahr - und Alternativen

Desweiteren - so Zumach - könne die internationale Präsenz in Bosnien nicht im Dezember enden. Darüber herrsche in der Politik "z.Z. ein Kartell des Schweigens". Ein Abziehen der IFOR-Truppen bedeute den möglichen Beginn eines neuen Krieges.

Es brauche unbedingt eine Möglichkeit des Eingreifens in Form einer internationalen Polizeitruppe, desweiteren zivile Minenräumgruppen und zivile Friedensdienste, die zwischen den Bevölkerungsgruppen vermittelten. Mit letzterem sei die europäische Friedensbewegung - von der Öffentlichkeit nicht wahrgenommen - seit langem in Bosnien aktiv, z.B. in Gestalt der Balkan Peace Teams. Anfang Mai sei der Aufbau eines Zivilen Friedensdienstes in Bosnien durch die Bundesregierung erst einmal abgeschmettert worden. Es ging um eine Summe von 30 Mill. DM. Im Gegenzug: die Kosten des Bundeswehreinsatzes 1996 belaufen sich auf ca. 1 Mrd. DM.

Mit Blick auf die Friedensbewegung sagte der UN-Korrespondent, daß eine "Kultur der Gewaltfreiheit" die systematische Suche nach zivilen und politischen Mitteln der Konfliktbearbeitung auf den Gebietren der Prävention, der Mediation und der Nachsorge einfordere.


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