Oldenburger STACHEL Ausgabe 5/96      Seite 1
 
Inhalt dieser Ausgabe
 

Tag X³ - Wir sind unbezahlbar

Ein neues Kapitel der hoffentlich nicht unendlichen Geschichte

An den Demonstrationen im Wendland anläßlich des jüngsten Atommülltransports nach Gorleben nahmen sehr viele OldenburgerInnen teil. Zum Teil waren sie nur am Wochenende bei den großen Demonstrationen anwesend, mindestens 70 blieben aber auch die folgenden Tage bis zur Ankunft des Transports am Mittwoch im Wendland.

Unterstützung gab es aber auch von "zu Hause". Im Jugendumweltbüro im K14 liefen die Fäden am Infotelefon zusammen. Etwa 300 AtomkraftgegnerInnen nahmen am Dienstag an einer Demonstation durch die Oldenburger Innenstadt teil.

Alle Wege führen ins Wendland

Zur Anreise waren Pkws, Kleinbusse und Zugfahrten organisiert worden, eine Gruppe nahm an der Sternfahrt von Uelzen aus nach Dannenberg mit Fahrrädern teil. So vielfältig wie die Anreise war auch die Unterbringung. Das Gemeindehaus in Hitzacker stand allen OldenburgerInnen während der gesamten Zeit offen. Viele kamen auch im zentralen Zeltlager "VerladeNix" in Dannenberg und in dem Hüttendorf "CastorNix" an der Transportstrecke, auf der FrauenLesben-Wiese und einem direkt daneben gelegenen offeneren Zeltlager oder auch bei freundlichen WendInnen privat unter.

Friedlich...

Am Samstag fand um 12.00 auf dem Dannenberger Marktplatz die Auftaktkundgebung mit etwa 10.000 TeilnehmerInnen statt. Die Polizei behinderte diese Veranstaltung durch umfangreiche Kontrollen und Durchsuchungen der anreisenden Pkws, einige Busse wurden bis zu zwei Stunden festgehalten. Im Anschluß an die Reden bildeten 146 Trecker und über 100 Motorräder die Spitze des Demozugs zur Bundesstraße 191, auf der von über tausend DemonstrantInnen die Worte "WIR STELLEN UNS QUER" gebildet wurden.

...oder militant?

Währenddessen begannen Bundesgrenzschutz (BGS) und Polizei ihre erste militante Aktion gegen friedliche DemonstantInnen. In Karwitz hatten sich etwa 200 AtomkraftgegnerInnen auf den Schienen der CASTOR-Transportstrecke versammelt. Gleichzeitig mit der Aufforderung, die Gleise zu verlassen, kesselte der BGS sie auf den Schienen ein und verhinderte so ein friedliches Ende der Aktion. Verschärft wurde die Situation dadurch, daß BGS und Polizei einander entgegenstehende Strategien verfolgten. Besonders der Kanther unterstehende BGS wollte dabei Härte zeigen. Letzendlich erwiesen sich aber Polizei und BGS als mit der Situation überfordert. Es standen ihnen weder genug Busse zur Verfügung, um die Gefangenen abzutransportieren, noch konnten sie die vorhandenen und gefüllten Busse wegfahren. Die Straße von Dannenberg war knapp einen Kilometer weit mit Treckern blockiert und in der Nähe des Kessels sammelten sich immer mehr AtomkraftgegnerInnen auf der Straße, die erst nach mehreren Stunden brutal und mit Wasserwerfern und geräumt werden konnten. Bei der Auflösung des Kessels wurde noch ein weiteres Mal willkürlich hartes Durchgreifen gezeigt, die Hälfte der Festgenommen mußte aber später wegen eines Formfehlers wieder freigelassen werden. Während der Kessel bestand, konnten BGS und Polizei die Schienen nicht weiter sichern, so daß darauf Barrikaden errichtet und an den Gleisanlagen gearbeitet werden konnte. Anwälte und Geistliche hingegen wurden unrechtmäßig zu den Eingekesselten nicht durchgelassen.

"Ordnungstruppen"

Diese Schilderung soll nur als Beispiel dafür stehen, wie BGS und Polizei die Situationen immer wieder zur Eskalation getrieben haben. Unterschiedliche politische Vorgaben aus Bonn an den BGS, Härte als Selbstzweck zu zeigen, und aus Hannover an die Polizei, die sich zumindest im Vorfeld des Transportes zurückhaltender verhielt, gepaart mit fehlender Gesprächsbereitschaft der beiden "Ordnungstruppen" untereinander und gegenüber den AtomkraftgegnerInnen, die immer wieder Vermittlungsversuche starteten, verhinderten dauerhaft ein angemessenes Verhalten von ihnen.

Kreatives Chaos

Am Sonntag fanden den ganzen Tag über eine Vielzahl von Aktionen unter dem Motto "Spiel, Spaß und Spannung" statt. Neben einer probeweisen "Castor-Blockade" mit Rädern und Rollschuhen auf der Straße in Gusborn, einem Fußballturnier von "Berlin Radioaktiv" gegen den TUS Liepe wurde Demomaterial gebastelt. Die Ini 60 "strickte den Tod", die Gorlebenfrauen veranstalteten eine Baumperformance und Straßenmalaktion. Bei der Aktion "Feuer und Flamme für den Kran" mit 3000 Leuten wurde ein nachgebauter Verladekran symbolisch verbrannt und spontan Polizei eingekesselt. Außerdem gab es verschiedenen Blockaden durch den Motorradkonvoi, Waldgeistereien und am Abend an den Bahnhöfen in Neetzendorf und Göhrde Schienenwanderungen. Obwohl in Neetzendorf ein friedlicher Schienenspaziergang mit Kerzen geplant war, schritt die Polizei unverhältnismässig hart ein, bildete Kessel und nahm ProtestlerInnen fest.

In Hitzacker fand am Abend spontan ein Schienenspaziergang der OldenburgerInnen mit Kerzen statt, der vom BGS gestoppt wurde. Vor dem Zwischenlager in Gorleben lief die ganze Nacht über ein Rave.

Der Montag war mit kleineren Aktionen insgesamt ruhiger. Nachmittags wurden Schienen gesprengt (leider nur mit Gießkannen), um Sonnenblumen zu sähen. Für die Lockerung des Bodens zur Ansaat waren Kuhfüße und anderes Werkzeug mitzubringen. Nachmittags war eine Mahnwache in Lüchow geplant, abends fand in Danneberg auf dem Markplatz die Kundgebung "Wir leuchten euch heim" statt. Später am Abend fand im VerladeNix ein großes Konzert von "Guru Guru"statt.

Es wird ernst...

Der CASTOR-Tieflader wurde am Dienstag Morgen auf seinem Weg zum Verladekran immer wieder von insgesamt 1800 AtomkraftgegnerInnen blockiert. Die Polizei ging am Tag vor dem eigentlichen Transport äußerst brutal gegen die DemonstrantInnen vor. Die Bilder, wie der Landwirt Addi Lambke bei einer Blockade von Polizisten in seinem Trecker zusammengeschlagen wurde, sind sicherlich noch allen in Erinnerung.

In Dannenberg fand mittags ein Training für gewaltfreie Aktionen statt, die FrauenLesben demonstrierten in Lüchow.

In der Nacht zum Mittwoch und während des Transports auf der Straße fanden Unmengen von Aktionen statt, Blockaden aus Treckern, Mist, brennenden Strohballen, Bäumen und Steinen, eine Tonne mit darin angeketteten Menschen, Sitzblockaden und eine unterhöhlte Straße - alle denkbaren Aktionsformen waren vertreten. EinwohnerInnen des Landkreises und AtomkraftgegnerInnen aus der ganzen Bundesrepublik nahmen miteinander an den verschiedensten Aktionen teil.

Trotz des breiten und entschiedenen Widerstands rollte der Atommülltransport um 13.07 Uhr auf das Gelände des Zwischenlagers. Der Transport über die Straße hat eine Stunde länger als beim ersten Mal gedauert, statt 15.000 wurden diesmal insgesamt 19.000 Polizisten und BGSlerInnen eingesetzt. Die Kosten für den Transport werden die 55 Millionen des letzten Transports deutlich übersteigen, der Polizeieinsatz war der größte in der Geschichte der BRD.

Eine breite Palette von Widerstandsformen - etwas Neues?

Der Widerstand im Wendland gegen die Atomtechnik hat eine lange Tradition. Das Anti-Atom-Hüttendorf 1004, das im Juni 1980 äußerst brutal geräumt wurde, stellte schon einen Höhepunkt des Widerstands dar.

Die Formen des Widerstandes waren schon damals vielfältig, neben den verbreiteten Aktionsformen wie einfache Demonstrationen und Sitzblockaden wurden auch schon vor über 15 Jahren Blockaden aus Baumstämmen gebaut. Schon damals wurde heftig gegen die "gewalttätigen ChaotInnen" und die im Hüttendorf gewähnten Waffenberge gehetzt. Auch damals stellte sich diese Hetze nach der Räumung als unbegründet heraus.

Gerhard Schröder 1980 bei der Räumung des Hüttendorfs 1004: "Dieser Widerstand ist viel zu friedlich!" ( P H O T O )

Tatsächlich wurde und wird der Protest gegen die Atommafia und ihre Technik von allen Gruppen gemeinsam getragen, alle verschiedenen Gruppen entwickelten ihre eigenen Aktionsformen und zeigten schon immer ihren Protest gleichberechtigt nebeneinander. Eine Unterteilung in "Friedliche" und "Chaoten" war nie wirklich möglich, eine Abgrenzung war höchstens zwischen im Protest Aktiven bzw. Nichtaktiven machbar. Der Versuch, diese Spaltung weiterzuführen, verhindert ein angemessenes politisches Herangehen an den berechtigten Widerstand. Über die künstliche Trennung wird die Illusion aufrecht erhalten, daß das Gorlebener Atomklo nach der Ausgrenzung einer kleinen Gruppe von AtomkraftgegnerInnen durchzusetzten wäre.

Bei den Protesten am Transporttag wurde keine Gruppe von einer anderen übervorteilt oder beiseite gedrängt. Die Medien mit ihrer Jagd auf Sensationen inszenierte hingegegn diese Selektion meisterhaft. Mit dem Herausstellen von einzelnen Akionen wurde ein völlig falsches und unangemessenes Bild in die Öffentlichkeit vermittelt. Ehrliche Bilder von friedlich am Straßenrand stehenden und auf der Straße sitzenden Menschen hätten eher als Quotenkiller gewirkt. Gerade die öffentlich-rechtlichen Sender haben in diesem Zusammenhang ihre mangelnde Objektivität bewiesen, das ZDF hat sich hierbei besonders hervorgetan. Aber auch der Ruf nach polizeilicher Härte von Kanther und Glogowski kann nur vor ihrem ideologischen und machtpolitischen Hintergrund verstanden werden. Ihre Politik ist völlig unverantwortlich, heizt die Stimmung der Polizei und der AtomkraftgegenerInnen künstlich auf und verhindert einen friedlichen Ablauf der Proteste.

Heute wie damals wird versucht, den Protest gegen die Atomtransporte über die Spaltung der Anti-Atom-Bewegung zu lähmen. In den letzten Wochen vor dem Transport fanden bundesweit und vor allem im Wendland Demonstrationen, Blockaden, gewaltfreie Schienendemontageaktionen und andere Sachbeschädigungen statt. Dabei war eine Distanzierung der gesamten Anti-Atombewegung hauptsächlich gegenüber der Atom- und Gewaltpolitik der Bundes- und Landesregierung zu erkennen. Vor diesem Hintergrund ist nicht zu erwarten, daß der nächste Atomtransport für die Atomindustrie einfacher durchzusetzten sein wird als der letzte. Die Parole "X3 - wir kommen immer wieder" war schon Minuten nach der Ankunft des Transports auf einem Mannschaftswagen zu lesen.

Die Zeiten werden härter...

Parallel zu dem Transport durch das Wendland wurden in Hannover das neue Polizeigesetz, maßgeschneidert zur Aushebelung des Demonstrationsrechts, von CDU und SPD beschlossen. Mit diesem Bringdienst Glogowskis an die CDU, mit dem er sich nach den sogenannten Chaostagen aus der Schußlinie der CDU brachte, werden in der kommenden Zeit die Proteste gegen Atommülltransporte schwieriger werden. Vieles, was bisher Unrecht war, steht der Polizei als neu definiertes "Recht" zur Verfügung, um sämtliche Proteste auf der Straße gegen die Atomkraft zu unterbinden. Die DemonstrantInnen werden in der Zukunft Probleme haben, ihren berechtigteten Protest öffentlich zeigen zu können, ohne strafrechtlich verfolgt zu werden.

Dein Freund und Helfer?

Interessant ist, daß Teile der Polizei ihr massives Auftreten im Wendland als "Höhepunkt ihrer Laufbahn" empfinden. Ein Polizeihauptkommissar meinte hierzu: "Das sind Highlights von den polizeilichen Aufgaben her. Da will jeder mitmachen."

Es gibt aber auch andere Sichtweisen:

Anläßlich des letzten CASTOR-Transports verglich ein Polizist, als er nicht mit seiner Schreibmaschine klarkam, seine Rolle beiläufig als wie im Krieg vor St. Petersburg. Gefragt, ob er sich tatsächlich in einer Reihe mit den faschistischen Soldaten der verbrecherischen Wehrmacht sehe, nahm er den Vergleich dann - eher widerstrebend - zurück. Sein Selbstverständnis ist in dieser Situation sehr klar geworden. DemonstrantInnen werden von vielen PolizistInnen als GegnerInnen betrachtet und dementsprechend behandelt. Das Risiko, das DemonstrantInnen bei der Wahrnehmung ihrer Grundrechte bei solchen Beamten auf sich nehmen, ist nicht unerheblich, zumal sich Ausschreitungen von Beamten im allgemeinen nur mit viel Glück belegen lassen und manche Richter die Polizei als ihr Schild und Schwert sehen und schützen.

Sie können es drehen und Wenden wie sie wollen, wir stellen uns quer

Die Spekulationen über den nächsten Atommülltransport nach Gorleben finden schon statt. August, September oder doch erst im nächsten Jahr? In jedem Fall soll der Tag X3 einen neuen Höhepunkt der Proteste bedeuten und die Undurchsetzbarkeit der herrschenden Atompolitik beweisen. Es ist wichtig, daß auch aus Oldenburg noch viel mehr Menschen für einen odere mehrere Tage ins Wendland kommen, um dort ihren Protest zu zeigen. Aber auch in Oldenburg könnten anläßlich des nächsten Transports noch mehr Aktionen und überhaupt eine noch stärkere Öffentlichkeitsarbeit stattfinden. Die Demostration in Oldenburg gegen den Transport war schon ein Erfolg.

In den nächsten Monaten werden die Vorbereitungen gegen den nächsten Transport beginnen. Wichtig ist jetzt die Organisation vieler neuer, lustiger, interessanter, ausdrucksstarker Aktionen für das Wendland und Oldenburg. In einem der nächsten Stachel werden die konkreten Termine für die neuen Vorbereitungstreffen angekündigt werden. Über neue Leute und Ideen würden wir uns freuen.

Die Atommülltransporte sind die Achillesferse der Atomindustrie - wir werden den Preis ins Unermeßliche treiben!

Iris Kunze, Tobias Höpner, Richard Meinsen


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