Ausgabe 4/96 | Seite 12 | |||||
"Was ist politisch?"
Ich will in keiner Welt leben, in der jeder Kampf und jede Handlung entweder - oder ist: entweder feministisch oder antifeministisch, entweder politisch-revolutionär oder reaktionär; in keiner Welt, in der kein Platz für "anders" ist. Ich will keine Trennung zwischen mir als Privatperson und dem, was als politisch gilt; ich will mich nicht entscheiden müssen, ob ich meinen politischen Zielen oder meinem Privatleben Priorität einräume. Mein Ziel ist es, daß jeder Person viele Handlungs- und Entfaltungsmöglichkeiten offenstehen, je nach ihren Bedürfnissen. Dabei kann jede gewählte Möglichkeit ein Ausdruck von Selbstbestimmung sein und wird nicht mehr als "reaktionär","herrschaftskonform" oder "revolutionär" gewertet. Es macht es mir Angst, wenn ich für dieses Bestreben bestimmte Wege der Veränderung ausschließen soll, wenn ich bestimmte Gefühle und Bedürfnisse und Probleme nicht haben darf, denn sonst muß ich mich meiner schämen. Ich habe Angst vor einer Gesellschaft, in der sich individuelle Wege der Auseinandersetzung mit sich selbst sowie dem eigenen Leiden und politische Ziele widersprechen müssen; davor, daß ein besseres Selbstverständnis und Selbstwertgefühl mit Egoismus und Dominanzstreben gleichgesetzt wird. Ein positives Selbstwertgefühl kann auch eine Grundlage dafür sein, sich auf Kritik und Unsicherheiten einzulassen, da Kritik und Fremdes nicht mehr als so bedrohlich empfunden und deshalb abgewehrt werden muß. Sensibilität und Verständnis für sich selbst kann auch Sensibilität und Verständnis für andere wecken. Ich bezweifle nicht, daß es etliche reaktionäre Männergruppen (wie auch Frauengruppen) gibt, und ich finde es traurig, daß Emanzipation das Gefühl der Bedrohung erwecken kann und nicht das eines Gewinns für beide Geschlechter. Dieses Gefühl der Bedrohung muß auch ernstgenommen werden, denn es verschwindet nicht von alleine; meistens darf es nicht offen zugegeben werden und sucht sich so z. B. unter dem Deckmantel von Sachzwängen seinen Geltungsanspruch. Fazit: es bleibt im Grunde alles beim alten. Ich wehre mich dagegen, daß nur bestimmte öffentliche Aktionen wie Demos als politische Prozesse gesehen werden, und daß persönlichen Veränderungen, die vielleicht nicht so offensichtlich sind, politische Wirksamkeit abgesprochen wird. Ich glaube, daß sich gesellschaftliche Verhältnisse und Machtstrukturen auch auf der persönlichen zwischenmenschlichen Ebene und in mir selbst manifestieren. Für mich muß ein Weg, gesellschaftliche Strukturen aufzubrechen, auch über mein persönliches Leben führen, indem ich mich selbst bewußt erlebe, mich anderen mitteile, wir gemeinsam nach neuen Wegen suchen. Dazu frage ich mich: Wie habe ich mich innerhalb der mir nahegelegten Ideologien eingerichtet und diese verinnerlicht? Wo verhalte ich mich widerständig? Welchen Nutzen ziehe ich kurz- und langfristig für mich daraus, welchen ziehen andere daraus? Was heißt das für mein Selbstbild und meine Position in der Gesellschaft? Wo falle ich meinen Ansprüchen in den Rücken, verstärke ich also durch mein persönliches Verhalten, welches mir im Augenblick Vorteile verschafft, meine eigene gesellschaftlich-strukturelle Benachteiligung? Ich will keine Pauschalisierungen, wie nur als Opfer des Patriarchats/der gesellschaftlichen Herrschaftsverhältnisse wahrgenommen, definiert und darauf reduziert zu werden. Ich will keine Bevormundung und Denkverbote im Streben nach einer egalitären Gesellschaft. Ich will in keiner Gesellschaft leben, in der das Wohlergehen der Frauen davon abhängig scheint, daß Männer "den feministisch richtigen Weg" gehen, und daß Frauen sich mit den "richtigen" Männern solidarisieren müssen um zu zeigen, daß sie eine Emanzipation der Gesellschaft, Gleichberechtigung, Abschaffung aller Privilegien tatsächlich anstreben. Ich wünsche mir, daß Menschen von sich und ihren Gefühlen reden, und nicht andere aburteilen. Ich vermute, daß Wortmeldungen und Reaktionen wie meine hier auf den Artikel "MRT- das zarte Pflänzchen Männerbewegung treibt seltsame Blüten" mit dem Komentar quittiert werden könnten: "Das war ja gerade die Absicht des Artikels: aus der Reserve locken und provozieren, die Diskussion anregen". Für mich gibt es einen Unterschied zwischen einerseits offener Diskussion und Dialog und andererseits dem Abwerten anderer Menschen, indem sie in ihrer Art und mit ihren Problemen nicht ernst genommen werden. Für mich haben Diskussionen durchaus ihren Platz und ihre Berechtigung; sie müssen aber nicht immer zu Problemerkenntnis und Problemlösung führen. Diskussionen können bewirken, daß Menschen sich von sich selbst und ihren Gefühlen distanzieren können, oder daß sie meinen, Gefühle erklären und rechtfertigen zu müssen. Bei Diskussionen gibt es meist GewinnerInnen und VerliererInnen, je nachdem, welche Argumente durch Logik bestechen. Ein tieferes Verstehen des Inhaltes und der gegenseitigen Positionen bleibt oft aus. Bei manchen Problemen und Gefühlen geht es aber nicht um richtig oder falsch, sondern darum, sie erst einmal haben zu dürfen, anzuschauen und als Chance zu einem tiefergehenden Verständnis zu schätzen und zu nutzen. Ich will mich keiner fremden Perspektive unterwerfen, so daß ich mich selbst nicht mehr frage: Wo fängt Politik an und wo hört sie auf? Wann birgt der Anspruch "politisch" Alternativen, wann verbergen sich leere Worte dahinter, die nur als Selbstalibi fungieren?
Natürlich habe ich mir überlegt, ob und warum ich mich zu dem MRT-Artikel überhaupt äußern will, und in welcher Weise, denn eigentlich muß es mich ja nicht ärgern, ob andere meine Sichtweise als politisch oder unpolitisch definieren. Sie (und ich) können das schließlich halten, wie sie wollen. Doch dann habe ich gemerkt, daß ich mich eben doch ärgere, und zwar darüber, daß es anscheinend ein Exklusivrecht gibt, wer welche Inhalte als politisch, reaktionär, feministisch usw. etikettieren darf. Und auf diese Frage hätte ich wirklich mal gerne eine Antwort: wo fängt Politik an, und wo hört sie auf? Oder: Warum vermag, was traditionell als Politik bezeichnet wird (Vernunftprinzip der Organisation menschlichen Lebens in der Öffentlichkeit), die Wirklichkeit kaum zu verändern?
Brigitte Schwarz
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