Ausgabe 1/96 | Seite 3 | |||||
"Soldaten sind Mörder!"
Der bundesdeutsche Eiertanz um eine ganz banale Wahrheit
Auch nach dem Bundesverfassungsgerichtsurteil vom Oktober 1995 und dem darauf folgenden Freispruch in meinem Mainzer "Soldaten sind Mörder"-Verfahren wird sich nichts ändern an der Verfolgung von AntimilitaristInnen durch die bundesdeutsche Justiz. Sowohl das Bundesverfassungsgericht als auch das Landgericht Mainz haben - trotz unterschiedlicher Rechtsauffassung im Detail - im Prinzip diesen Verfolgungsanspruch eindeutig bejaht. Tucholsky's banale Wahrheit, daß Soldaten nun einmal aufgrund ihres "Handwerkes" Mörder sind wird auch weiterhin die bundesdeutsche Justiz beschäftigen.
"Juristisch fragwürdig, gesellschaftspolitisch falsch und anmaßend" sei das Urteil des Bundesverfassungsgerichts, so der Mainzer Richter Fischer. "Ideologisch motiviert" sei die Höherbewertung der Meinungsfreiheit vor der "Ehre" der Soldaten (was immer das sein mag - doch vielleicht sind blutverschmierte Hände ja was ehrenwertes?). Doch was steht überhaupt im Urteil des Verfassungsgerichts?
Verharmlosung"Die Beschwerdeführer haben mit ihren Äußerungen, Soldaten seien Mörder oder potentielle Mörder, nicht von bestimmten Soldaten behauptet, diese hätten in der Vergangenheit einen Mord begangen. Sie haben vielmehr ein Urteil über Soldaten und den Soldatenberuf zum Ausdruck gebracht, der unter Umständen zum Töten anderer Menschen zwingt" - so das BVerfG. "Unter Umständen?" In dieser Formulierung liegt eine nicht hinnehmbare Verharmlosung, denn das Morden von Menschen ist der Kern des Soldatischen. Dies sieht das BVerfG jedoch nicht so, denn es stuft diese Äußerung ausdrücklich als Meinung und nicht als Tatsachenbehauptung ein (S. 41). Folgerichtig "begegnet (es) allerdings keinen Bedenken, daß die Gerichte in der Bezeichnung eines Soldaten als Mörder einen schwerwiegenden Angriff auf dessen Ehre gesehen haben (...), so bleibt doch die wertende Gleichstellung mit einem Mörder eine tiefe Kränkung. (...) Sie besteht (...) auch dann, wenn er umgangssprachlich verwendet wird, denn auch in diesem Fall bezeichnet er eine Person, die in einer sittlich nicht zu rechtfertigenden Weise zur Vernichtung menschlichen Lebens beiträgt oder bereit ist. Darin liegt ebenfalls ein Unwerturteil, das geeignet ist, den Betroffenen im Ansehen seiner Umwelt empfindlich herabzusetzen. Das gilt insbesondere, wenn sich der Vorwurf nicht auf ein vereinzeltes Verhalten, sondern auf die gesamte berufliche Tätigkeit bezieht." (S. 45)
AuswüchseGenau darum aber geht es. Die Kriege der letzten Jahre, in Ex-Jugoslawien, in Tschetschenien, in Kambodscha, in Somalia, der Golfkrieg etc... zeigten es eigentlich zu genüge, worin der Kern des Soldatischen liegt: Mord, Vergewaltigung, Plünderung, "ethnische Säuberungen", etc... All das sind nicht "Auswüchse" eines ansonsten "ehrenhaften" Berufsstandes, sondern logische Konsequenzen des militärischen, des Krieges. Soldaten sind Mörder, Vergewaltiger, Plünderer, ... - dies sind die tagtäglich bewiesenen banalen Wahrheiten des Krieges, unabhängig von Nation, Kriegsgrund und der Helmfarbe (NATO-oliv, grau, braun, rot oder UNO-blau spielt dabei keine Rolle). Die "Kampfausbildung" - die Ausbildung der Soldaten und Soldatinnen in "staatlich konzessionierten Mörderschulen (genannt Kasernen)" (Ernst Friedrich) war und ist letztendlich Kernstück einer jeden Armee, und der Kriegstheoretiker Karl von Clausewitz hat das ebenfalls deutlich gesehen: "Die gesamte militärische Aktivität muß (...) sich direkt oder indirekt auf das Gefecht beziehen. Der Zweck, zu dem ein Soldat rekrutiert, eingekleidet, bewaffnet und trainiert wird - das ganze Ziel seines Schlafens, Essens, Trinkens und Marschierens ist einfach, daß er am rechten Ort und zur rechten Zeit kämpfen soll." - also der staatlich legitimierte Mord!
Fit für den ErnstfallDie juristische Hetzjagd gegen antimilitaristische Kritik am Soldatenberuf steht vordergründig im Widerspruch zum Klagelied führender Militärs über die Ausblendung eben genau dieser Wirklichkeit des Soldatischen. Im Zusammenhang mit der in den letzten Jahren erfolgten Aufgabenerweiterung der Bundeswehr beklagen diese, "daß die Gesellschaft Verwundung und Tod im Krieg aus ihrem Fundus konkreter Lebenssachverhalte verdrängt hat. Der Konsens über die Existenz einer verteidigungsbereiten Armee beruht nur auf der Annahme, daß die Abschreckung dauerhaft funktionieren und das Volk niemals vor verwundeten oder toten deutschen Soldaten stehen würde", so der damalige Planungschef der Bundeswehr, Hans Rühle, im Frühjahr 1992. Und der ehemalige Generalleutnant Werner Lange, früherer Kommandeur der Schule für innere Führung der Bundeswehr in Koblenz, beklagte sich bereits 1991 in der Zeitschrift "Europäische Wehrkunde" darüber, daß "der Ernstfall (...) nur Frieden heißen (durfte). (...) Man fragte sich, was hat schließlich der Soldat noch zu tun, was hat der Soldat überhaupt mit Krieg zu tun." Konsequent daher die Forderung, die Soldaten für den Krieg fit zu machen, in die Ausbildung "die geistige Auseinandersetzung mit den lange verdrängten Anteilen des Soldatseins wie töten, verwundet oder getötet werden, andere in die Gefahr schicken, selbst in Gefangenschaft geraten ..." zu integrieren. Also sind Soldaten doch Mörder - oder was?
Alle Militärs ächten DeserteureNatürlich sind sie das, unabhängig davon, was die deutsche (oder eine sonstige) Justiz dazu meint. Und sie gilt natürlich für alle Soldaten, sie gilt für den türkischen Soldaten in Kurdistan wie für den PKK-Kämpfer, sie gilt für den sri-lankischen Regierungsoldaten wie für den Tamil Tiger, sie galt für den amerikanischen Soldaten in Vietnam ebenso wie für den Vietcong - und sie gilt selbstverständlich auch für den Soldanten der Bundeswehr! Doch darum geht es den Militärs nicht. Hier zeigt sich eine deutliche Kumpanei der Militärs aller Länder, die sich darin einig sind, daß ihr gegenseitiges Abschlachten auf dem "Feld der Ehre" eine sittlich wertvolle Handlung darstellt und konsequenterweise den "feindlichen" Soldaten mehr achten als den "feindlichen" Kriegsdienstverweigerer oder Deserteur. Deutlich wird das auch an der bundesdeutschen Flüchtlingspolitik angesichts der Kriegein Ex-Jugoslawien, zwischen Armenien und Aserbajdschan und in Tschetschenien: KDV oder Desertion sind für die BRD kein Asylgrund, das Recht eines jeden Staates, die eigenen Bürger zum Mord (und ermordet werden) zu zwingen, ist ein allgemein anerkanntes Staatsrecht,, und eher schickte die BRD Flüchtlinge zurück nach Ex-Jugoslawien, wohlwissend, daß sie dort als neues "Menschenmaterial" an die Front geschickt wurden und somit zur Verlängerung des Krieges beitrugen, als daß sie dieses "Staatsrecht" in Frage stellte. Von daher ist es für die Militärs auch unerheblich, ob sich die Äußerung "Soldaten sind (potentielle) Mörder" auf alle Soldaten oder nur auf die der Bundeswehr bezieht, In ihrer Verachtung des Pazifismus und Antimilitarismus sind sie sich einig.
Das eint sie vielleicht mit uns AntimilitaristInnen, denn auch wir sind uns über alle Grenzen hinweg in der Verachtung des Militärischen, des stumpfsinnigen Marschierens, des Mordens auf Befehl, der militarisierten Männlichkeit einig! Zum Abschluß komme ich gerne einem Aufruf Ernst Friedrichs nach, "allen Glorienschein und allen Hokuspokus, mitsamt dem glänzend-bunten Flitterkram der Soldateska nieder(zu)reißen, und das aus(zu)sprechen, was dann noch übrigbleibt:" Soldaten sind Mörder!
Andreas Speck
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