Oldenburger STACHEL Nr. 247 / Ausgabe 4/05      Seite 18
 
Inhalt dieser Ausgabe
 

Bürgerfreundliche Verwaltungsvereinfachung

Ein Erlebnisbericht

Die folgenden Ereignisse haben sich wirklich zugetragen. Sie sind leicht überarbeitet und anonymisiert das Originalprotokoll einer antragstellenden Person. Entgegen anderslautender Pressemitteilungen ist dies nur ein Beispiel für das ganz normale Chaos Anfang des Jahres:

20.12.04: Abgabe ALG II- Antrag

10.1.05 (10 Tage ohne Geld): Anruf beim Arbeitsamt. Antwort: Der Antrag sei eingegangen, jedoch nicht auffindbar.

24.1.05 (24 Tage ohne Geld): Besuch beim Sozialamt, da Erstanträge laut Presse dort sein sollen (in Begleitung durch N.):

Frau H.: Nach mehr als 2 Std. Wartezeit schickt sie uns zu Frau K., da nicht sie, trotz des Schildes an ihrer Tür, für meinen Namen zuständig sei. Frau K.: Antrag nicht auffindbar, wegen des neuen EDV-Programmes. Deshalb sei die Sachlage nicht geklärt und mein Antrag somit auch nicht anhand meiner Kopie zu bearbeiten.

Nachmittags Anruf bei Frau K., ohne Erfolg.

25.1.05 (25 Tage ohne Geld): Anruf bei Frau K.: Anrufbeantworter, kein Rückruf. Auch nicht am 26.1.

26.1.05 (26 Tage ohne Geld): Besuch beim Arbeitsamt: An der Anmeldung definitive Bestätigung, daß mein Antrag dort sein müsse. Terminabsprache für den Morgen des 27.1.

27.1.05 (27 Tage ohne Geld): Arbeitsamt: Gespräch mit Herrn S.: Mein Antrag befände sich doch im Sozialamt, ich solle dort vorsprechen. Erst als ich darauf hinweise, daß ich dies nach etlichen Wartestunden bereits getan hätte, ruft Herr S. im Sozialamt an, spricht mit Herrn L. (Vorgesetzter). Dieser läßt mir ausrichten, ich solle gleich noch einmal bei Frau K. vorsprechen, mich nicht abwimmeln lassen, sie müsse meinen Antrag suchen.

Wieder zum Sozialamt: Frau K. hat keine Zeit: Sie sagt, Herr L. hätte ihr gesagt, er wisse auch nicht, wo mein Antrag sei. Ich suche Herrn L. auf. Er sagt, der Antrag sei irgendwo im Haus, er könne aber nichts machen, da es schließlich sein könne, daß ich Nebeneinkünfte hätte.

Telefonat mit Herrn T. (Leiter der ARGE Oldenburg): Nach meiner kompletten Schilderung des bisherigen Verlaufes und Rücksprache mit Frau K. ist er bereit, meinen kopierten Antrag bearbeiten zu lassen. Eine Kollegin von Frau K. würde dies nach einer baldigen Terminabsprache mit mir tun.

Anruf von Frau K.: Termin am 28.1., um 9.00 Uhr bei Frau L., ich solle folgendes mitbringen: Ausweis, den kopierten Antrag, Untermietvertrag, abgelaufene Arbeitsverträge des letzten Jahres, Kontoauszüge der letzten drei Monate, Sparbuch.

Ich weise darauf hin, daß ich meine, die Arbeitsverträge und Kontoauszüge seien keine antragsrelevanten Daten. Maßgebend sei das, was ab dem 1.1.05 ist. Sie antwortet, sie wolle nicht diskutieren, ich müsse das alles mitbringen, weil sie hier nach dieser Maßgabe arbeiten würden.

28.1.05 (28 Tage ohne Geld): Termin bei Frau L. (in Begleitung durch H.): Sie schaut die Kopie kurz durch und fordert ebenfalls die Kontoauszüge und den letzten Arbeitsvertrag. Ich weise auch sie auf meine Sicht der rechtlich haltbaren Forderungen im Sinne meiner Mitwirkungspflicht hin. Sie beharrt auf ihrer Position. H. schaltet sich ein und bekommt von ihr zugesichert, daß es auch in Ordnung sei, wenn sie eine Bescheinigung meines letzten Arbeitgebers bekäme, die mein letztes Einkommen im Nov.04 nachweist. Ich beharre aber darauf, daß antragsrelevante Daten die ab Jan.05 sind und sie die entsprechenden Kontoauszüge schließlich vorliegen habe. Als ich darauf hinweise, daß das Arbeitsamt derartige Forderung bei der Bearbeitung nicht stelle, sagt sie, dort sei auch keine Zeit dafür. (Sind diese Forderungen dann tatsächlich zwingend??). Ich bitte um ein Gespräch mit Herrn T. (Leiter der ARGE), der verweist mich aber nach offensichtlicher Besprechung mit Frau L. an Herrn L., mit dem er ebenfalls vorher Rücksprache hielt.

Gespräch mit Herrn L., (weiter in Begleitung durch H.): Ich bitte um die genauen Gesetzestexte, in denen die konkreten Anforderungen meiner Mitwirkungspflicht stehen. Erst nach nochmaliger Aufforderung meiner Begleitperson ist er dazu in der Lage, ihm das SGB II zu reichen, jedoch keinen entsprechenden Paragraphen oder Texte. Er druckst herum, worauf sie sich eigentlich stützen, spricht von gewonnenen Verhandlungen des Sozialamtes und vom Richterrecht. Außerdem spricht er von meinem ungeklärten ALG I-Anspruch. Ein Bescheid der Agentur für Arbeit, der diesen Anspruch ausschließt, sei nun plötzlich ausreichend. Später Telefonat mit Frau L.

Ich bin mittlerweile weich geklopft und bereit, mich auf ihren und Herrn L.s Vorschläge einzulassen. Findet sie gut, fordert aber plötzlich am Telefon zusätzlich folgendes: Ausweiskopie (habe sie vorher vergessen zu kopieren), Hauptmietvertrag, Sparbuch, Elternauskünfte. Meine Mutter könne ja schließlich erst kürzlich verstorben sein und ich deshalb ein größeres Erbe haben. Den Arbeitsvertrag, Bfa-Unterlagen und Kontoauszüge will sie nach wie vor!

Da mir nun endgültig der Kragen platzt, möchte ich rechtlich gegen die ARGE vorgehen. Um einen Anwalt konsultieren zu können, benötige ich einen Rechtsberatungsschein und spreche beim Amtsgericht vor.

Gespräch mit dem Rechtspfleger dort: Er könne mir keinen Beratungsschein ausstellen, da mein Verhalten und Vorhaben mutwillig sei. Ich verweise mehrmals auf meine Absicht, mich ersteinmal von fachlich kompetenter Seite gerade bezüglich meiner Mitwirkungspflicht beraten zu lassen; daß ich gar nicht in erster Linie einen Prozeß anstrebte. Er jedoch unterstellt mir Mutwilligkeit und sagt, meine Sicht meiner Mitwirkungspflicht könne ich auch alleine mit dem Sozialamt klären. Daß ich das bereits versuchte, wir aber nicht einig werden, interessiert nicht.

Soviel zum O-Ton.

Im weiteren Verlauf wird ohne Beratungsschein ein Termin mit einer Fachanwältin für Sozialrecht gemacht. Diese setzt sich eigenständig mit der ARGE in Verbindung und erhält einen Laufzettel (21.2.05, 52 Tage ohne Geld) zur Antwort, der sämtliche angeforderten Belege auflistet, die bis zum 25.2.2005 eingereicht werden sollen, ansonsten will man den Antrag ablehnen. Die Anwältin hält die Sache nicht für sehr erfolgversprechend, setzt aber einen Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung auf, der im wesentlichen die oben aufgezeigten Ereignisse etwas verkürzt wiedergibt und zu den angeforderten Belegen Position bezieht. Dabei wird insbesondere bezüglich der Vorlage von Kontoauszügen bis drei Monate vor Antragstellung und bezüglich Angaben zu den Eltern nicht nachgegeben und im Gegenzug nach einer Rechtsgrundlage für die Vorlageforderung gefragt. Der angeforderte Arbeitsvertrag (befristet bis 30.11.2004) wird allerdings als Anlage beigefügt. Nach Rücksprache mit der Klientin über den Inhalt des Antrags wird dieser schließlich abgeschickt und geht am 7.3.2005 beim Sozialgericht Oldenburg ein (66 Tage ohne Geld).

Ohne weiteren Kommentar wird der Anwältin ein Bescheid mit dem Datum 16.3.2005 übermittelt (nach 75 Tagen ohne Geld), folglich hat die ARGE neun Tage nach Eingang des Antrags auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung beim Sozialgericht reagiert, vermutlich um einen Beschluß beim Sozialgericht zu vermeiden.

Letztlich kann man sich durchsetzen, wenn man hinreichend entschlossen ist und ein Paar Freunde hat.

 

 
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