Nr. 245 / Ausgabe 12/03 | Seite 1 | |||||
Verzichten ...
Worauf verzichten? Weshalb verzichten? Wie ist der persönliche Umgang damit? Will ich verzichten? Muß ich verzichen? Wird der Verzicht gut tun oder schaden? Verzicht auf Alkohol bringt regelmäßig positive Erfahrungen, ebenso Verzicht auf Tabak. Doch der Verzicht auf Weihnachtsgeschenke für die Lieben, weil wirklich nichts mehr übrig ist? Vor wenigen Wochen erregte der Hamburger Künstler Rupprecht Matthies die Gemüter der Bremerinnen und Bremer mit seiner Wortskulptur "verzichten". Direkt neben dem Dom, in enger Nachbarschaft zu Bürgerschaft und Rathaus forderte der 12m x 3m große, leuchtend gelbe Schriftzug zu intensiven Reaktionen heraus. In Zeiten großer Verzichts-Appelle und zunehmender Verzichts-Zumutungen eine brisante Arbeit. Diese Skulptur wurde dort im Rahmen des Kunstprojektes "Niemand ist eine Insel" aufgestellt. Im Begleittext ist zu lesen: "Verzichten begleitet jede Entscheidung: Indem man sich für etwas entscheidet, verzichtet man auf etwas anderes. Während der Begriff "Sich Entscheiden" eher positiv erscheint, ist der Begriff "Verzichten" immer mit einem negativen Beigeschmack behaftet. Verzichten zählt nicht zu den alltäglichen Werten und Erfahrungen, die unser Leben bestimmen. Die sich jetzt auf gesellschaftlicher und politischer Ebene anbahnende Diskussion wird davon geprägt, daß niemand so richtig weiß, was Verzichten ist. Daher sollen im Rahmen des Projektes Möglichkeiten ausgelotet, Perspektiven entwickelt werden. Verzichten "kann" man, "sollte" man, "darf" man, "will" man. Verzichten verbindet man meistens mit Fragen: "Wieso, Weshalb, Warum, Wann". (1) Eine Projektgruppe des Politikunterrichts von OStR R. Künzel an der Fachoberschule Gestaltung (8 Schülerinnen und Schüler aus zwei Klassen 12) hatte sich mit dieser Arbeit auseinander gesetzt und einen Kontakt zu dem Künstler hergestellt. Daraus ergab sich die Gelegenheit, nach dem Ende der Bremer Ausstellung mit der Wortskulptur in Oldenburg weiter zu arbeiten und sie in einer eigenen Ausstellung auf dem Grundstück der Fachoberschule Gestaltung zu präsentieren. Neben der großen Wortskulptur werden weitere Arbeiten von Rupprecht Matthies gezeigt. Mit der Präsentation in Oldenburg bringen die SchülerInnen nun die für Bremen entwickelte Wortskulptur in einen neuen Kontext. Während in der großstädtischen Situation die BetrachterInnen aus einer "sicheren" Distanz heraus entscheiden konnten, wie weit sie sich auf das Werk einlassen wollten, werden sie in Oldenburg - am Standort Ehnernstraße der BBS II - direkter konfrontiert. Schülerinnen und Schüler, Lehrerinnen und Lehrer, Anwohner, Passanten der Ehnernstraße, für alle wird das Kunstwerk unausweichlich. Man sieht und begegnet ihm täglich und wird sich früher oder später mit dem inhaltlichen Impuls auseinander setzen (müssen). Die Präsentation und die Auseinandersetzung mit der Wirkung dieses Kunstwerks in einem "intimeren" Stadtraum sind Gegenstand der Arbeit der Projektgruppe. Alle Schülerinnen und Schüler sollen angeregt werden, sich mit der Thematik produktiv auseinander zu setzen, besonders im allgemein bildenden und gestalterisch-künstlerischen Bereich. Die Ergebnisse werden über die Ausstellungsdauer präsentiert und in einem Rahmenprogramm vertieft. Präsentation heißt aber nicht nur, das Kunstwerk von Rupprecht Matthies in der Stadt zu zeigen, sondern mit ihm präsentiert sich auch die BBS II mit ihrer Fachoberschule Gestaltung. Die BBS II in Oldenburg sieht sich seit vielen Jahren Verzichts-Ansprüchen ausgesetzt. Der Standort Ehnernstraße mit der Fachoberschule Gestaltung ist selbst Ergebnis eines Verzichts, nämlich des (finanziell erzwungenen) Verzichts auf die räumliche Einheit der Schule. Erweiterungs- und Umbaumaßnahmen an der Ehnernstraße sind seit Jahren eine unerfreuliche Folge. Aktuell muß in einer Baustellensituation auf vieles verzichtet werden, was einen regulären Unterrichtsbetrieb ausmacht: ganz besonders auf die Ruhe zu kreativem Lehren und Lernen. Hinzu bemängeln die SchülerInnen Unterrichtsausfall, Raummangel, Materialmangel, Werkzeugmangel. Tonarbeiten z.B. können oft erst nach Monaten gebrannt werden. Es geht aber auch um einen quasi selbst verordneten Verzicht. Zu lange wurde nämlich darauf verzichtet zu zeigen, was in den Gebäuden passiert. Niemand wird vermuten, daß sich hinter den tristen Fassaden auf dem Grundstück Ehnernstraße 132 eine Einrichtung verbirgt, deren Anliegen die künstlerische Gestaltung ist. Mit dem visuell spektakulären Kunstwerk von Rupprecht Matthies soll sich das ändern. Gerade in einer Zeit wo der finanzielle Verzicht zu immer mehr Einschränkung führt, soll ein Zeichen gesetzt werden für Eigeninitiative und die Nutzung eigener Ressourcen. So wirkt neben den genannten Schülerinnen und Schülern der Fachoberschule auch eine Lerngruppe des Berufsvorbereitungsjahres (BVJ) mit, die in der Woche vom 11. bis 14. November unter der Anleitung zweier Fachpraxislehrer die Fundamentierungsarbeiten auf dem Grundstück an der Ehnernstraße durchgeführt haben, nachdem sie zuvor am Standort Straßburger Straße die Skulptur in einen aufstellbaren Zustand versetzten. Vielleicht gibt es in zukünftigen STACHEL-Ausgaben ja eine Diskussion über Verzicht. Gerold Korbus Die Exponate des Künstlers und Arbeiten der SchülerInnen sind im Eingangsbereich der Schule an der Ehnernstr. 132 ausgestellt. Sie sind dort von Mo. - Fr. zwischen 7 und 17 Uhr zu betrachten. Die Ausstellung bleibt bis zum Anfang des Jahres (10.1.04) geöffnet. Danach geht sie nach Berlin. Kontakt für weitere Informationen über die Schule oder via Email: rolf.kuenzel@ewetel.net (1) http://www.niemand-ist-eine-insel.de
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