Oldenburger STACHEL Nr. 238 / Ausgabe 10/02      Seite 14
 
Inhalt dieser Ausgabe
 

Keinen Castor nach Gorleben -

und auch nicht anderswo

Im November wird die staatliche französische Cogema, Betreiberin der "Wiederaufarbeitungs"anlage (WAA) in La Hague, wieder einen Castor-Transport nach Gorleben auf die Reise schicken - den vierten unter der rot-grünen Bundesregierung.

Als wahrscheinlichster Transporttermin wird unter erfahrenen Kaffeesatz-AstrologInnen die Zeit vom 11.-13.11. gehandelt. (Kurz davor oder danach wäre auch möglich, würde dem Apparat aber zusätzliche Schwierigkeiten und Kosten bereiten.)

Diesmal sollen von den üblichen mehreren Zehntausend PolizistInnen gleich zwölf Castorbehälter eskotiert werden. Wie das genau gehen soll, ist noch nicht wirklich klar: mit zwei Zügen - oder mit einem, der mit zwischen die über 100 Tonnnen schweren Castoren gekoppelten Leerwaggons auf endlose Länge gestreckt wird, um speziell die Strecke von Lüneburg nach Dannenberg zu schonen. Denn die ist schon länger marode und durch die Elbe-Flut noch zusätzlich in Mitleidenschaft gezogen worden.

Bundesweit wird wieder absoluter Ausnahmezustand herrschen mit komplett außer Kraft gesetzten papierenen demokratischen Grundrechten und abgesperrten Bahnstrecken. Das dürfte auch dringend nötig sein! Nicht nur daß sie sonst der Widerstand der Anti-AKW-Bewegung zurückschicken könnte. Die Castorbehälter würden realistische Unfallszenarien (z.B. Abstürze in Täler oder Brände nach einem Zusammenstoß mit einem Kesselzug) nicht überstehen - selbst wenn die Gerüchte über massive Fälschungen in den Sicherheitsgutachten, die in den letzten Monaten laut geworden sind, falsch wären. Wenn Castorbehälter unter allen realistischen Umständen sicher sein sollten, wären sie so schwer, daß sie nicht mehr zu transportieren wären!

Warum also diese Transporte?

Trittin, oder wer auch immer gerade Umweltminister ist, wird wieder von nationaler Verantwortung schwafeln. Das hat er schon vor drei Jahren beim ersten rot-grünen Castor-Transport, mit dem er gleichzeitig den Merkel'schen Transport-Stop beendete. Merkel hatte die Transporte gestoppt, nachdem in Frankreich massive Verseuchungen an der Außenseite der Behälter bekannt geworden waren. Diese entsteht bei der Beladung der Behälter in den verseuchten Abklingbecken. Zwar ist auch dieses Problem bis heute nicht wirklich gelöst. Aber ohne die Transporte von La Hague nach Gorleben würde die "WAA" keine verbrauchten Brennelemente mehr annehmen. In etlichen der 19 deutschen AKW's wären die Abklingbecken voll gewesen, da jedes AKW jährlich knapp 25-30% seiner ca. 200 Brennelemente auswechseln muß. Die AKW's hätten abgeschaltet werden müssen. Diesen schnellen Ausstieg mußte Trittin zum Gefallen der Atomindustrie verhindern.

Im Angesicht multinationaler Konzerne ist natürlich auch die nationale Verantwortung eine Lüge: Seit langem gibt es gefestigte Verbindungen z.B. zwischen der französischen Framatome und dem AKW-Bauer Siemens, der Electriecité de France und dem AKW-Betreiber EnBW und der Cogema und dem AKW-Betreiber RWE, dem größten bundesdeutschen Energiekonzern!

Das Märchen
von der "Wiederaufarbeitung"

Mit Wiederaufarbeitung hat eine "Wiederaufarbeitungs"anlage so wenig zu tun, wie der gelbe Sack mit Recycling: Die Brennelemente werden vielmehr zersägt und in kochender Säure aufgelöst, um Plutonium (Pu) und die Uran-Isotope herauszutrennen. Gewonnen werden dabei aus den Brennelementen 1% Plutonium und 1-3% des in den AKW's spaltbaren Uran 235. Gleichzeitig entsteht aber, weil alles, was längere Zeit mit hochradioaktiven verbrauchten Brennelementen in Berührung kommt, selbst radioaktiv wird, eine vielfache Menge zusätzlicher radioaktiver Abfall. Da dieser überwiegend flüssig und gasförmig ist, kann er in den entstehenden Mengen nicht aufgefangen werden. Also wird er, hoffend, daß eine hinreichende Verdünnung seine Folgen schon vertuschen wird, in die Umwelt abgegeben. So gibt die WAA La Hague jährlich 230 Mio. Liter flüssige Abfälle ins Meer ab und die WAA Sellafield jährlich 3 Mrd. Liter. In der Region um La Hague gibt es eine ist die Leukämie-Rate um das dreifache erhöht, um Sellafield um das zehnfache. Rund um Sellafield müssen weite Strandabschnitte wegen der zu hohen Verseuchung gesperrt werden. Wildtiere, z.B. Tauben, sind so extrem kontaminiert, daß WissenschaftlerInnen, die sie zur Untersuchung in die Bundesrepublik mitbringen, mit Strafverfahren wegen illegaler Einfuhr von radioaktiven Stoffen überzogen werden.

Warum gibt es dann überhaupt WAA's?

Gebaut wurden die WAA's ursprünglich aus zwei Gründen: Zum einen sind sie ein notwendiger Schritt auf dem Weg zur Atombombe für den jeweiligen Betreiberstaat. Genau deshalb wollte auch die Bundesrepublik in den siebziger und achtziger Jahren erst in Gorleben und dann in Wackersdorf eine WAA bauen, bevor die Pläne dann vor dem Hintergrund jahrelange massiver Proteste der Anti-Atom-Bewegung und der neu aufkommenden Fiktion einer "europäischen Atomwaffe" gemeinsam mit Frankreich und Großbritannien fallen gelassen wurden.

Zum anderen fürchtete man in den Siebzigern noch ähnlich wie beim Erdöl, eines Tages den ausreichenden Zugriff auf möglicherweise knapp werdende Uranvorräte zu verlieren. Da diese Annahme in keiner Hinsicht zutraf, ist die Gewinnung von Uran 235 in WAA's bis heute ökonomisch vollkommen sinnlos. Auch ist das aus den Brennelementen kommerzieller AKW's gewonnene Plutonium für moderne Atomwaffen unbrauchbar, weil durch die dafür zu lange Aufenthaltsdauer die falschen Pu-Isotopen entstehen. Um überhaupt etwas damit anzufangen, wird es frischen Brennelementen zur Leistungssteigerung beigemischt, obwohl diese dadurch deutlich schwerer handhabbar werden: Pu ist um ein Vielfaches giftiger als Uran.

Warum werden die WAA's dann mit deutscher Unterstützung weiter betrieben?

Zum einen sind die WAA's in den strukturschwachen Regionen natürlich die wichtigsten Arbeitgeber und Steuerzahler. Zum anderen lassen sich im Windschatten der "zivilen" Atomwirtschaft militärische Projekte natürlich hervorragend verstecken.

Für die deutsche Atomindustrie bedeuten die Verträge mit den Anlagen in Frankreich und Großbritannien, daß die verbrauchten hochradioaktiven Brennelemente erst einmal für Jahrzehnte vom Abfall zum Wirtschaftsgut umdeklariert werden und aus dem Land und damit aus dem Sinn geschafft werden können.

Letzter wesentlicher Grund ist, daß die Abnahmeverträge mit den WAA's zusammen mit den Castor-Hallen in Gorleben und Ahaus juristisch als ausreichender (von der deutschen Atomgesetzgebung verlangter) Lagerungsnachweis gelten - für Atommüll, der ca. 1.000.000 Jahre vollständig von der Biosphäre abgeschirmt werden muß!

Erst ab 2005 werden die WAA-Verträge (nach dem die Verseuchung durch die WAA's in den letzten Jahren zu öffentlich geworden ist und die Castor-Transporte zu den WAA's sich immer mehr zur Achillesferse der Atom-Mafia werden) durch die kraftwerksnahen dezentralen Castor-Hallen (geplante Lagerzeit 30-50 Jahre) ersetzt.

Was tun?

Natürlich gegen die etwa monatlich stattfindenden Castor-Transporte protestieren und Widerstand leisten. Für Details wendet Euch bitte an die örtlichen BI's, Anti-Atom-Gruppen und Infoläden oder schaut im Internet nach.

Und die Gorleben-Castoren? Voraussichtlich am 9. November wird in Lüneburg im Klarmanq-Park das Protest-Camp eröffnet, und in Gorleben die Auftakt-Demo stattfinden. Aus vielen Städten werden Busse dorthin fahren. Für die kommenden Tage wird es neben vielen privaten Unterkünften in Dahlenburg eine Schlafplatzbörse und einen Info-Punkt, bei Neu-Tramm ein Camp der BI und von X-1000, in Metzingen, Tollendorf und Govelin ein 3-Dörfer-Camp und in Lünburg einen Info-Punkt, Schlafplatzbörse und Großzelte zum pennen geben. In Lüneburg wird es in den ganzen Tagen Kundgebungen, Aktionen und Blockaden geben. Am 10.11. werden sich an der Straßentransportstrecke diverse Dörfer aus dem Wendland neugründen. X-1000 wird eine große Demo von Siemen oder Dannenberg nach Klein-Gusborn geben, am 12.11. Blockaden der ICE-Strecke und der Wendlandbahn geben und anschließend natürlich der Straßentransportstrecke. Außerdem wird es bundesweit regionale Aktionen geben.

Weitere Informationen bei der BI Lüchow-Dannenberg, bei den lokalen Anti-Atom-Gruppen und im Internet z.B. unter www.indymedia.de, www.wigatom.de, www.bi-luechow-dannenberg.de, www.bi-ahaus.de. Dort gibt's auch noch weitere Link's.

 

 
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