Die Friedensbewegung traut dem Frieden nicht
Nur entschiedene KriegsgegnerInnen dürfen in den Bundestag
Die Friedensbewegung begrüßt die Absage der Bundesregierung
an eine deutsche Beteiligung am US-Krieg gegen Irak.
Lange schien es so, als sollten außen- und
sicherheitspolitische Themen ganz aus dem Wahlkampf der
konkurrierenden Parteien herausgehalten werden. Dies war
aus zwei Gründen auch nicht weiter verwunderlich: Einmal
gelten erfahrungsgemäß innenpolitische Themen als
wahlentscheidend und zum anderen gab es in der laufenden
Legislaturperiode keine wirklich relevanten Unterschiede in
den großen außenpolitischen Orientierungen aller Fraktionen
mit Ausnahme der PDS. Noch beim Besuch des US-Präsidenten
George W. Bush in Berlin im Mai d. J. wurde die
"uneingeschränkte Solidarität" mit der (Kriegs-)Politik der
Vereinigten Staaten als "Konsens der demokratischen
Parteien" im Bundestag zelebriert.
Begründete Warnung
vor dem Pulverfaß
Umso verwunderlicher, daß sechs Wochen vor der Wahl die
Spitzenpolitiker der rot-grünen Regierungskoalition
öffentlich vom "Anti-Terror"-Kurs ihres atlantischen
Partners abrücken, indem sie insbesondere vor den
unkalkulierbaren regionalen und weltpolitischen Risiken
eines möglichen US-Krieges gegen den Irak warnen. In der
Öffentlichkeit müssen die wiederholten Beteuerungen von
Bundeskanzler Schröder und Außenminister Fischer,
Deutschland werde sich nicht am Irak-Krieg beteiligen, als
Kehrtwende verstanden werden. In den Kommentaren vieler
Medien wurde der Schwenk vor allem aus zwei Gründen
kritisiert: Erstens wolle die rot-grüne Koalition mit dem
Aufgreifen der Kriegsfrage von anderen Themen ablenken,
insbesondere von den wenig ermutigenden Arbeitslosenzahlen
und der offenbar gescheiterten Arbeitsmarkt-, Renten- und
Sozialpolitik der Bundesregierung. Viele Kommentare
behaupten gar, Rot-Grün wolle mit der Betonung der
Irakfrage in der Bevölkerung Angst vor einem Krieg schüren
und den Wahlkampf damit emotional aufheizen. Zweitens seien
außenpolitische Fragen, zumal wenn sie das
deutsch-amerikanische Verhältnis und die atlantische
Freundschaft berühren, kein geeigneter Wahlkampfgegenstand.
Differenzen zu den USA oder in der NATO müssten - so die
oft gehörte Empfehlung - in vertraulichen Gesprächen, also
"hinter verschlossenen Türen" verhandelt werden.
Friedensfragen
gehören in die Öffentlichkeit
Beide Argumente halten wir für wenig stichhaltig.
1.) Der geplante Krieg gegen Irak darf die Bevölkerung
keineswegs "cool" lassen. Ein solcher Krieg, für den die
Szenarien der Kriegsstrategen im Pentagon bis zu 250.000
US-Soldaten und ca. 30.000 britische Soldaten vorsehen,
wird unabsehbare Folgen für die irakische Zivilbevölkerung,
für die beteiligten Armeen und vermutlich auch für das
ganze Pulverfaß Naher Osten haben. Auch dürften
langfristige negative Rückwirkungen auf das Verhältnis
zwischen dem "Westen" und der "islamischen Welt" zu
erwarten sein. Kampf und Krieg werden die Zukunft bestimmen
statt Dialog und Kooperation.
2.) Außen- und sicherheitspolitische Fragen gehören zum
Kernbestand des politischen Diskurses in demokratischen
Gesellschaften. Das Zeitalter der Geheimdiplomatie und der
Kabinettskriege sollte doch lange überwunden sein. Auch
darf man die Außenpolitik nicht den berufsmäßigen
"Experten" überlassen. Eine Entscheidung über Krieg oder
Frieden ist bei der Bevölkerung allemal besser aufgehoben
als in der "politischen Klasse". Dies sagen wir, obwohl uns
natürlich bewußt ist, daß die Bevölkerung über
vielfältige Manipulationsmechanismen mitunter auch zum
Krieg verführt werden kann.
Wahltaktische Manöver?
Die Friedensbewegung muß sich noch mit einem ganz anderen
Einwand auseinandersetzen: Der plötzliche Schwenk von
Rot-Grün sei ein rein wahltaktisches Manöver, um sowohl im
Lager der Friedensbewegung und der "Linken" verlorenes
Terrain wiederzugewinnen als auch der weit verbreiteten
Anti-Kriegs-Stimmung der Bevölkerung Rechnung zu tragen.
Den Friedensbeteuerungen von Schröder und Fischer sei nicht
zu trauen. Nach der Wahl gälten wieder andere
Rücksichtnahmen. Diese Gefahr ist nicht von der Hand zu
weisen. Haben wir doch schmerzhaft erlebt, wie SPD und
Bündnisgrüne in den 90er Jahren von Wahl zu Wahl immer mehr
friedenspolitischen "Ballast" abgeworfen und sich nach dem
Wahlerfolg 1998 endgültig zu Krieg führenden Parteien
gemausert haben. Und wer gesehen hat, mit welch brachialer
Gewalt Bundeskanzler Schröder die Koalitionsabgeordneten
über die Vertrauensfrage zur Zustimmung zum US-Krieg
"Enduring Freedom" zwang, wird sich kaum Illusionen über
einen grundlegenden Kurswechsel in der rot-grünen
Außenpolitik machen. Dennoch: Auch Politiker sind - obwohl
das zunehmend schwerer fällt - zunächst einmal bei ihrem
Wort zu nehmen. Und ein klares Nein zum Irak-Krieg heute
kann nicht in sechs Wochen zu einem bedingten Nein und
später in ein unbedingtes Ja verwandelt werden. Dies wäre
ein neuerlicher Wahlbetrug.
Die Taten müssen jetzt folgen
Die Bundesregierung kann schon heute etwas tun, um ihr
Versprechen zu beweisen. Nach den Worten vom Frieden
erwarten wir nun auch konkrete Taten. Wir appellieren daher
an die Bundesregierung:
· im Rahmen der UNO und gegenüber den USA diplomatische
Initiativen zu ergreifen, um die Kriegsbefürworter weiter
zu isolieren,
· deutlich zu machen, daß von Deutschland keinerlei
militärische, finanzielle und politische Unterstützung
dieses Krieges zu erwarten ist,
· sofort alle deutschen Truppen aus der Krisenregion
zurückzuziehen, insbesondere die ABC-Spürpanzer aus Kuwait
und die Marineverbände aus der Golfregion und vor Afrika,
· und die Nutzung der militärischen Infrastruktur in Deutschland
einschließlich der US-Basen wie Spangdahlem, Ramstein und
Frankfurt Airport zu verweigern.
Konfliktbearbeitung mit zivilen Mitteln
Wer der irakischen Bevölkerung aus der Geiselhaft des
Saddam-Regimes helfen möchte, muß zivile Mittel zu
Befriedung der Region anwenden. Dazu gehört zuallererst die
Aufhebung des zwölfjährigen tödlichen Embargos, dem u.a.
Hunderttausende von Kindern bereits zum Opfer gefallen
sind; im Gegenzug muß auf die Einhaltung der
UN-Resolutionen zur Inspektion der irakischen
Waffenproduktionsstätten gedrungen werden. In diesem
Zusammenhang müssen auch massive politische Anstrengungen
zur Entschärfung des israelisch-palästinensischen Konflikts
unternommen werden.
Frieden
ist die entscheidende Frage
Der augenblickliche Wahlkampf, in dem die Bevölkerung
wenigstens theoretisch die Möglichkeit hat, die
Kandidatinnen und Kandidaten auf politisch-inhaltliche
Profile zu befragen, könnte sich als ein Glücksfall für die
demokratische Kultur unseres Landes erweisen. Dann nämlich,
wenn es der Friedensbewegung gelingt, die Außen- und
Sicherheitspolitik ins Zentrum der politischen
Auseinandersetzung zu rücken. Die Befürwortung oder
Ablehnung des angekündigten US-Kriegs gegen Irak ist dabei
eine entscheidende Testfrage. Es wäre gut für den Frieden
in der Welt, wenn sich nach der Septemberwahl die Zahl der
KriegsgegnerInnen im Bundestag über den Kreis der PDS-Fraktion
und weniger Abgeordneter anderer Fraktionen hinaus
bedeutend erhöhen würde. Die Friedensbewegung braucht viele
verlässliche KriegsgegnerInnen im Bundestag.
Dr. Peter Strutynski
Sprecher Bundesausschuß
Friedensratschlag
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