Arbeitsdienst für Oberbürgermeister Schütz?
Oldenburgs Oberbürgermeister Schütz (SPD) steht vor einem
Problem: Obwohl er im städtischen Haushalt nicht ohne
weiteres Millionenbeträge für Prestigeprojekte locker
machen kann, will er sichtbare Zeichen seiner politischen
Gestaltungskraft setzen. Eine Sportarena soll her, ein
neues modernes Schwimmbad anstelle des alten Huntebades
gebaut, Fußgängerzone und Burgstraße aufgeschickt, der
"Technologie- und Gründerzentrum Oldenburg GmbH" jährlich
60.000 Euro für einen Geschäftsführer spendiert werden. Nur
- wie soll er das anstellen bei einer Lücke von 72,8 Mio.
Euro in 2002, davon allein ein neues Minus von 28 Mio. Euro
aus diesem Haushaltsjahr? Und wie kann er über die
Schwierigkeiten kommunaler Finanzen öffentlich verhandeln
ohne darauf hinzuweisen, daß die von ihm selbst
mitverschuldete rot-grüne Steuerreform die Einnahmen der
Kommunen bundesweit hat zusammenbrechen lassen? Schließlich
hatte er als MdB zustimmend die Hand gehoben als es darum
ging, die Gewerbe- und Körperschaftssteuer
zusammenzustreichen. Es mußte doch jemanden geben, der den
Karren jetzt für ihn aus dem Dreck zieht. Da waren doch
noch diese "Faulenzer", die von der Sorte, für die der
Oberbürgermeister extra das Wortungetüm "sozialer
Doppelkomfort" in die politische Arena geworfen hat
Die Sozialhilfebeziehenden
sollen's richten
Neben den seit Monaten bekannten und weiteren geplanten
Streichungen städtischer Leistungen für soziale
Einrichtungen, Sportvereine etc. will Schütz vor allem die
Ausgaben für städtisches Personal und Soziales senken, die
zur Zeit mit 72 Mio. bzw. 94 Mio. Euro im Haushalt zu Buche
schlagen. Dazu hat ihm sein Haus- und Hofberater Kurt
Plagge vom städtischen Stellwerk [1] einen perfiden Plan
ausgeheckt:
Wer arbeitsfähig ist und Sozialhilfe bezieht oder
beantragt, soll in "Arbeitsgruppen/-kolonnen" der Stadt
dort arbeiten, wo nach jahrelangem städtischen
Personalabbau offensichtlich notwendige Arbeiten unerledigt
bleiben: in Grünanlagen, Schulen, öffentlichen Gebäuden.
Der "Oldenburger Arbeitsdienst" ist geschaffen - mit 1,10
Euro pro Stunde für die arbeitenden Sozialhilfebeziehenden.
Wie tückisch der geplante städtische Arbeitsdienst ist,
wird mit Blick auf den Arbeitsmarkt deutlich:
1.ßDie Angebote freier Stellen gehen immer weiter zurück;
im April gab es ein Drittel weniger freie Stellen als im
Vorjahr. Im Bereich Oldenburg stehen 26.000 offiziell
Arbeitslosen gerade noch 4.200 freie Stellen gegenüber
(ausführlicher Bericht zu diesen Zahlen im letzten
STACHEL). Das weiß auch Stellwerk-Geschäftsführer Kurt
Plagge. Er berichtete seinem Aufsichtsrat vom "starken
Rückgang an 'Einfachstarbeitsplätzen'", "deutlich
verringerten Nachfrageinteresse nach Arbeitskräften für den
originären Arbeitsmarkt seit dem letzten Quartal 2001" wie
auch dem Rückgang der "Nachfrage von Arbeitgebern nach
Gewährung von Lohnkostenzuschüssen" [2].
Hier liegt Oldenburg nicht nur im bundesweiten Trend,
sondern trägt dazu mit der von OB Schütz verhängten
Widerbesetzungssperre frei werdender Stellen aktiv bei (von
wegen "antizyklisches Agieren der Stadt in der Krise",
dessen Schütz sich gern rühmt, wenn es um Geld für
Prestigeprojekte geht, d. äzzer).
2. Just als es für Erwerbslose objektiv immer
aussichtsloser wird, Arbeit zu finden, verschärfen Arbeits-
und Sozialamt die Anforderungen an Arbeitslose. Der
Bewerbungsdruck wird erhöht, Trainingsmaßnahmen
aufgezwungen, in "Profilingverfahren" (angeblich) bei
Erwerbslosen selbst liegende Ursache ihrer Arbeitslosigkeit
gesucht. Und gerade in diesem Moment wird die bisherige
Praxis der Stadt, für Sozialhilfebeziehende
Ein-Jahresstellen mit Arbeitsvertrag bei freien Trägern
einzurichten, gekippt. Bereits zugesagte Stellen wurden in
diesem Frühjahr über Nacht abgesagt. Stattdessen wurde den
für diese Arbeitsverträge bereits vorgesehenen
Sozialhilfebeziehenden 'angeboten', diese Arbeiten bei
Zahlung einer Aufwandsentschädigung zu erledigen.
Doch damit nicht genug:
An Stelle der vom Sozialamt finanzierten Arbeiten mit
Arbeitsvertrag bei freien Trägern soll für die Stadt
arbeiten, wer Sozialhilfe bekommt. Kurt Plagge erhält auf
Nachfrage in städtischen Einrichtungen "84 Arbeitsangebote
für Beschäftigungsmöglichkeiten" in gemeinnütziger und
zusätzlicher Arbeit genannt, die er "aus pädagogischen und
aus finanziellen Gründen in der Mehrzahl" als Arbeiten "mit
Mehraufwandsentschädigung" organisieren will.
Klartext: Die arbeitenden Personen bleiben im
Sozialhilfebezug, sind durch die Arbeit weder kranken-,
renten-, arbeitslosen- noch pflegeversichert, bekommen
keine Lohnfortzahlung im Krankheitsfall und was sonst noch
mit dem Arbeitnehmerstatus verbunden wäre. Stattdessen
werden sie mit hoheitlichem Akt (Heranziehungsbescheid) zu
Tätigkeiten für die Stadt verpflichtet und erhalten als
'Gegenleistung' eine Mehraufwandsentschädigung von meist
1,10 Euro pro Stunde. Und auch die ohnehin geringen
Zukunftsperspektiven für Sozialhilfebeziehende werden
weiter geschmälert: War es lange Verwaltungspraxis, nach
einer Phase mehraufwandsentschädigter Arbeit zur
Arbeitsvertragsarbeit überzugehen, so daß nach einem Jahr
Ansprüche auf Leistungen der Arbeitslosenversicherung
entstehen, entfällt auch diese 'Perspektive', nachdem das
Sozialamt kaum mehr Arbeitsvertragsstellen finanziert.
Statt dieser (kleinen) Perspektive bietet das Sozialamt
mehr Druck: binnen einer Woche soll sich, wer einen Antrag
auf Hilfe beim Sozialamt stellt, bei Stellwerk melden, der
'zeitliche Ablauf des Verfahrens fehlender Mitwirkung der
Klienten bis zu ernsthaften finanziellen Konsequenzen für
die Klienten' soll verkürzt werden. Kurz: Wer nicht für
1,10 Euro schuften will, steht bald ganz ohne Geld da.
Einsatzbereiche dieser "Arbeitsgruppen/-kolonnen" für
Sozialhilfebeziehende sollen das Amt 31 (Stadtgrün und
Umwelt), die zentrale Gebäudewirtschaft und der
Abfallwirtschaftsbetrieb sein - Bereiche, in denen
städtischer Personalabbau oft kaum mehr zu übersehen ist:
der Sand auf den Spielplätzen wird - ohne Rücksicht auf die
erhöhte Verletzungsgefahr für Kinder - immer seltener
gewechselt, Löcher in Rad- und Gehwegen werden mit
entsprechendem "Gefahrenpotenzial für Gehbehinderte und
ältere Menschen in Kauf" genommen [3]. Umweltdezernentin
Karin Opphart stellt "Verwahrlosung, Vermüllung,
Imageverlust und floristisch verarmte historische Anlagen"
fest. Erste Erfahrungen mit dem Einsatz von ähnlichen
Arbeitsdiensten hat sie bereits: Die Bepflanzung vor dem
Kulturzentrum im ehemaligen Peter-Friedrich-Ludwig-Hospital
wurde in diesem Jahr von erwerbslosen Jugendlichen aus
einer Arbeitsamtsmaßnahme erledigt. "Der Kauf der Blumen
ist nicht das Problem", so Opphart.
Widerstand durch
"Aufklärungsarbeit" beseitigen
Mit dem Druck, die Sozialhilfe zu kürzen, ganz zu streichen
oder bei Neuantrag erst gar nicht zu bewilligen, wollen
Schütz und Plagge Erwerbslose in die Kolonnen des
Oldenburger Arbeitsdienstes pressen. Offenbar sehen sie
dazu jetzt die Gelegenheit, wo der Arbeitsmarkt kaum mehr
Erwerbsmöglichkeiten bietet. Wie wenig sich das Duo
Schütz/Plagge jedoch ihres Arbeitsdienstes sicher sind, enthüllt
das schon mehrfach angeführte Stellwerk-Protokoll. Demnach
wurde im Stellwerk-Aufsichtsrat "das Thema der liberalen
Haltung des hiesigen Verwaltungsgerichts kurz diskutiert
und vorgeschlagen, zukünftig für uns negative Urteile von
einer nächsten Instanz überprüfen zu lassen. Gleichzeitig
sollte das aufklärende Gespräche mit den
Verwaltungsrichtern gesucht werden."
Offensichtlich ist den Verantwortlichen sehr wohl klar, daß
die Konstruktion ihres Arbeitsdienstes mit den gesetzlichen
Vorgaben nur schwer vereinbar ist. Bereits eine erste
Überprüfung durch das ortsansäßige Verwaltungsgericht
könnte den Arbeitsdienst gefährden. Schließlich erklärte OB
Schütz noch im Februar im NWZ-Gespräch, daß er "bei der
dringend notwendigen Sanierung von Schulbauten, Pflege von
Grünflächen und der Reinigung von Straßen und Plätzen",
"Sozialhilfeempfänger einsetzen" will. Wie sich die Aussage
der "dringenden Notwendigkeit" mit der Vorgabe verträgt,
daß die über die Sozialhilfe organisierten Arbeiten
"zusätzlich" sein sollen, bleibt Schützen's Geheimnis!
Und noch an anderer Stelle fürchten Schütz/Plagge
Gegenwind, nämlich von denjenigen, die städtische Aufträge
gegen Rechnung erledigen könnten. In dem Protokoll heißt
es:
"Einvernehmen herrscht bei den Anwesenden darüber, vorerst
die Interessenvertreter der Kaufleute und Handwerker nicht
in dieses Programm mit einzubeziehen und erst einmal deren
Reaktion abzuwarten."
Man mag von der in der BRD gepflegten 'Marktwirtschaft'
halten was man will. Aber: Ein Arbeitsdienst ist für den
Fall, daß Steuerpolitik einzelne Ebenen des Staates (z.B.
die Kommunen) der Gelder zur Erledigung ihrer einfachsten
Aufgaben beraubt, (noch) nicht vorgesehen. Wo der
öffentliche Dienst Aufgaben nicht (mehr) bewältigt (z.B.
das Umweltamt), sind Dritte zu beauftragen, die ihre
Dienstleistungen auf dem Markt anbieten. Aber auch davon
wollen Schütz/Plagge - so scheint's - nichts wissen.
Verdrängung durch Arbeitsdienst statt Hilfe des Sozialamtes
Schütz will "die Zahl der erwerbslosen Sozialhilfeempfänger
deutlich abbauen", wie er bereits im Februar ankündigte
[4]. Dies wird er beim derzeitigen Zustand des
Arbeitsmarktes nur durch Abdrängen Hilfesuchender in graue
oder schwarze Jobs oder andere Formen der nicht-legalen
Einkommensbeschaffung erreichen können. Und an dieser
Stelle hilft ihm die andere Seite des Oldenburger
Arbeitsdienstes. Der massive Druck, den das Sozialamt zur
Annahme der völlig perspektivlosen
Ein-Euro-Zehn-Cent-Arbeiten ausüben will, soll zum
Instrument werden, Anträge auf Sozialhilfe abzuwenden. Die
Einstellung oder Nichtbewilligung der Sozialhilfe wegen
"mangelnder Mitwirkung" beim Arbeitsdienst wird dann der
Hebel, "die Zahl der erwerbslosen Sozialhilfeempfänger
deutlich abzubauen" (Schütz).
gg
[1] Stellwerk nennt sich die städtische Gesellschaft mit
Sitz im Arbeitsamtsgebäude, die für das Sozialamt Vermittlung in
Tätigkeiten oder Arbeit organisieren soll.
[2] Protokoll der Stellwerk-Aufsichtsratssitzung vom 29.04.02.
[3] So Elke Wicherts, Leiterin des Amtes für Stadtgrün und Umwelt
lt. NWZ vom 16.3.02.
[4] NWZ vom 9.02.02.
Gegenwehr: Jobabbau durch Arbeitsdienst stoppen!
Der arbeitsdienstgestützte Abbau von Arbeitsplätzen mag
zwar in Schütz'ens politischen Plan zur "Senkung der
städtischen Personalausgaben" passen, doch kann dieser
weder im Sinne der augenblicklich Beschäftigten noch der
Erwerbslosen sein. Schütz und Plagge bewegen sich - wie
gezeigt - in vielerlei Hinsicht auf denkbar 'dünnem Eis'.
Und diese 'Eisdecke' gilt es 'zum Schmelzen zu bringen'.
Denn auch Sozialhilfebeziehende müssen, obwohl sie von der
finanziellen Hilfe der Stadt existenziell abhängig sind,
ihre Einordnung in die "Arbeitskolonnen" nicht
widerstandslos hinnehmen. Sie erhalten Rat und
Unterstützung z.B. in der Sozialberatung der
Arbeitslosenselbsthilfe (offene Termine je Mo, Mi, Do 9 -
13 Uhr im Arbeitslosenzentrum, Kaiserstr. 19) oder z.B.
auch beim dortigen offenen Treff, Montags 15 bis 18 Uhr.
Es ist nicht hinzunehmen, daß Politik und Verwaltung
Sozialhilfebeziehende das ausbaden lassen, was sich als
Folge aktueller Steuerpolitik herstellt: Finanznot der
Kommunen.
Sozialhilfebeziehende sollen ausbaden, was sich als Folge
aktueller Steuerpolitik herstellt: Finanznot der Kommunen?
Nicht mit uns!
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