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Warum nicht zusammen?
Ein ehrlich gemeinter Appell an alle Bürgerinnen und Bürger - aber besonders an die Beschäftigten der Stadt Oldenburg
Eines der stärkeren Argumente des Oberbürgermeisters Schütz
zur aktuellen Haushaltspolitik lautet: Alle müssen sparen.
Es könne nicht sein, daß innerhalb der Verwaltung laufend
Personal abgebaut werde, aber die unabhängigen sozialen
Einrichtungen in vollem Umfange weiter gefördert würden.
Immer mehr zu tun -
von immer weniger Händen
In der Tat bekommen wir in verschiedenen Bereichen des
städtischen Zusammenlebens zu spüren, wie dünn die
Personaldecke bei den Beschäftigten der Stadt inzwischen
geworden ist - und wie dünn dadurch mitunter auch die Haut.
Städtische Grünflächen und die Zahl der Spielplätze nehmen
zu. Das ist gut so. Aber gleichzeitig wird das Personal
reduziert, um sie zu pflegen. Schulgebäude und Turnhallen
verrotten, aber Geld und Personal zur Pflege und Wartung
werden abgebaut. Wollen wir allen Ernstes wieder einen
Arbeitsdienst in Deutschland einrichten? Sollen anstelle
des abgebauten Personals Sozialhilfeberechtigte gezwungen
werden, in Arbeitskolonnen für 1,10 Euro die Stunde städtische
Pflichtaufgaben zu verrichten?
Während Fallzahlen und soziale Probleme wachsen, wird die
belastende Arbeit z.B. im Sozial- oder Jugendamt auf immer
weniger Schultern verteilt. Die einzelnen MitarbeiterInnen
sind überlastet, können den eigenen Ansprüchen kaum noch
genügen und unterliegen zudem einem ständig wachsenden
Spardruck. Die Spannungen - auch untereinander - wachsen
entsprechend mit, die Stimmung ist auf dem Tiefpunkt. Die
Arbeit, die mit dem Idealismus einst begonnen wurde,
Menschen in Notlagen zu helfen und damit zu einem
solidarischen Zusammenleben in der Gemeinschaft
beizutragen, droht zum Scheitern verurteilt zu sein und
dadurch zur täglichen Plage zu werden.
Statt Neid: die gleichen Ziele
Wie leicht fällt da, zugegebenermaßen, der unbedachte Blick
zur Seite: Wir müssen bluten, ständig werden unsere
Arbeitsbedingungen verschlechtert; wieso kriegen die - im
kulturellen, sozialen, Sport- oder sonstwo Bereich - keine
Kürzungen? Oder: Wenn die bei uns so reinholzen, dann
sollen sie doch auch bei den anderen weghauen!
Die Berührungsängste sind groß. Es gibt nur zufällige,
keine regelmäßigen Gelegenheiten zum Erfahrungs- und
Meinungsaustausch. Zu Vorurteilen kommen sicherlich noch
unterschiedliche politische Einschätzungen zur aktuellen
Lage. Aber vom Verwaltungsangestellten über die städtische
Sozialarbeiterin im Jugendamt, den Sportwart, die
Sozialberaterin im unabhängigen Verein bis zum Müllmann
beim Abfallentsorgungsbetrieb: Tatsächlich arbeiten doch
alle Menschen genau für das, was einmal als Lebensqualität
bezeichnet wurde. Wir arbeiten für ein gutes Leben
miteinander in einer städtischen Gemeinschaft.
Und so verraten alle unbedachten und neidischen Reaktionen
eine ungemeine Hilflosigkeit, eine gegenseitige Verdrängung
der Tatsache, daß man einfach nicht weiß, wie man sich
selbst gegen diesen zunehmenden Druck wehren kann. Egal
welche Parteien die Mehrheit im Stadtrat haben, alle würden
doch diesen rigorosen Sparkurs durchziehen müssen.
Spätestens am Nein der Bezirksregierung würden doch alle
Alternativen zum Sparen scheitern.
Appell für
solidarisches Zusammenleben
Am 1. August dieses Jahres hat der niedersächsische
Ministerpräsident Sigmar Gabriel in der Frankfurter
Rundschau einen flammenden Appell für den Erhalt des
solidarischen Zusammenlebens in unseren Städten
veröffentlicht. Gerade weil wir in Oldenburg eine
sozialdemokratische Mehrheit im Stadtrat haben, weil wir
einen sozialdemokratischen Oberbürgermeister haben, weil
wir eine sozialdemokratische Bezirksregierung haben, weil
wir eine sozialdemokratische Landesregierung haben und weil
wir noch eine sozialdemokratische Bundesregierung haben,
ist dieser Appell so bemerkenswert, daß er hier ausführlich
zitiert sein soll. Er könnte kaum schöner formuliert
werden. Er wurde zusammen mit einer Analyse der
finanziellen Verarmung der Kommunen publiziert unter der
Überschrift "So wird die Amerikanisierung unserer
Gesellschaft programmiert":
"Denn im Kern geht es nicht um eine vordergründige
Finanzdebatte, sondern um viel mehr. Nach der Familie und
dem Arbeitsplatz sind Städte und Gemeinden die wohl
wichtigste soziale Integrationsinstanz in unserer
Gesellschaft. Ob Sport und Kultur, Kindergärten und
Schulen, Wohnungs- und Siedlungsstruktur, Beratung und
Hilfe für Behinderte, Alte, Jugendliche, Obdachlose,
Drogensüchtige, ausländische Mitbürger, Straßenbau und
Lärmschutz, Personennahverkehr und Wirtschaftsförderung,
Denkmalpflege und Umweltschutz: Für all dies sorgen
mittelbar bzw. unmittelbar unsere Kommunen.
Städte, Gemeinden und Landkreise sind damit der Garant für
ein attraktives, lebendiges und solidarisches Zusammenleben
der Menschen vor Ort. Diese soziale Integrationsleistung
ist mit dem Art. 28 des Grundgesetzes als kommunale
Selbstverwaltung entstanden, und diese gehört zu den echten
Erfolgsgeschichten der Bundesrepublik Deutschland. Dabei
ist es nicht der Erfolg der hauptamtlichen Regierungen und
Parlamente in Bund und Ländern, sondern der Erfolg der
ehrenamtlichen Rats- und Kreistagsmitglieder und ihrer
Bürgermeister und Landräte. Dies macht übrigens den Kern
der von vielen apostrophierten Zivilgesellschaft aus.
Gerade in einer Zeit, in der sich alles unglaublich schnell
zu ändern scheint und in der Schlagworte wie Globalisierung
und Digitalisierung eher Ängste als Hoffnungen wecken,
schaffen unsere Kommunen damit auch Räume von Sicherheit
und Wärme. Die öffentlichen Angebote und Einrichtungen
führen Menschen in unserem Land zusammen und schaffen
soliden Grund unter den Füßen. Dabei entsteht auch Heimat
oder mindestens ein Gefühl davon. Und das ist weit mehr als
der von Volkswirten abstrakt formulierte
Wirtschaftsstandort. Nein, unsere Städte, Gemeinden und
Landkreise sind Lebensstandorte, sie stärken die
Kohäsionskräfte in einer Zeit, in der die Zentrifugalkräfte
uns immer mehr auseinander treiben.
Und all dies, was vor Ort für die Menschen getan wird,
gehört rechtlich zu den so genannten "freiwilligen
Leistungen" der kommunalen Selbstverwaltung. Für das Leben
in den Städten, Gemeinden und Landkreisen sind es aber
eigentlich soziale und politische Pflichtaufgaben. Sie
müssen indes aus dem eigenen Finanzaufkommen der Kommunen
finanziert werden und sind deshalb in der aktuellen
dramatischen Finanzkrise in Gefahr. Denn diese
"freiwilligen Leistungen", diese elementaren sozialen
Integrationsleistungen unserer Kommunen, sind nicht
marktfähig. Wer sie privatisieren will, entscheidet sich
letztlich für die Streichung, denn auch dort, wo private
oder freie Träger kommunale Angebote und Aufgaben
übernehmen, bedürfen sie immer erheblicher Zuschüsse durch
die öffentliche Hand.
Letztlich geht es um die Frage, ob wir in Deutschland
"privatisierte" Städte, Gemeinden und Landkreise wollen,
wie z. B. in den USA oder in großen Teilen in
Großbritanniens, die nur noch die absolut
überlebensnotwendigen "Herz-Kreislauf-Funktionen" wie
Stromversorgung, Wasser- und Abwasserversorgung bereit
stellen, oder ob auch die hochdifferenzierten feinen
Verästelungen der kommunalen Versorgung, sozusagen das
"vegetative Nervensystem", also das soziale und kulturelle
Zusammenleben wieder funktionieren soll. Es geht um die
Entscheidung: Wollen wir vielfältige vitale oder verarmte
privatisierte Kommunen?
Nicht nur Sozialdemokraten ist die Antwort klar: Man weiß,
daß nur sehr wohlhabende Menschen auch bequem in armen
Städten leben können. Es geht also um eine hoch politische
Debatte. Es geht um den Erhalt von Städten, Gemeinden und
Landkreisen als Orte sozialen Lebens und Lernens. Es geht
um Lebenschancen und um Antworten auf die Frage, was uns in
unserer Gesellschaft zusammenführt, zusammenhält und unser
solidarisches Zusammenleben auch in Zukunft sichert."
Die Umsetzung
Betrachtet man nach diesem Plädoyer die aktuelle
sozialdemokratische Politik, dann fragt man sich einmal
mehr: Kann man überhaupt noch einen Politiker ernst nehmen?
Aber wir sollten uns und unsere Arbeit ernst nehmen. Wir
sollten uns nicht auseinander dividieren lassen. Die
Unterscheidung zwischen sogenannten Kernaufgaben,
präventiver Arbeit und freiwilligen Leistungen ist
angesichts der Personalentwicklung und Arbeitsbelastung im
öffentlichen Dienst trügerisch. Alle, für die eine weitere
Amerikanisierung der Städte eine Horrorvorstellung ist,
sollten an einem Strang ziehen. Erst wenn die Verarmung der
Kommunen zum öffentlichen Skandal in ganz Deutschland
gemacht wird, gibt es eine Chance auf eine bessere
Finanzausstattung für die Städte. Wir produzieren in
unserem Land heute mehr als doppelt so viel Reichtum wie
noch vor dreißig Jahren - er muß nur vernünftig verteilt
werden!
Die sozialdemokratische Fraktion im Stadtrat wird weiter
vor der Bezirksregierung kuschen und jede Sparauflage brav
nach unten durchreichen, die sozialdemokratische
Bezirksregierung wird weiter vor dem Land kuschen und
alternative Haushaltsansätze verbieten, die
sozialdemokratische Landesregierung wird weiter
Sparhaushalte verabschieden - solange wir uns nicht dagegen
wehren. Nur wir, die Menschen die in den Kommunen an der
Basis arbeiten, haben eine Chance, diesen perfiden
Mechanismus zu unterbrechen. Sozialdemokraten wollen am 22.
September bundesweit und nächstes Jahr landesweit wieder
gewählt werden.
Wenn die Stadt sich weigert, die Zwangsauflagen der
Bezirksregierung umzusetzen: Was könnte denn ein Kommissar
der Bezirksregierung noch Schlimmeres anrichten? Was, wenn
die Menschen in allen gebeutelten Städten auf die Straße
gehen und sich gegen Sparhaushalte wehren? Vielleicht
schaffen wir es gemeinsam, in Oldenburg eine Initialzündung
auszulösen.
Wir appellieren an alle Oldenburger Bürgerinnen und Bürger,
die Proteste und Aktionen gegen den Sozialabbau aktiv zu
unterstützen. Wir appellieren besonders an die
Beschäftigten der Stadt Oldenburg, sich öffentlich gegen
unzumutbare Arbeitsbedingungen zu wehren und mit uns
gemeinsam zu demonstrieren. Und wir appellieren an alle
SozialdemokratInnen in Oldenburg, denen das Wort
"sozialdemokratisch" inhaltlich noch etwas anderes bedeutet
als Macht und Machterhalt.
Beteiligen Sie sich, beteiligt Euch aktiv an der
Demonstration für ein soziales Oldenburg am 7. September!
Michael Bättig
Anm. d. Red: es gibt viele weitere Gelegenheiten, in den
kommenden Wochen zum Thema aktiv zu werden. Weitere
Informationen gibt es in diesem Heft.
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