Oldenburger STACHEL Nr. 235 / Ausgabe 6/02      Seite 1
 
Inhalt dieser Ausgabe
 

Arme Kinder nur noch "Zaungäste"

Erste Badesaison ohne freien Schwimmbad-Einlaß für Sozialhilfebezieher

Der freie Schwimmbadeintritt für Sozialhilfebezieher ist dem ersten Sparhaushalt von Oberbürgermeister Dietmar Schütz (SPD) zum Opfer gefallen. Von dieser Ratsentscheidung besonders betroffen sind fast 15 Prozent der Oldenburger Kinder. Für sie war der kostenlose Badespaß eine von wenigen attraktiven Bewegungs- und Freizeitmöglichkeiten, die ihnen trotz familiärer Geldnot offen stand.

Oldenburg. Die Freibadsaison ist eröffnet. Seit Anfang Mai stehen im Huntebad und im Flötenteich die Tore für schwimmfreudige OldenburgerInnen wieder offen - jedoch seit 14 Jahren erstmals nicht mehr für alle. Denn konnten Sozialhilfeempfänger auch im vergangenen Sommer noch kostenfrei den Sprung in das kühle Naß wagen, sind die Berechtigungsscheine vom Sozialamt seit der vergangenen Ratsversammlung am Kassenhäuschen der städtischen Schwimmbäder wertlos.

Mit 25:23 Stimmen setzten SPD, FDP und BfO (Bürger für Oldenburg) am 18. März gegen den lautstarken Protest etlicher BürgerInnen den ersten Sparhaushalt in der Amtszeit von Oberbürgermeister Dietmar Schütz durch. Dem Rotstift des Rates ist dabei unter anderem auch das kostenfreie Badevergnügen für Sozialhilfebezieher zum Opfer gefallen - ein gestrichener Haushaltsposten, der besonders zu Lasten der Kinder geht. Denn für viele Oldenburger Kinder, die von Sozialhilfe leben, zählt der Schwimmbadbesuch zu den wenigen attraktiven Bewegungs- und Freizeitmöglichkeiten, an denen sie bisher trotz familiärer Geldnot teilhaben konnten. Nicht nur die physische Entwicklung sowie der Bewegungsraum der betroffenen Kinder werden durch den politischen Beschluß weiter eingeschränkt, auch die Möglichkeiten für einen sozialen Anschluß an Gleichaltrige werden immer geringer.

Schwimmbadbesuch: Besonders
bei armen Kindern sehr beliebt

Bei einer von der ALSO und dem Verein Donna 45 gemeinsam durchgeführten Befragung der Eltern von 128 Oldenburger Kindern, die von Sozialhilfe leben müssen, stand für über 60 Prozent der sechs- bis 14jährigen Schwimmen/Baden an zweiter Stelle der Sport- und Bewegungsaktivitäten. An erster Stelle wurde Fahrradfahren mit fast 70 Prozent angegeben. Im Vergleich: In einer nordrhein-westfälischen Sportstudie liegt der Durchschnittswert für Schwimmen als Bewegungsaktivität der sechs bis 14jährigen bei nur knapp über 40 Prozent.

Der ausschlaggebende Grund für die hohe Attraktivität des Schwimmbadbesuches bei armen Kindern sind fehlende finanzierbare Alternativen. So kostet zum Beispiel die Mitgliedschaft für einen Sportverein in Oldenburg zwischen fünf und sechs Euro monatlich - für Familien, die von der Sozialhilfe leben müssen, sind diese Beträge unbezahlbar. Eine Einschränkung, die auch Zahlen der ALSO-Studie belegen: Ist in Oldenburg etwa jedes zweite Kind im Alter bis 14 Jahren Mitglied in einem Sportverein, ist es bei den sozialhilfeabhängigen Kindern nur jedes fünfte. Zahlreiche Kinder von Sozialhilfebeziehern waren in Oldenburg daher in ihrer Freizeit ohnehin bereits auf Schwimmen und Fahrradfahren beschränkt.

Sparmaßnahme
ohne Spar-Effekt?

Die Ratsmehrheit aus SPD, FDP und BfO begründet die Kürzungen und Streichungen, darunter auch der Wegfall des freien Schwimmbadeintritts für Sozialhilfebezieher mit der desolaten Haushaltslage der Stadt. Um die Zustimmung der Bezirksregierung für das Haushaltsjahr zu erhalten, dürfe es beim Sparen keine Tabus mehr geben. Kein "sozialer Komfort" bleibe dabei unberührt, erklärte Oberbürgermeister Schütz.

Die Mehrheitspolitiker argumentieren mit Kosten von 30.000 Mark (15.338 Euro), die die Verwaltung bisher jährlich für die kostenfreien Eintrittskarten für Sozialhilfebezieher im Haushalt zur Verfügung gestellt hat. Dieselbe Summe wurde im Haushaltsansatz des Stadtsportbundes als Einnahme gebucht - Eine Nullnummer also? Offensichtlich geht Oberbürgermeister Schütz davon aus, daß der Schwimmbadbesuch durch die Sozialhilfe finanzierbar wäre. Doch die Rechnung, daß Sozialhilfebezieher in Zukunft den vollen Eintritt selber entrichten und damit den Ausfall der städtischen Zuwendung an den Stadtsportbund ausgleichen würden, geht nicht auf. Aufgrund der neuen Situation ist dieser Teil der Schwimmbadbesucher vom Badespaß schlicht ausgeschlossen. Eine Sparmaßnahme also ohne Spar-Effekt?

Eine weitere Rechtfertigung der SPD für die Streichung des freien Eintritts, in den umliegenden Gemeinden sei die Schwimmbadbenutzung für Sozialhilfebezieher auch nicht kostenlos, ist zudem unwahr. So bietet zum Beispiel die Gemeinde Lemwerder freie Nutzung von Schwimmbad und Stadtbücherei. In Nordenham und Elsfleth können Sozialhilfebezieher bei Eintrittskarten für die Hallenbäder immerhin 50 Prozent Ermäßigung in Anspruch nehmen und auch Butjadingen hat vergünstigte Preise für Freizeitmöglichkeiten vorgesehen, unter anderem für seine Strandbäder Burhave, Tossens und Eckwarderhörne sowie das Seewasserhallenbad Tossens.

Auch Ausweichmöglichkeiten
von Kürzungen betroffen

Bleibt für Kinder von Sozialhilfebeziehern die Frage, welche Freizeitmöglichkeiten ihnen in Oldenburg weiterhin trotz Geldmangels zur Verfügung stehen. Hier zeigt sich, daß auch die Ausweichmöglichkeiten von den Kürzungen und Streichungen aus dem Sparhaushalt betroffen sind. Die bevorstehende Schließung der Jugendfreizeitstätte Bümmerstede sowie der Hinweis auf fehlende Gelder für eine kontinuierliche Reinigung der vorhandenen städtischen Spielflächen zeigt: Nicht nur bei der Eröffnung der diesjährigen Freibadsaison werden besonders arme Kinder in die Rolle des "Zaungastes" gedrängt.

(Infoveranstaltung: "Arme Kinder in Schwimmbädern unerwünscht?", Montag, 3. Juni, 9.30 Uhr im Arbeitslosenzentrum, Arbeitslosenselbsthilfe, Kaiserstr. 19, 26122 Oldenburg (Tel. 16313).)

ALSO


Sozialhilfe für Kinder

In Oldenburg leben aktuell (Stichtag 30.04.2002) 10.151 SozialhilfebezieherInnen, davon sind 3197 Kinder unter 14 Jahren. Ihr Anteil an der Gesamtbevölkerung derselben Altersgruppe liegt bei rund 15%. Die monatlichen Regelsätze für Kinder betragen 143,67 EUR bzw. 157,99 EUR (unter 7 Jahren) und 186,62 EUR (von 7 bis 13 Jahren):

Davon müssen die Eltern sämtliche Ausgaben außer Miete, Heizung und Kleidung für ihre Kinder bestreiten:

· Ernährung (Anteil im Regelsatz = 50%)

· hauswirtschaftlicher Bedarf (15%)

· persönliche Bedürfnisse (35%)

Beispiel: Einem 10jährigen Kind stehen für seine persönlichen Bedürfnisse monatlich 65,32 EUR zu. Zu diesen persönlichen Bedürfnissen gehören:

· Mittel zur Körper- und Gesundheitspflege (z.B. Taschentücher, Duschgel, ...)

· Beziehungen zur Umwelt (z.B. Telefon, Vewandtenbesuche, ...)

· Teilnahme am kulturellen Leben (z.B. Zeitschriften, Bücher, Kinobesuche, ...)

· sonstige Bedürfnisse (z.B. Spielwaren, Sportartikel, Süßigkeiten, ...)

 

 
  Differenzen zur gedruckten Fassung nicht auszuschließen. Dieser Text ist urheberrechtlich geschützt. Siehe auch Impressum dieser Ausgabe und Haupt-Impressum