Arme Kinder nur noch "Zaungäste"
Erste Badesaison ohne freien Schwimmbad-Einlaß für Sozialhilfebezieher
Der freie Schwimmbadeintritt für Sozialhilfebezieher ist dem ersten
Sparhaushalt von Oberbürgermeister Dietmar Schütz (SPD) zum Opfer
gefallen. Von dieser Ratsentscheidung besonders betroffen sind fast 15
Prozent der Oldenburger Kinder. Für sie war der kostenlose Badespaß
eine von wenigen attraktiven Bewegungs- und Freizeitmöglichkeiten, die
ihnen trotz familiärer Geldnot offen stand.
Oldenburg. Die Freibadsaison ist eröffnet. Seit Anfang Mai stehen im
Huntebad und im Flötenteich die Tore für schwimmfreudige
OldenburgerInnen wieder offen - jedoch seit 14 Jahren erstmals nicht
mehr für alle. Denn konnten Sozialhilfeempfänger auch im vergangenen
Sommer noch kostenfrei den Sprung in das kühle Naß wagen, sind die
Berechtigungsscheine vom Sozialamt seit der vergangenen
Ratsversammlung am Kassenhäuschen der städtischen Schwimmbäder
wertlos.
Mit 25:23 Stimmen setzten SPD, FDP und BfO (Bürger für Oldenburg) am
18. März gegen den lautstarken Protest etlicher BürgerInnen den ersten
Sparhaushalt in der Amtszeit von Oberbürgermeister Dietmar Schütz
durch. Dem Rotstift des Rates ist dabei unter anderem auch das
kostenfreie Badevergnügen für Sozialhilfebezieher zum Opfer gefallen -
ein gestrichener Haushaltsposten, der besonders zu Lasten der Kinder
geht. Denn für viele Oldenburger Kinder, die von Sozialhilfe leben,
zählt der Schwimmbadbesuch zu den wenigen attraktiven Bewegungs- und
Freizeitmöglichkeiten, an denen sie bisher trotz familiärer Geldnot
teilhaben konnten. Nicht nur die physische Entwicklung sowie der
Bewegungsraum der betroffenen Kinder werden durch den politischen
Beschluß weiter eingeschränkt, auch die Möglichkeiten für einen
sozialen Anschluß an Gleichaltrige werden immer geringer.
Schwimmbadbesuch: Besonders
bei armen Kindern sehr beliebt
Bei einer von der ALSO und dem Verein Donna 45 gemeinsam
durchgeführten Befragung der Eltern von 128 Oldenburger Kindern, die
von Sozialhilfe leben müssen, stand für über 60 Prozent der sechs- bis
14jährigen Schwimmen/Baden an zweiter Stelle der Sport- und
Bewegungsaktivitäten. An erster Stelle wurde Fahrradfahren mit fast 70
Prozent angegeben. Im Vergleich: In einer nordrhein-westfälischen
Sportstudie liegt der Durchschnittswert für Schwimmen als
Bewegungsaktivität der sechs bis 14jährigen bei nur knapp über 40
Prozent.
Der ausschlaggebende Grund für die hohe Attraktivität des
Schwimmbadbesuches bei armen Kindern sind fehlende finanzierbare
Alternativen. So kostet zum Beispiel die Mitgliedschaft für einen
Sportverein in Oldenburg zwischen fünf und sechs Euro monatlich - für
Familien, die von der Sozialhilfe leben müssen, sind diese Beträge
unbezahlbar. Eine Einschränkung, die auch Zahlen der ALSO-Studie
belegen: Ist in Oldenburg etwa jedes zweite Kind im Alter bis 14
Jahren Mitglied in einem Sportverein, ist es bei den
sozialhilfeabhängigen Kindern nur jedes fünfte. Zahlreiche Kinder von
Sozialhilfebeziehern waren in Oldenburg daher in ihrer Freizeit
ohnehin bereits auf Schwimmen und Fahrradfahren beschränkt.
Sparmaßnahme
ohne Spar-Effekt?
Die Ratsmehrheit aus SPD, FDP und BfO begründet die Kürzungen und
Streichungen, darunter auch der Wegfall des freien Schwimmbadeintritts
für Sozialhilfebezieher mit der desolaten Haushaltslage der Stadt. Um
die Zustimmung der Bezirksregierung für das Haushaltsjahr zu erhalten,
dürfe es beim Sparen keine Tabus mehr geben. Kein "sozialer Komfort"
bleibe dabei unberührt, erklärte Oberbürgermeister Schütz.
Die Mehrheitspolitiker argumentieren mit Kosten von 30.000 Mark
(15.338 Euro), die die Verwaltung bisher jährlich für die kostenfreien
Eintrittskarten für Sozialhilfebezieher im Haushalt zur Verfügung
gestellt hat. Dieselbe Summe wurde im Haushaltsansatz des
Stadtsportbundes als Einnahme gebucht - Eine Nullnummer also?
Offensichtlich geht Oberbürgermeister Schütz davon aus, daß der
Schwimmbadbesuch durch die Sozialhilfe finanzierbar wäre. Doch die
Rechnung, daß Sozialhilfebezieher in Zukunft den vollen Eintritt
selber entrichten und damit den Ausfall der städtischen Zuwendung an
den Stadtsportbund ausgleichen würden, geht nicht auf. Aufgrund der
neuen Situation ist dieser Teil der Schwimmbadbesucher vom Badespaß
schlicht ausgeschlossen. Eine Sparmaßnahme also ohne Spar-Effekt?
Eine weitere Rechtfertigung der SPD für die Streichung des freien
Eintritts, in den umliegenden Gemeinden sei die Schwimmbadbenutzung
für Sozialhilfebezieher auch nicht kostenlos, ist zudem unwahr. So
bietet zum Beispiel die Gemeinde Lemwerder freie Nutzung von
Schwimmbad und Stadtbücherei. In Nordenham und Elsfleth können
Sozialhilfebezieher bei Eintrittskarten für die Hallenbäder immerhin
50 Prozent Ermäßigung in Anspruch nehmen und auch Butjadingen hat
vergünstigte Preise für Freizeitmöglichkeiten vorgesehen, unter
anderem für seine Strandbäder Burhave, Tossens und Eckwarderhörne
sowie das Seewasserhallenbad Tossens.
Auch Ausweichmöglichkeiten
von Kürzungen betroffen
Bleibt für Kinder von Sozialhilfebeziehern die Frage, welche
Freizeitmöglichkeiten ihnen in Oldenburg weiterhin trotz Geldmangels
zur Verfügung stehen. Hier zeigt sich, daß auch die
Ausweichmöglichkeiten von den Kürzungen und Streichungen aus dem
Sparhaushalt betroffen sind. Die bevorstehende Schließung der
Jugendfreizeitstätte Bümmerstede sowie der Hinweis auf fehlende Gelder
für eine kontinuierliche Reinigung der vorhandenen städtischen
Spielflächen zeigt: Nicht nur bei der Eröffnung der diesjährigen
Freibadsaison werden besonders arme Kinder in die Rolle des
"Zaungastes" gedrängt.
(Infoveranstaltung: "Arme Kinder in Schwimmbädern unerwünscht?",
Montag, 3. Juni, 9.30 Uhr im Arbeitslosenzentrum,
Arbeitslosenselbsthilfe, Kaiserstr. 19, 26122 Oldenburg (Tel. 16313).)
ALSO
Sozialhilfe für Kinder
In Oldenburg leben aktuell (Stichtag 30.04.2002) 10.151
SozialhilfebezieherInnen, davon sind 3197 Kinder unter 14 Jahren. Ihr
Anteil an der Gesamtbevölkerung derselben Altersgruppe liegt bei rund
15%. Die monatlichen Regelsätze für Kinder betragen 143,67 EUR
bzw. 157,99 EUR (unter 7 Jahren) und 186,62 EUR (von 7 bis 13 Jahren):
Davon müssen die Eltern sämtliche Ausgaben außer Miete, Heizung und Kleidung für ihre Kinder bestreiten:
· Ernährung (Anteil im Regelsatz = 50%)
· hauswirtschaftlicher Bedarf (15%)
· persönliche Bedürfnisse (35%)
Beispiel: Einem 10jährigen Kind stehen für seine
persönlichen Bedürfnisse monatlich 65,32 EUR zu. Zu diesen
persönlichen Bedürfnissen gehören:
· Mittel zur Körper- und Gesundheitspflege (z.B. Taschentücher, Duschgel, ...)
· Beziehungen zur Umwelt (z.B. Telefon, Vewandtenbesuche, ...)
· Teilnahme am kulturellen Leben (z.B. Zeitschriften, Bücher, Kinobesuche, ...)
· sonstige Bedürfnisse (z.B. Spielwaren, Sportartikel, Süßigkeiten, ...)
|