Nicht die Abschaffung der Arbeitslosenhilfe allein ...
Es gibt schon jetzt Veränderungen in der Praxis der Arbeits- und
Sozialämter, die die Abschaffung der Arbeitslosenhilfe aktiv vorbereiten.
Diese Veränderungen zeichnen aber, so behaupten wir, auch ein erstes Bild
von der radikalen Umstrukturierung der sozialpolitischen Landschaft in der
Bundesrepublik Deutschland. Und dieser Umstrukturierung wird möglicherweise
nicht nur die Arbeitslosenhilfe zum Opfer fallen, sondern sie wird ggf.
sogar die Existenz der Arbeitslosenversicherung als solche in Frage stellen.
Wir behaupten weiter, daß diese Veränderungen in erster Linie
Wirtschaftsinteressen und -erfordernissen dienen und damit die bisherige
regulierende Aufgabe der traditionellen Arbeitsmarkt- und
Beschäftigungspolitik (Integration von Erwerbslosen in den Arbeitsmarkt
etc.) ablösen.
Deshalb wird sich diese Umstrukturierung vollziehen - egal, welche Partei
die Bundestagswahl im September gewinnt.
Daß alle bürgerlichen Parteien die "Zusammenlegung" von Arbeitslosenhilfe
und Sozialhilfe auf ihre Fahnen geschrieben haben, ist nur ein Indiz dafür;
daß selbst die PDS für den Wahlkampf ihre Lieblingsidee eines "öffentlich
geförderten Beschäftigungssektors" in die Forderung nach einer Art
Massen-Arbeitsdienst auf ABM- und SAM-Basis (Arbeitsbeschaffungs- und
Strukturanpassungsmaßnahmen, die allesamt mindestens 20 Prozent unter Tarif
bezahlt werden müssen) umgemünzt hat, läßt (leider) auch nicht gerade auf
parlamentarische Alternativen hoffen.
Daß sich die Praxis der Ämter gegenüber Erwerbslosen und
SozialhilfebezieherInnen schon jetzt drastisch geändert hat, merken wir
tagtäglich in der Sozialberatung - gerade seit der Einführung des
Job-Aqtiv-Gesetzes. Um zu sehen, ob sich diese Eindrücke als allgemeiner
Trend erweisen, haben wir uns die Vermittlungspraxis des Oldenburger
Arbeitsamtes nach dessen eigenen Veröffentlichungen und den regionalen
Arbeitsmarkt, wie ihn der SIS-Computer ausweist, einmal genauer angesehen.
Dazu zwei Vorbemerkungen:
1. Bei den folgenden Untersuchungen handelt es sich um Stichproben. Sie
beziehen sich in diesem ersten Anlauf auf die Arbeitsämter. Untersuchungen
über veränderte Aufgaben der Sozialämter müssen noch folgen.
Die Ergebnisse sind nur als erste Argumente für unsere Behauptungen zu
betrachten. Und als Aufforderung an alle sozialpolitischen Initiativen,
ebensolche Untersuchungen vor Ort anzustellen. Laßt uns Ergebnisse aus der
ganzen Republik sammeln und zusammentragen, laßt uns auch Einzelbeispiele
dokumentieren, laßt uns ein Stück Gegenöffentlichkeit schaffen gegen den
"nacherzählenden Journalismus" - und natürlich Widerstand gegen die Pläne,
Millionen von Leuten in die Armut zu schicken!
2. Wir haben die Region Oldenburg ausgewählt, weil wir hier leben. Es geht
uns nicht darum, "unser" Arbeitsamt als ein besonders repressives
darzustellen (ist es sicherlich auch nicht) oder die MitarbeiterInnen als
besonders "scharfe Hunde" (auch das wäre schlichtweg falsch). Sehr wohl
fordern wir aber ein, daß die Beschäftigten der Arbeitsämter kritisch
hinterfragen, ob ihre Arbeit künftig tatsächlich noch die Vermittlung von
Beschäftigung ist oder ob sie sich zur Abstrafung, Kontrolle und Sortierung
von Erwerbslosen benutzen lassen.
Teil I:
Wie die Arbeitsämter so vermitteln - am Beispiel Oldenburg im April 2002
"Hier drücken sich sechs Arbeitslose um eine offene Stelle"
Zum Bezirk des Arbeitsamtes Oldenburg gehören neben der Stadt Oldenburg die
Gemeinden Hatten, Hude, Rastede, Wardenburg, Bad Zwischenahn, Brake,
Delmenhorst, Nordenham und Wildeshausen.
Im April 2002 gab es 26.248 Arbeitslose im Arbeitsamtsbezirk Oldenburg.
Diesen stehen 4.188 offene Stellen gegenüber.
Was also soll das Gerede von der "Aktivierung", wenn real mehr als sechs
Arbeitslose auf eine offene Stelle kommen (und was eine offene Stelle ist,
siehe Kasten)?
In diesem April wurden dem Arbeitsamt ca. ein Drittel weniger offene Stellen
gemeldet als im Vorjahr. Seit Jahresanfang sind es 28 Prozent weniger offene
Stellen als im Vorjahr.
Diese Zahlen strafen das öffentliche Geheule um die Millionen angeblich
nicht besetzbarer freier Stellen Lüge.
Das Arbeitsamt wiederum vermittelt in diesem April 40 Prozent weniger
Arbeitslose als im Vorjahr.
Exkurs Definitionen:
Was sind eigentlich offene, also "gemeldete Stellen"? Otto Normalverbraucher
denkt, es handele sich dabei um Arbeitsplätze, die einen Menschen, wenn
nicht gar die ganze Familie ernähren können - und die der faule Arbeitslose
bloß nicht anzutreten gewillt sei. Doch weit gefehlt, denn:
"Als gemeldete Stellen gelten den Arbeitsämtern zur Besetzung gemeldete
Arbeitsplätze mit einer vorgesehenen Beschäftigungsdauer von mehr als sieben
Kalendertagen". (nachlesbar unter http://www.arbeitsamt.de "Statistik")
Klartext: ein unbezahltes Praktikum mit einer Dauer von 14 Tagen gilt als
offene Stelle, ebenso wie die Aushilfstätigkeit als Verkäuferin auf dem
Weihnachtsmarkt. Definition Ende - weiter im Text...
Vermittlungen, durch die Lupe betrachtet
Insgesamt 4.734 Arbeitslose "verschwinden" im April 2002 aus der
Arbeitslosigkeit, davon aber nur 2.440 in neue Arbeitsverhältnisse. Warum
und wohin die anderen 1.294 Erwerbslosen sich abgemeldet haben - darüber
werden in der Veröffentlichung des Arbeitsamtes keine Angaben gemacht.
Von den 2.440 Abmeldungen wegen Arbeitsaufnahme hat das Arbeitsamt 1.130
vermittelt, davon wiederum nur 841 in Dauer- bzw. längerfristige
Beschäftigungsverhältnisse (siehe Definition "Offene Stellen"), 48 in
Beschäftigungsverhältnisse unter sieben Tagen. 237 Arbeitslose suchen sich
selbst einen Job über SIS (Stelleninformationssystem des Arbeitsamtes) oder
AIS (Arbeitgeberinformationssystem) und vier über Dritte.
Rund 1.000 Arbeitslose (300 mehr als im Vorjahr) werden aus der Statistik
gedrängt "wegen fehlender Mitwirkung, beispielsweise wenn Einladungen
ignoriert wurden oder wenn im Zuge der Vermittlungsoffensive die Beteiligung
an einem Profiling-Gespräch verweigert wurde. Folglich nahmen auch die
Abmeldungen auf Grund von Meldeversäumnissen oder aus sonstigen Gründen
deutlich zu." (S. 3)
Welch stolze Bilanz!
Von 4.734 Arbeitslosen, die sich im April 2002 aus der Arbeitslosigkeit
abmelden,
· haben sich 27,3 Prozent (1.294) abgemeldet, ohne ein neues Arbeitsverhältnis
einzugehen,
· haben sich 51,5 Prozent (2.440) in ein neues Arbeitsverhältnis abgemeldet,
· und wurden 21,1 Prozent (1.000) vom Arbeitsamt rausgeschmissen - und gingen
damit meist ihres Lebensunterhaltes verlustig.
Von den 2.440, die in ein neues Arbeitsverhältnis eingetreten sind,
· haben sich 53,7 Prozent (1.310) selbst eine Stelle gesucht,
· haben sich 9,7 Prozent (237) selbst eine Stelle gesucht, die über die
elektronischen Informationssysteme der Arbeitsämter angeboten worden waren,
· hat das Arbeitsamt 2 Prozent (48) in Jobs mit einer Dauer unter sieben Tage
vermittelt,
· hat das Arbeitsamt 34,4 Prozent (841) in längerfristige
Beschäftigungsverhältnisse, d.h. in Beschäftigungsverhältnisse über sieben
Kalendertage, vermittelt.
Klartext:
1. Die überwiegende Zahl der Erwerbslosen sucht sich selbst einen neuen Job.
2. Von den neu zustande gekommenen Arbeitsverhältnissen vermittelt das
Arbeitsamt gerade ein Drittel, und:
3. Das Arbeitsamt drängt mehr Arbeitslose aus der Statistik und damit aus
dem Leistungsbezug (1.000), als es in Arbeitsverhältnisse vermittelt (841).
Druck statt Unterstützung
· Je geringer die Zahl der offenen Stellen (im April 2002 ein Drittel
weniger als im Vorjahr) und je geringer die Vermittlungen in Arbeit durch
das Arbeitsamt (40 Prozent weniger als im Vorjahr), desto höher ist die Zahl
der Arbeitslosen, die mit Druck aus der Statistik gedrängt werden (300 mehr
als im Vorjahr).
· Je geringer also die Chancen sind, eine Stelle auf dem Arbeitsmarkt zu
finden, desto höher ist der Druck, den das Arbeitsamt auf die Arbeitslosen
ausübt.
· Wenn die Zahl der offenen Stellen abnimmt und gleichzeitig das Arbeitsamt
weniger vermittelt, dann müßte die Zahl der Arbeitslosen eigentlich
ansteigen. Die Arbeitsämter können jedoch in den Medien einen leichten
Rückgang der Arbeitslosigkeit für den April verkünden - sie erreichen das
politische Klassenziel: die Arbeitslosigkeit geht - statistisch - zurück -
und die Ausgegrenzten fallen als "Kostenfaktor" aus.
Wir behaupten: Das Arbeitsamt bekommt die Aufgabe, den Rest der
Arbeitslosen, die durch die Aussortierungs-Mühlen der privaten
Arbeitsvermittlung fallen und die selbst nichts mehr finden auf dem
Arbeitsmarkt, weniger zu qualifizieren, umzuschulen oder zu vermitteln, als
vielmehr mit Druck und Schikanen aus der Statistik zu drängen.
Damit wandelt sich der Auftrag der Arbeitsämter radikal. Unabhängig von der
wirtschaftlichen Entwicklung, unabhängig von der Entwicklung der
Beschäftigung und des Arbeitsmarktes, also unabhängig von der Zahl der
offenen Stellen sollen alle Arbeitslosen, die auf dem Arbeitsmarkt nicht
mehr gebraucht werden, auch nicht mehr als Arbeitslose gezählt werden. Sie
sollen gesellschaftlich nicht mehr als Arbeitslose in Erscheinung treten.
Sie sollen gesellschaftlich keine Kosten verursachen. Sie sollen im Schatten
der Wohlstandsgesellschaft verschwinden.
(Alle Zahlen und Zitate aus:
Presseinformation Nr. 27/02, Arbeitsamt Oldenburg, 06.05.2002)
Teil II:
Was der Arbeitsmarkt zu bieten hat ... am Beispiel SIS Oldenburg
Viele Erwerbslose haben noch nie ein (adäquates) Stellenangebot vorgelegt
bekommen. Gerne wird deshalb auf den Stellen-Informations-Service (SIS) der
Bundesanstalt für Arbeit verwiesen.
Also haben wir im März 2002 den SIS-Computer befragt, als Suchkriterien
"Stellen der letzten vier Wochen" und die Postleitzahl der Oldenburger
Innenstadt (26122) eingegeben.
Uns wurden sage und schreibe 257 Datensätze mit insgesamt 285
Stellenangeboten quer durch alle Berufssparten im Verfügbarkeitsbereich der
Stadt Oldenburg (also bis nach Delmenhorst) angezeigt!
Diese haben wir komplett nach "reiner Papierlage", also ohne deren
"Wahrheitsgehalt" zu überprüfen, ausgewertet.
Die Ergebnisse:
· Nicht einmal zwei Drittel (62,11%) der Angebote im SIS-Computer waren
unbefristete Vollzeit-Stellen, die restlichen verteilen sich auf
sozialversicherungspflichtige Teilzeitbeschäftigung (23,51%), geringfügige
Beschäftigung bzw. Honorartätigkeiten (7,02%) (auch diese werden
statistisch ggf. - siehe Kasten - zu den "gemeldeten Stellen" gezählt),
und/oder befristeten Stellen (9,47%) - wobei lediglich ein Viertel dieser
befristeten Stellen länger als ein Jahr dauern soll.
· Bei den Teilzeitstellen fällt auf, daß die Arbeitszeit häufig keineswegs
so liegt, daß (die allein erziehende) Frau mit jüngeren schulpflichtigen
Kindern sie "locker" annehmen könnten: Bei mehr als der Hälfte aller
angebotenen Teilzeitbeschäftigungen ist die Arbeitszeit nach
Betriebserfordernissen flexibel, liegt nachmittags oder ist mit Schicht-
bzw. Wochenendarbeit verbunden.
· Auch sonst gibt es "Tugenden", die nicht jede/r Erwerbslose erfüllen kann:
Knapp 17% haben zum Teil sehr genaue Vorstellungen vom Alter ihrer
künftigen MitarbeiterInnen, über 10% stellen nur Menschen ein, die jünger
als 40 Jahre sind.
· Auffällig ist, wie viel Mobilität verlangt wird: fast die Hälfte aller
Arbeitsangebote macht den Führerschein zur Einstellungsvoraussetzung; mehr
als 12% sollen neben ihrer Arbeitskraft auch gleich das eigene Auto mit ins
Arbeitsverhältnis einbringen. Ca. 18% werden keinen "stationären"
Arbeitsplatz haben, sondern auf Montage im Umland/Bundesland (13%) bzw.
bundesweit/auch im Ausland (5%) eingesetzt.
· Jedes fünfte Arbeitsangebot (18,95%) kommt von einer Zeitarbeitsfirma.
Hier wird für schlechtere Arbeits- und Entlohnungsbedingungen viel an
Mobilität und Einsatz erwartet: 76% der Stellen beim Sklavenhändler haben
den Führerschein (46%) oder gar das eigene Auto als Voraussetzung (30%).
· Bliebe noch der zu erwartende Lohn - eigentlich fast die einzige Rubrik in
den Angeboten des SIS-Computers, die eine "Gegenleistung" für die genannten
Ansprüche an die Arbeitsuchenden benennt. Man ahnt es schon: Fehlanzeige.
Denn 87,02% der Arbeitsangebote benennen eine Bezahlung "nach
Vereinbarung", nur ca. 8,5% geben an, nach Tarif bzw. nach Haustarif zu
entlohnen.
Dies ist in zweierlei Hinsicht problematisch: in Bezug auf die
Zumutbarkeitskriterien, die ja u.a. durch den Vergleich der eigenen
Arbeitslosenhilfe mit dem zu erwartenden Lohn festgestellt wird;
problematischer jedoch sind solche Angaben auch deshalb, weil das Arbeitsamt
sich damit vor der Verpflichtung "drückt", nicht in untertarifliche
Bezahlung zu vermitteln. Als Scherz am Rande seien die seltenen
Arbeitsangebote bei der öffentlichen Hand erwähnt; dort wurde teils nicht
etwa BAT, sondern ein "Lohn nach Vereinbarung" in Aussicht gestellt.
Eigentlich müßten die Personalräte des öffentlichen Dienstes im eigenen
Interesse auf die Art solcher Ausschreibungen achten, wollen sie nicht ihren
eigenen Tarif diskreditieren.
Dies waren einige Ergebnisse nach Auswertung der "Papierlage". Nun zu einer
Stichprobe, bei der wir 10% = 29 dieser Stellenangebote zufällig ausgewählt
und uns als potentielle InteressentInnen telefonisch mit den Arbeitgebern in
Verbindung gesetzt haben.
Auch damit erlebten wir einige Überraschungen: ein großer Teil der Stellen
war bereits besetzt, in einem Fall wurde uns vom Arbeitgeber sogar
versichert, es handele sich um eine Stelle, die er dem Arbeitsamt vor einem
Jahr gemeldet habe und die entsprechend schon längst vergeben sei.
Bei den Leiharbeitsfirmen konnten wir uns des Eindrucks nicht erwehren -
teilweise wurde es uns auf genaue Nachfrage auch genau so bestätigt - daß
es sich häufig nicht um tatsächliche Stellenangebote handelt, sondern darum,
die eigenen Karteien mit potentiellen Arbeitnehmern zu füllen - für den
Fall, daß die Zeitarbeitsfirma einmal einen Auftrag bekommen sollte, in der
die entsprechende Qualifikation gefragt ist.
Auch einige Zumutungen kamen ans Licht: beispielsweise wurde ein
Fleischereihelfer gesucht, der aber erst ein oder zwei Monate Praktikum im
Betrieb machen sollte - am besten unbezahlt.
Höchst unangenehm wurden fast alle Arbeitgeber bei unseren höflichen
Versuchen, etwas über die Lohnhöhe herauszufinden. Die selben Leute, die
ausgiebig Zeit hatten, uns ihre Anforderungen an unsere Qualifikationen zu
erklären, verweigerten unter Hinweis auf ihr knappes Zeitbudget die Auskunft
über die Löhne. Es bleibt demnach die Aufgabe, nochmals gezielt die Löhne
von im SIS-Computer angebotenen Stellen zu untersuchen.
Teil III:
Die Rolle der Ideologie, und was noch zu beweisen wäre
Daß Erwerbslose durch Maßnahmen des Arbeitsamtes aus der Statistik gedrängt
werden, wird in der Pressemitteilung des Oldenburger Arbeitsamtes zum ersten
Mal erwähnt. Das zeugt von ungetrübter Sicherheit, daß solche Maßnahmen von
der Öffentlichkeit gebilligt werden, daß sie keinen Skandal auslösen. Die
Sozialschmarotzer und Drückeberger-Kampagne zeigt hier Wirkung. Wer aus der
Arbeitslosen-Statistik rausgeschmissen wird, weil er die Teilnahme an einer
Trainingsmaßnahme oder einem Profiling ablehnt - oder beides nicht zur
Zufriedenheit des Amtes mitmacht, der war eben nicht richtig arbeitslos.
Durch konsequentes "Fordern statt Fördern" werden diejenigen Arbeitslosen
ausgesteuert, die dem Arbeitsmarkt "nicht wirklich" zur Verfügung stehen.
Doch was heißt das: dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen? Und: welchem
Arbeitsmarkt überhaupt?
Folgende Veränderungen der Arbeitsamts-Praxis haben wir in der
Sozialberatung gesammelt - wohlgemerkt, es handelt sich keineswegs um
Einzelfälle - und zugespitzt formuliert. Es wäre die nächste Aufgabe,
entsprechende Untersuchungen auch andernorts anzustellen, um zu sehen, ob
sich Beweise für gezieltes Vorgehen finden lassen:
· Allenthalben wird vom Königsweg der privaten Arbeitsvermittlung
gesprochen. Die Propaganda zeigt Wirkung - und der ein oder andere
Arbeitslose möchte den Gutschein nun in Anspruch nehmen und sich zum
"Privaten" begeben. Doch: dafür gibt es keinerlei Unterstützung durch das
Arbeitsamt. Arbeitslosen wird die Auskunft verweigert, welche
Vermittlungsagenturen vor Ort beauftragt werden können. Die erste Hürde für
den Auswahlkampf - nach dem Motto: wer findet das "Osterei" - den privaten
Arbeitsvermittler?
· Arbeitslosen, die bereits vor Eintritt ihrer Arbeitslosigkeit das
Arbeitsamt um Unterstützung aufsuchen, so wie es das Job-Aqtiv-Gesetz als
Idealfall präventiven Handelns anpreist, um Arbeitslosigkeit bereits vor
ihrer Entstehung zu bekämpfen, werden dort empfangen, als wären sie nicht
mehr ganz dicht: "Was wollen Sie denn hier? Sie sind doch gar nicht
arbeitslos!"
· Für sinnvolle und von Betroffenen gewünschte Fortbildungs- oder
Umschulungsmaßnahmen fehlen Gelder, während der "Topf" für
Trainingsmaßnahmen ständig ausgeweitet wird. Die Qualität der wenigen
geförderten Qualifizierungsmaßnahmen vor allem im Bereich der neuen
Technologien ist katastrophal.
· Im Prinzip soll jeder Arbeitslose in eine Trainingsmaßnahme gesteckt
werden. Diese Maßnahmen helfen aber nur in den seltensten Fällen weiter.
Stattdessen dürfen dort zweifelhafte Dozenten bei teilweise dubiosen und
verrufenen Bildungsträgern Inhalte an Arbeitslosen vollziehen, die teilweise
stark an Methoden der Gehirnwäsche erinnern (in denen z.B.
"Persönlichkeitsveränderung" eingefordert wird). Nach der Maßnahme werden
Beurteilungen über die TeilnehmerInnen geschrieben, die ihren weiteren
Lebensweg "via Aktenlage" vermasseln können - und die trotz Nachfragens
meist nicht erfahren, was genau mit diesen persönlichen Daten und
Beurteilungen passiert. Kritisches Verhalten in der Maßnahme führt zur
Beurteilung "notorischer Querulant". Und offene Kritik wird mit Sperrzeiten
geahndet.
· Trainingsmaßnahmen werden zuerst und gezielt denjenigen
Langzeit-Arbeitslosen "verpaßt", die bis dahin zwar nicht eine einzige
vernünftige Stelle angeboten bekommen haben, die aber ihr Überleben durch
einen kleinen, dem Arbeitsamt gemeldeten Nebenjob einigermaßen gesichert
haben und damit halbwegs über die Runden kommen. Nehmen sie an der
Trainingsmaßnahme teil, sind sie hinterher wieder arbeitslos - und ihr
Nebenjob ist weg. Nehmen sie an der Maßnahme nicht teil, fliegen sie aus den
Bezügen und aus der Statistik. Viele wählen diesen Weg - darf man behaupten,
das Arbeitsamt fördert Schwarzarbeit?
· Trainingsmaßnahmen werden gezielt allein erziehenden Frauen angeboten.
Diese Trainingsmaßnahmen beginnen, anders als alle anderen, morgens eine
halbe Stunde bevor irgendein Kindergarten öffnet, oder werden genau in die
Schulferien gelegt. Erklären die betroffenen Frauen, daß sie wegen der
Betreuung ihrer Kinder nicht an dieser Maßnahme teilnehmen können, fliegen
sie aus den Bezügen und aus der Statistik.
Wenn die Arbeitslosenhilfe abgeschafft, die
Versicherungsleistung Arbeitslosengeld auf maximal zwölf Monate gekürzt ist
und die Erwerbslosen auf den Arbeitsämtern das erwartet, was oben
beschrieben wurde, dann wird es für ArbeitnehmerInnen immer unattraktiver,
in ein solches Versicherungssystem einzuzahlen. Es wird sturmreif geschossen
wie die Renten- und Krankenversicherung. An ihre Stelle treten private
Versicherungen und private Vorsorge. Wer nicht auf die mangelhaften
Leistungen der immer bruchreiferen solidarischen Versicherungssysteme
angewiesen sein will, der muß die privatwirtschaftliche Alternative wählen.
Und wer ein gutes Einkommen hat, für den sind die privaten Angebote
attraktiv. Entsolidarisierung vorprogrammiert.
bb, mb/also
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