Oldenburger STACHEL Ausgabe 1/02      Seite 1
 
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Afghanistan: "Es ist doch alles wieder in Ordnung"

Rede von Tobias Pflüger vom Informationsstelle Militarisierung (IMI)

bei der Demonstration in Calw beim Standort des Kommando Spezialkräfte (KSK). (Leicht gekürzt) Mit diesem Kommando verbundene Einheiten sind auch in Oldenburg stationiert und zum Teil im Einsatz in Afghanistan.

Nein zum Krieg

"In einer Zeit, in der politischer Kadaver-Gehorsam üblich geworden ist - die Fraktionen von SPD und Grünen sind gehorsam zum Kanzler, der Parteitag der SPD ist gehorsam zu Schröder, der Parteitag der Grünen ist gehorsam zu Fischer - besonders in einer solchen Zeit ist es notwendig, daß Menschen Ungehorsam üben und ganz klar "Nein" sagen: Nein sagen zum Krieg und Nein sagen zum Einsatz der Bundeswehr und des Kommando Spezialkräfte. Es wird gesagt, in Afghanistan wäre jetzt doch alles in Ordnung. Die Taliban seien besiegt, die Frauen könnten wieder arbeiten und die Leute könnten wieder Fernsehen schauen. Jetzt müsse nur die in Bonn installierte Regierung das Ruder übernehmen und internationale Hilfe ins Land kommen und dann wäre ein Aufschwung in Afghanistan möglich. Wenn die Welt nur so einfach wäre, wie sie uns die Machthabenden vermitteln wollen. Die Naiven sind nämlich nicht die Friedensbewegten, sondern die Regierenden. Die Nordallianz hat in der neuen afghanischen Regierung wie auf dem Schlachtfeld wesentlich das Sagen, sie steht für Tod, Vertreibung, Massaker und Folter. Das Massaker von Masar-i-Sharif zeigt, was gemeint ist, wenn die Regierenden von "zivilisierter Welt" reden.

Das ist barbarisch

Der Krieg hat langfristige Folgen: Streubomben sind schlimmer als Minen, weil keiner weiß, wo sie liegen, und sorgen täglich für Tote und Verletzte in Afghanistan. Felder können nicht bestellt werden. Der Einsatz von Streubomben und Riesenbomben a la "Daisy Cutter" (riesige Benzinbombe) ist nicht zivilisiert, Herr Schröder und Herr Bush, dies ist nichts anderes als barbarisch! Diese Nordallianz zeigt, daß es der sogenannten "Allianz gegen den Terror" nicht um eine Politik gegen den Terror geht, es geht dieser Allianz um politische, militärische und ökonomische Interessen!

Kein Blut für Öl

Welche Interessen sind das? Die Firma UNOCAL, eine Ölfirma in den USA, hatte bis 1997 einen Vertrag mit den Taliban, dann eine Ölpipeline durch Afghanistan nach Indien bauen zu dürfen, wenn sie ganz Afghanistan kontrollieren würden. Auch die US-Regierung unter Clinton setzte lange Zeit auf die Taliban als Verbündete, weil sie am meisten Ruhe ins Land brächten und offen waren für Geschäfte. Schon 1998 waren Angriffe der USA auf Afghanistan geplant, es kam nicht dazu. Dieser Regierung von George W. Bush, die aus vielen Ölfirmenvertretern besteht, geht es nicht um Krieg gegen den Terrorismus. Dieser Regierung geht es um ihre ureigensten geopolitischen Interessen, um den Zugang zu Rohstoffen, auch um einen Krieg für Öl. Weitere Kriegsorte sind ausgemacht, im Visier der Bomben "gegen den Terror" sind insbesondere Somalia und Irak! Der Aufmarsch in Puntland in Somalia wird konkret auch mit deutscher Hilfe vorbereitet.

Jede Bombe ist zuviel

Wir als Friedensbewegung sagen: Jede weitere Bombe schafft weiteren Haß, jede weitere Bombe schafft weiteres Leid. Jede Bombe ist eine Bombe zu viel. Deshalb fordern wir das sofortige Ende der Bombardierungen in Afghanistan und keine Ausweitung des Krieges auf andere Länder! Und die Deutschen? Auch die bundesdeutsche Regierung hat deutlichste Interessen: Dazu macht es Sinn, sich mal den Beschluß des Bundestages vom 16.11. genau anzuschauen:

"Nur" 12 Monate?

"Die Beteiligung mit deutschen Streitkräften an der Operation ENDURING FREEDOM ist zunächst auf zwölf Monate begrenzt." Einsatzgebiet ist das Gebiet gemäß Art. 6 des Nordatlantikvertrags, die arabische Halbinsel, Mittel- und Zentralasien und Nord-Ost-Afrika sowie die angrenzenden Seegebiete Deutsche Kräfte werden sich an etwaigen Einsätzen gegen den internationalen Terrorismus in anderen Staaten als Afghanistan nur mit Zustimmung der jeweiligen Regierung beteiligen.

Ermächtigungsbeschluß

Was bedeutet dieser Beschluß konkret? Die Bundeswehr kann auf einem Drittel des Globus für mindestens ein Jahr mit allen Optionen von der humanitären Hilfe bis hin zum Kampfeinsatz in den Krieg geschickt werden. Diese Entscheidung ist tatsächlich epochal. Im Text heißt es dazu, dies sei eine "Ermächtigung" des Parlaments an die Bundesregierung. Das Interesse der Bundesregierung ist es, machtpolitisch in der Weltpolitik eine größere Rolle zu spielen. Gerhard Schröder sprach am 11.10.2001 im Bundestag: "Diese Etappe deutscher Nachkriegspolitik (...( ist unwiederbringlich vorbei". "Ein weiter entwickeltes Selbstverständnis deutscher Außenpolitik" heißt "auch militärisch für Sicherheit zu sorgen." Joschka Fischer sprach davon, daß "Anders als zu Zeiten des Kalten Krieges bedeutet Friedenspolitik in der einen Welt im 21. Jahrhundert internationale Ordnungspolitik." und "Das Militärische steht jetzt sehr stark im Vordergrund." Rudolf Scharping: "Wir sind nicht im Krieg." (Das hat uns Scharping schon einmal gesagt, und da war es schon einmal eine Lüge!) und weiter: "Wir wissen doch alle, daß zum Beispiel die weltwirtschaftliche Stabilität und die weltwirtschaftliche Sicherheit von dieser Region sehr stark beeinflußt werden können, von jener Region, in der 70 Prozent der Erdölreserven des Globus und 40 Prozent der Erdgasreserven des Globus liegen." Das war alles Klartext. Hier ist eine Regierung dabei, ihren weltpolitischen Aufstieg zu organisieren.

Keine Weltmacht Deutschland

Wir als Friedensbewegung wollen keine neue Weltmacht Deutschland! Spätestens wenn die Zustimmung zu einer Regierung Krieg bedeutet, kann und darf man /frau dieser Regierung z.B. in einer Vertrauensfrage nicht mehr zustimmen. Wir wissen: Entweder für diese Regierung und für Krieg oder gegen diese Regierung und gegen Krieg. Also als Kriegsgegner/innen sind wir gegen Krieg und damit auch gegen diese Regierung und ihre Kriegspolitik. Drei Kriege in drei Jahren Rot-Grün sind drei Kriege zu viel! Unsere Aufgabe als Friedensbewegung ist es deshalb außerparlamentarische Opposition zu organisieren!

Es soll nun also das Kommando Spezialkräfte (KSK) der Bundeswehr eingesetzt werden, wahrscheinlich wie die us-amerikanischen Eliteeinheiten, die derzeit im Krieg in Afghanistan agieren. Die Süddeutsche Zeitung schreibt: "Wenn aus der Bereitstellung, die Schröder nach eigenem Eingeständnis zwar nicht definieren kann, aber vom Bundestag haben möchte, ein Einsatz werden sollte, wird es für 3800 Heeres-, Marine- und Luftwaffenangehörige riskant. Für die 100 Kommandosoldaten aber wird es lebensgefährlich."

"Übungen" in der ganzen Welt

Sogenannte - auch gerne als Polizeiaktionen bezeichnete - Kommandounternehmen sind Krieg, übelster Krieg, und natürlich lehnen wir als Friedensbewegung auch und gerade Kommandounternehmen z.B. des Kommando Spezialkräfte ab. Diese - so die Zeitung "Die Welt" - "Para-Kommando-Brigade für den Guerillakampf", die "mit ihren Spezialwaffen hinter den feindlichen Linien abspringen, gegnerische Kommunikationsnetze zerstören oder militärische Hauptquartiere im Hinterland lahm legen" soll, dieses KSK ist eine Kriegstruppe. "Das Agieren aus dem Hinterhalt sowie das Vorgehen nach Handstreichmanier" sei Aufgabe des KSK. Das KSK ist die Symboltruppe für die Entwicklung hin zu einer neuen Interventions-Bundeswehr. Wir fordern stattdessen die Auflösung des Kommando Spezialkräfte, als ersten Schritt weg von einer Interventions-Bundeswehr! 450 KSK-Soldaten sind einsatzbereit, mehr als die Hälfte davon ist nicht mehr in der Calwer Kaserne, sondern übt z.B. in Oman, Iran, Djibouti. Das KSK sei, so sagte mir ein ehemaliger KSK-Soldat vor einer Woche am Telefon, nicht geeignet für einen Einsatz in Afghanistan.

Kreuzzüge stoppen

Hans Arnold, ehemaliger Botschafter der Bundesrepublik Deutschland in Italien und den Niederlanden, schrieb einmal, daß die "Aufstellung und Aufgabenstellung" der Krisenreaktionskräfte und insbesondere des Kommando Spezialkräfte "politisch, militärisch und unter ethischen Gesichtspunkten die Qualität einer zweiten Wiederbewaffnung" haben. Wir lehnen diese neuerliche Wiederbewaffnung ab. George W. Bush sprach zu Beginn von einem "Kreuzzug", davon, daß "Staaten ausgelöscht werden müßten", davon, daß der sogenannte Krieg gegen den Terrorismus ein langer, Jahrzehnte dauernder Feldzug werde und von einem Kampf "Gut" gegen "Böse". Gerhard Schröder sprach bezüglich der brutalen Anschläge in New York und Washington von einem "Angriff auf die zivilisierte Welt", was einschließt, daß alle, die keinen Krieg führen, angeblich unzivilisiert sind! Die Krönung war sein Begriff der "uneingeschränkten Solidarität". Uneingeschränkt solidarisch heißt "blind solidarisch". Und wir haben eine gute Chance, die Grundstimmung in diesem Lande ist nicht für Krieg. Das Parlament repräsentiert - insbesondere auch in dieser Frage - nicht die Meinung der Bevölkerung. Wir müssen stärker werden als Friedensbewegung! Wir müssen mit unseren Informationen und Aktionen zu den Menschen!"

Tobias Pflüger, c/o Informationsstelle Militarisierung (IMI) e.V. Tübingen - Tel: 0 70 71/4 91 54 - Fax: 0 70 71/4 91 59 e-mail: imi@imi-online.de, http://www.imi-online.de

 

 
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