Oldenburger STACHEL Ausgabe 9/01      Seite 1
 
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NATO übernimmt drittes Protektorat

Bundeswehreinsätze als Etikettenschwindel

Seit Ende August 2001 sollen 4.500 NATO-Soldaten in der "Operation Essential Harvest" in Mazedonien ernten, was sie im Frühjahr 1999 im Kosovo säten: Waffen und Gewalt. Am 29. August hat der deutsche Bundestag beschlossen, daß auch 500 Bundeswehrsoldaten dabei helfen sollen, in einem Monat das Kriegsgerät "etnisch albanischer bewaffneter Gruppen" (Bundesregierung) in Mazedonien einzusammeln.

Entwaffnung klingt so verführerisch, gibt es doch sogar ein Friedenspapier vom 13. August, das unter Druck der europäischen NATO-Fraktion entstand: Partizipation und Amnestie für "albanisch-stämmige Extremisten" (Bundeswehr-Sprachregelung) gegen Waffen. Am Ende soll dieses Tauschgeschäft durch eine mazedonische Verfassungsänderung besiegelt werden. Gewalt zahlt sich aus! Und da soll nun die UCK ihr pyrotechnisches Lebenselexier freiwillig aufgeben? Vereinbart ist die Abgabe aller UCK-Waffen, mindestens 3.300 will die NATO einsammeln - pro Gewehr schickt sie anderthalb Soldaten. 148,1 Millionen DM hat der Bundestag für die 500 deutschen Erntehelfer bewilligt. Das sind anteilig fast 10.000 DM pro Soldat am Tag oder anteilige 300.000 DM pro eingesammeltes Gewehr (auf dem Schwarzmarkt kostet eine Kalaschnikov etwa 2.000 DM).

Die NATO-Rechnung ist simpel: ca. 4.000 Kämpfer, etwa 4.000 eingesammelte Waffen - und Ruhe ist auf dem Balkan. Auch die UCK-Rechnung ist einfach: 4.000 Kämpfer, 4.000 mal Gewehr gegen Amnestie, die Mehrzahl der besseren Waffen vergraben oder verschoben, garniert mit einer UCK-freundlichen Verfassungsänderung - übrig bleibt eine mazedonische Bananenrepublik, deren Zahnlosigkeit der UCK von der NATO garantiert wird. Déjà vu? 1998 trugen die Provokationen der UCK ähnlich zur Eskalation im Kosovo bei, das die UCK heute im Schatten der NATO kontrolliert. Und die mazedonische Regierung? Vor der Alternative, das Land mit ukrainischen Söldnern in einem Regionalkrieg aufzulösen, hat sie sich murrend aber bedingungslos an den Strohhalm der NATO geklammert.

Bundeswehreinsätze als Etikettenschwindel

Und wieder beteiligt sich die Bundeswehr an einem wohlklingenden Auslandseinsatz, der vielen dient, nur nicht Frieden und Konfliktbearbeitung. Von Kambodscha über Somalia und Ruanda, von Bosnien über den Kosovo-Krieg bis Ost-Timor wurde bisher jeder Bundeswehreinsatz mit heren Zielen begründet - geblieben ist stets ein unbefristeter Scherbenhaufen. Bei mindestens der Hälfte der bisher 15 deutschen Balkan-Einsätze war der parlamentarische Marschbefehl nur ein Vorwand für einen ganz anderen Militäreinsatz. Hier einige Beispiele:

Seit April 1993 beteiligten sich deutsche AWACS-Mannschaften im Rahmen der "Operation Deny Flight" an der Überwachung des Flugverbotes über Ex-Jugoslawien. De facto lieferten Sie damit dem kroatischen Despoten Franjo Tudjman im Mai 1995 Rückendeckung für seinem Bodenkrieg gegen kroatische Serben in West-Slawonien.

Neben 370 Bundeswehrsoldaten der "Operation Eagle Eye" wurden im November 1998 im mazedonischen Tetovo 350 Bundeswehrsoldaten der "Extraction Forces" stationiert. Ihr Auftrag: die Evakuierung der OSZE-"Kosovo Verification Mission" (Oktober 1998 bis März 1999) im Krisenfall. Doch als die NATO am 24. März 1999 mit der Bombardierung Jugoslawiens begann, kümmerte sich niemand um die unbewaffneten OSZE-Beobachter im Kosovo. Stattdessen wurde die "Extraction Force" in Mazedonien zum Kern von KFOR-Bodentruppen hochgerüstet.

Während des Krieges gegen Jugoslawien wechselte der Bundeswehrauftrag unter dem stets gleichen Bundestagsmandat wöchentlich: Heranbomben von Slobodan Milosevic an den Verhandlungstisch, Unterbindung von Menschenrechtsverletzungen, Kapitulation Jugoslawiens, Stopp von "ethnischen Säuberungen", Zerschlagung der jugoslawischen "Sicherheitskräfte", Verhinderung von Flüchtlingsbewegungen in die EU, Zerstörung von Logistik und Infrastuktur, Durchsetzung von Demokratie und Menschenrechten usw. Wieder wurde außer Zerstörungen nichts vom parlamentarischen Einsatzauftrag eingelöst. Im Gegenteil, unter NATO-Regie der "Operation Allied Force" wurden die UCK-Freischärler zur Bodenguerilla ausgerüstet.

Auch die 8.500 deutschen KFOR-Soldaten sahen ab Juni 1999 den brutalen Vertreibungen und der wuchernden Kriegsökonomie der UCK im Kosovo tatenlos zu. Laut Waffenstillstandsvereinbarung vom 9. Juni 1999 dürfte es das UCK-Problem heute gar nicht mehr geben, denn dort wurde bereits die Entwaffnung der UCK durch die NATO beschlossen. Als die UCK-Kriegsfürsten ihren Geschäftsbereich über den Kosovo auf die entmilitarisierte Zone und auf Mazedonien ausweiteten, schaute die NATO wohl wollend zu. US-Militärs bildeten bis mindestens Juni 2001 UCK-Kämpfer aus, liefern Ihnen per Satellit Funkverbindungen und Lagebilder, halfen mit modernsten Nachtsichtgeräten aus und unternahmen nichts gegen den UCK-Grenzverkehr nach Mazedonien - den sie hätten unterbinden sollen. Nun scheint der Zauberlehrling endgültig außer Kontrolle geraten, drum möchte ihm die NATO seine Spielzeuge wieder wegnehmen. Was also ist dran am neuen Entwaffnungsfeldzug der NATO?

Entwaffnung als Persilschein
für Kriegsökonomie

Fünf Gründe kennt die Kriegsgeschichte, die zur Abgabe von Waffen motivieren: Sieg, Niederlage oder Kriegsmüdigkeit, eine taktische Verschnaufpause oder ein gutes Geschäft. Von Sieg oder Niederlage der UCK spricht niemand, von Kriegsmüdigkeit auch nicht, schließlich ist der Kampf zur Existenzgrundlage der UCK-Warlords geworden. Daß der "Friedenskompromiß" vom 13. August 2001, Albanisch als zweite Amtssprache in Mazedonien einzuführen und den Funktionärsanteil der albanisch-stämmigen Bevölkerung zu erhöhen, ein gutes Geschäft für die UCK ist, wird selbst NATO-Militärs nicht beruhigen. Denn außer gewaltsamer Expansion besitzt die UCK kein politisches Konzept. Solange die populistische Forderung eines Großalbaniens mobilisierend wirkt, stehen auch berechtigte Partizipationswünsche unter dem Verdacht, als taktische Manöver mißbraucht zu werden. Zusammen mit der beschlossenen Amnestie ist hinter dem Entwaffnungsabkommen ein Etappensieg und eine Verschnaufpause der UCK für ein paar rostige Karabiner zu vermuten. Die UCK-Warlords wissen, nur solange sie marodieren, existieren sie weiter - das ist das erste Gesetz der Kriegsökonomie. Denn Soldaten säen nicht, sie ernten nur. Das zweite Gesetz der Kriegsökonomie allerdings lautet: Raubökonomie zwingt zum weiterziehen, verbrannte Erde bietet keine Beute mehr. Deshalb tausche deine Waffengewalt gegen strukturelle Gewalt, werde sesshalt und erzwinge eine Ordnung zu deinem Nutzen. Vor allem aber stelle dich gut mit den ausländischen Investoren, wenn du die eigenen Jagdgründe erschöpft hast. Bei diesem Sprung in die ehrenwerte Zivilgesellschaft ist nun die NATO der UCK behilflich.

Aktionismus statt Verantwortung

Bereits heute glaubt niemand im Deutschen Bundestag und bei der NATO ernsthaft an den eigenen Einsatzbefehl, daran also, daß die NATO in 30 Tagen zu einer substanziellen Entwaffnung der UCK beitragen wird oder daß die Soldaten nach einem Monat wieder gesund zu Hause sind. Aber parlamentarische Glaubwürdigkeit verlangt entschlossenes Kettenrasseln, wenn die eigene Politikunfähigkeit übertönt werden soll.

Seit fast zehn Jahren bedeutet NATO-Konfliktbearbeitung in verschiedenen Balkanregionen: stillgestanden! Durchsetzungsfähige Gewaltmonopole existieren nicht, weil jede Fraktion die Waffen der anderen fürchtet. Ergebnis sind dezentrale Klientelwirtschaften, die die Kontrahenten weiter voneinander entfernen und die Bildung von lebensfähigen Gemeinwesen verhindern. Was nach 20 Jahren zu Entspannung führen könnte, geht mit begrenzten Entwicklungsmöglichkeiten und entsprechend hoher externer Abhängigkeit dieser Regionen einher. Beispiele, daß diese militärischen und wirtschaftlichen Einflußnahmen uneigennützig zur versöhnlichen Entwicklung der Konfliktregion eingesetzt wurden, sind seit Bestehen der NATO nicht bekannt. Denn diese Konfliktvermeidung klingt nicht nur human, sie ist auch funktional: Seit über 30 Jahren sprechen US-Militärs von "Low Intensity Conflict"-Areas. Das Ziel solcher Divide-et-Impera-Strategien ist nicht die Sammlung von perspektivlos teuren Protektoraten, sondern der Aufbau lebensfähiger Trabantenstaaten. Kalkulierte Instabilität schafft steuerbare Abhängigkeiten und damit auf dem Balkan nicht zuletzt eine Arbeitsbeschaffungsmaßnahme für die emanzipationseifernde Europäische Union.

Alternativen erfordern Rückrat

Unterstellt, ein Ende der Gewalt in Mazedonien sei tatsächlich das politische Ziel der Bundesregierung, so müßte sie sich nicht nur der Einsicht öffnen, daß das Gewaltproblem auf dem Balkan mindestens auch eine Lösung für Bosnien-Herzegowina, den Kosovo, Serbien, Montenegro, Albanien und wahrscheinlich auch Kroatien erfordert, sondern das die NATO selbst ein Teil des Gewaltproblems ist. Denn die Gewaltunternehmer des Balkans - so viel dürfte auch zur Grundausbildung bei NATO oder BWL-Studenten gehören - zogen stets weiter in jene Region des größten Standortvorteils. Kurz, eine Balkankonferenz aller Interessengruppen ist erforderlich, die Minderheitenrechte jenseits von Grenzen festschreibt, Besitz- und Partizipationsansprüche regelt und statt ethnische Reservate wie den Kosovo als casus belli zu konservieren eine föderale Struktur jenseits nationalstaatlicher Grenzen entwirft. Kein NATO-Mitglied kommt hierbei als ehrlicher Makler in Frage, allerdings muß die EU die finanziellen Voraussetzungen zur substanziellen Stabilisierung des Balkan bereitstellen. Friedenspolitische Verantwortung bedeutet, der Gewalt materiell und ideell den Nährboden zu entziehen. Sie erfordert also bereits auf unterer Eskalationsstufe, den Konflikt auch unter "NATO-Freunden" zu suchen und dabei Anwendung, Export und Unterstützung von Waffengewalt gegenseitig zu verhindern. Stattdessen haben EU und NATO bis heute durch untätiges Appeasement und bornierte Waffengewalt die Zerstörung unterstützt, um schließlich mit den Kriegsgewinnlern zu kollaborieren. Das Ergebnis ist kein Ende des Faustrechts, sondern die Salonfähigkeit der Gutsherrengewalt.

Nach fünf Jugoslawien-Kriegen in 10 Jahren ist es Zeit für eine Exit-Strategie, die nur gelingen kann, wenn Bundesregierung, EU und USA ihre Mitverantwortung nicht länger leugnen und ihre politische, juristische und finanzielle Verantwortung übernehmen. Sollte die Bundesregierung jedoch an ihrer symbolischen Power-Projection-Politik festhalten, die Milliarden nutzlos verschwendet, nicht nur die eigenen Soldaten unverantwortlich gefährdet und die Konflikte auf den St. Nimmerleinstag verschiebt, trägt dies weder zu Stabilisierung von EU, NATO oder gar Ex-Jugoslawiens bei.

Stefan Gose

Stefan Gose ist Redakteur der ami-antimilitarismus information, Berlin

 

 
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