Oldenburger STACHEL Ausgabe 9/01      Seite 13
 
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Man hatte mir gesagt, es wäre nötig

Pater Zabelka segnete die Atombombe auf Hiroshima

Der katholische Priester George Zabelka war der Militärseelsorger der Flugzeugbesatzungen, die die Atombomben auf Hiroshima und Nagasaki abwarfen. Den folgenden Text verfaßte er später. Im Rahmen der diesjährigen Gedenkveranstaltung des Arbeitskreises Friedenswoche wurde der Text am 6.8. auf dem Rathausmarkt vorgetragen. Die vollständige Fassung ist beim Arbeitskreis (Tel. 04 41,3 76 91) und über die STACHEL-Redaktion zu beziehen.

Wir wußten nichts über Atombomben. Wir wußten nur, daß wir den Abwurf einer Bombe vorbereiteten, die ganz anders und viel wirkungsvoller sein sollte, als selbst die Minenbomben, die in Europa benutzt wurden. Aber wir nannten sie nicht Atombombe und wir wußten bis zu jenem 6. August 1945 nicht, um was es sich handelte. Wir nannten sie einfach "das Ding".

Ich habe nie etwas dagegen gesagt. Was hätte ich auch sagen können! Ich war wie praktisch jeder auf der Insel Tinian im Ungewissen gelassen worden, was da eigentlich vorbereitet wurde. Wahrscheinlich werde ich das meinem Gott einmal im Gericht als Verteidigung vorbringen. Aber am Tag des Gerichts wird es mir mehr um Barmherzigkeit zu tun sein als um Gerechtigkeit in dieser Geschichte.

Als katholischer Priester hatte ich dafür zu sorgen, daß die mir anvertrauten Menschen, egal, wo sie sind, dem Geist Jesu Christi zugewandt bleiben. Als Militärseelsorger sollte ich darauf achten, daß sich die Jungs in ihrem Verhalten nach den Lehren der Katholischen Kirche und den Worten Christi über den Krieg richteten. Wenn ich heute zurückblicke, dann zweifle ich, ob ich eine dieser Aufgaben wirklich erfüllt habe.

Ich meine damit nicht, daß ich Grund hätte zu dem Gefühl, irgendeine von mir als Militärseelsorger erwartete Pflicht vernachlässigt zu haben. Im Gegenteil. Ich sorgte nach besten Kräften dafür, daß Eucharistie und Sakramente überall zu haben waren. Ich ging sogar raus und verdiente mir einen Orden, weil ich meine Aufgaben noch besser erfüllen wollte. Ich habe immer gelernt und gepredigt, was die Kirche von mir erwartete - und zwar nicht nur, daß ich mit den Jungs über deren Sexualleben geredet hätte. Wie viele andere Militärseelsorger habe ich deutlich solche Themen wie Gefangenentötung und Folter angesprochen. Es gab aber auch Bereiche, wo wir uns nicht so deutlich geäußert haben.

Die Vernichtung der Zivilbevölkerung im Krieg war ja schon immer von der Kirche verboten gewesen. Und wenn ein Soldat zu mir gekommen wäre und mich gefragt hätte, ob er einem Kind eine Kugel durch den Kopf jagen dürfe, ich hätte unbedingt nein gesagt. Das wäre eine Todsünde. Aber 1945 war die Insel Tinian der größte Militärflughafen der Welt. Rund um die Uhr konnten drei Flugzeuge pro Minute starten. Viele dieser Flugzeuge nahmen Kurs auf Japan und hatten das erklärte Ziel, nicht nur eine Zivilperson zu töten, sondern hunderte, tausende, zehntausende von Kindern und Zivilpersonen niederzumachen - und ich schwieg.

Als Militärseelsorger begegnete ich oft solchen Jungs, die ihren Verstand über die Dinge, die sie im Krieg getan hatten, verloren hatten. Ich erinnere mich an einen jungen Menschen, der an der Bombardierung japanischer Städte beteiligt war. Er befand sich im Lazarett der Insel, am Rande eines völligen psychischen Zusammenbruchs. Er erzählte mir, wie er einmal zu einem Tieffliegerangriff abkommandiert worden war und sehr niedrig über eine der Hauptstraßen der Stadt flog. Da habe er vor sich einen kleinen Jungen gesehen, mitten auf der Straße, der mit kindlichem Erstaunen zu seinem Flugzeug aufschaute. Er habe gewußt, daß es nur Sekunden dauern würde, bis dieses Kind von dem Napalm, das bereits ausgelöst war, tödlich verbrannt würde.

Ja, ich wußte, daß die Zivilbevölkerung vernichtet wurde. Ich wußte es vielleicht besser als alle anderen. Und doch hielt ich keine einzige Predigt gegen das Töten von Zivilisten, wenn ich vor denen stand, die es taten.

Warum nicht? Das lag an der "Gehirnwäsche". Niemals kam mir der Gedanke, ich sollte öffentlich gegen die Folgen dieser massiven Luftangriffe protestieren. Man hatte mir gesagt, es wäre nötig. Gesagt hatte es öffentlich das Militär und indirekt auch die Leitung meiner Kirche. Soweit ich weiß, hat kein amerikanischer Kardinal oder Bischof sich gegen diese Massenangriffe ausgesprochen. Schweigen aber bedeutet in solchen Angelegenheiten Einverständnis, besonders bei einem so in der Öffentlichkeit stehenden Gremium wie den amerikanischen Bischöfen.

Ich war fest davon überzeugt, daß diese Art der Gehirnwäsche richtig war, so fest, daß sich mir die Frage gar nicht stellte, ob das überhaupt moralisch vertretbar war. Das machte die "Gehirnwäsche", der ich unterzogen wurde, ohne Zwang und Foltermethoden, einfach nur durch das Schweigen meiner Kirche und ihre vorbehaltlose Zusammenarbeit mit der Kriegsmaschinerie des Landes in tausend kleinen Dingen. Warum wurde, als ich meine Ausbildung zum Militärseelsorger beendet hatte, mein Abendmahlsgerät von dem damaligen Bischof von Boston, Cushing, offiziell geweiht? Kann es eine deutlichere Sprache geben? Ja wirklich, ich wurde einer vollkommenen Gehirnwäsche unterzogen. Daß ich es unterlassen habe, angesichts dieser totalen moralischen Verirrung, wie sie die Massenvernichtung von Zivilpersonen darstellt, die Stimme zu erheben, sehe ich heute als ein schweres Versagen als Christ und als Priester. ...

Dieser Auszug aus dem Schreiben des Pater Zabelka wurde am 6.8.2001 bei der Gedenkveranstaltung in Oldenburg zum 56. Jahrestag des Bombenabwurfs auf Hiroshima öffentlich vorgetragen. Der Text wurde einer Broschüre von Christen für die Abrüstung aus 1982 entnommen. Der gesamte Text von Pater Zabelka liegt der STACHEL-Redaktion vor und wird auf Anfrage gerne zur Verfügung gestellt.

Wer Interesse an friedenspolitischer Arbeit hat, kann sich wenden an: Arbeitskreis Friedenswoche, c/o Helmut Hoffmann, Tel./Fax: 37691.

 

 
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