Oldenburger STACHEL Ausgabe 6/01      Seite 13
 
Inhalt dieser Ausgabe
 

Preis des aufrechten Gangs

Lebenserinnerungen von Prodosh Aich

Vielen Oldenburgerinnen dürfte der Hochschullehrer Prodosh Aich ein Begriff sein, da mit ihm und einer studentischen Arbeitsgruppe der Begriff "Rathausplünderer" unlösbar verknüpft ist. Aber auch die ebenfalls mit einer studentischen Gruppe veröffentlichte Arbeit "Da weitere Verwahrlosung droht" schlug Wellen weit über Oldenburg hinaus. Weniger bekannt ist, daß Prodosh Aich auch früher bereits im Licht der Öffentlichkeit stand. So war er des öfteren Gast in der Runde von Werner Höfers "Frühschoppen" (ARD, heute "Der Presseclub"). An seiner Doktorarbeit "Farbige unter Weißen" erhitzten sich die Gemüter.

Prodosh Aich ist einen geraden Weg in seinem Leben gegangen. So etwas trifft nicht bei allen auf Zustimmung. Die konservativen Wissenschaftler Erwin Scheuch und Rene König gehören zu denen, die Prodosh Aich wohl nicht mögen/mochten. Immerhin waren sie so feist, 1967 für seine Entlassung aus der Kölner Universität zu sorgen, während er sich langfristig zu Forschungszwecken im Ausland aufhielt. (Damals reiste mensch noch zu Schiff!) Der Widerspruch gegen die Entlassungsverfügung wurde mit folgender Erläuterung zurückgewiesen: "Die Hauptaufgabe eines wissenschaftlichen Assistenten ist, den ihm vorgesetzten Institutsdirektor in Forschung und Lehre zu unterstützen. ... Diese Unterstützung ist nur möglich, wenn der Assistent mit den Intentionen des ihm vorgesetzten Institutsdirektor im wesentlichen übereinstimmt. Da diese Übereinstimmung zwischen dem Direktor des Forschungsinstituts, Herrn Professor Dr. König und Ihnen nicht mehr gegeben ist, ist Ihre Entlassung gerechtfertigt." Gibt es treffendere Äußerungen, daß die Rede von der Freien Wissenschaft nicht viel mehr als eine solche darstellt, daß es sich bei Universitäten offensichtlich mehr um Tendenzschutzbetriebe handelt? Eine Begründung für die Widerrufsverfügung des Beamtenverhältnisses wurde nicht gegeben.

Doch es ging nicht allein um eine Kündigung. Daran hing nicht nur zudem die Ehre und Karriere eines jungen Wissenschaftlers. Auch drei Monate Verhandlungsfrist - also drei Monate des Wartens für Prodosh Aich, der zuvor acht Monate ohne Einkommen in Indien zubrachte, sind noch nicht das Bedeutsamste. Mit der Kündigung standen zudem drei aktuelle - zum Teil öffentlich geförderte - Forschungsvorhaben auf dem Spiel. Wer mag wo die Fäden gezogen haben, als zusätzlich auf dem Wege der Entziehung der Aufenthaltgenehmigung versucht wurde, Prodosh Aich aus dem Verkehr zu ziehen? Handelte es sich hier um Fremdenfeindlichkeit oder allein um stumpfe Machtpolitik, die skrupellos mit allen Mitteln mundtot zu machen versucht, was ihr im Weg zu sein scheint?

Prodosh Aich schreibt: "Es gibt nicht viele Menschen, die nachempfinden können, wie demjenigen zumute ist, der durch den Mißbrauch der an die Inhaber sicherer Posten delegierten Macht systematisch zum Opfer eines Rufmordes gemacht wird." Und wer da nicht alles mitspielte: Der Kölner Stadt-Anzeiger teilte mit, daß die Ereignisse des Falles nicht von Interesse seien, weil man jahrelang mit den beiden betroffenen Professoren gut zusammengearbeitet habe und diese Zusammenarbeit durch die Veröffentlichung des Falles gestört werde. Auch z.B. der Spiegel nahm sich des Falls nicht an.

Dabei hatte Prodosh Aich in Jaipur einen "Abgrund von Korruption und Vetternwirtschaft" entdeckt. Aich hielt den Mund nicht und bekam prompt Schwierigkeiten. Gegen das Kündigungsschreiben der Universität Jaipur behielt Dr. Aich recht. Er bekam weiterhin Bezüge als Gastprofessor und durfte seine Forschungen fortsetzen. Das war allerdings kaum möglich, da die Gelder von der Deutschen Forschungsgemeinschaft nicht kamen. Später behauptete Prof. König, die Entlassung sei erfolgt, da Prodosh Aich nicht für die Habilitationsschrift gearbeitet habe. Warum wurde die Arbeit von Prodosh Aich so torpediert? Dr. Aich sieht das so: Prof. König weiß, daß die Veröffentlichung der Verhältnisse in der Universität Rajasthan ein Tabu brechen wird. Er weiß, daß die Verhältnisse in den Universitäten der "dritten Welt" nur Spiegelbilder derjenigen der "ersten Welt" sind. Und Köln ist überall in der "ersten Welt". Deshalb gab es weiter reichende Interessen als allein die von König und Scheuch. Und deshalb mußte Prodosh Aich den Prozeß verlieren. Auch die Berufung blieb erfolglos.

Diese Unterdrückung von wissenschaftlicher Arbeit und der dazugehörigen Veröffentlichung hatte bei anderen Werken von Dr. Aich keinen Erfolg, mit der Ausnahme der "Rathausplünder". Auch "Da weitere Verwahrlosung droht" brachte eine Menge Strafanträge. Prodosh Aich zeigte die Strafanträge seinem Dienstvorgesetzten an und bat um Rechtsschutz und Beratung. Fehlanzeige. Statt dessen folgte zusätzlich ein Disziplinarverfahren. Doch diesmal gewährte der Verlag Rechtsschutz. Die Staatsanwaltschaften stellen die Verfahren nach Monaten ein. Das Buch erreicht kurz darauf die zweite Auflage.

Für die Berichterstattung über die "Rathausplünderer" wurde selbst der Oldenburger STACHEL mit Ordnungsgeldern über 1.500.000 DM bedroht. In der folgenden Ausgabe erscheint der STACHEL ohne Titelblatt - lediglich dem Satz: "Dieses Titelblatt kann uns keiner verbieten!" Prodosh Aich: "Ich hatte genug Veranlassung, über das Dogma der sozialwissenschaftlichen Forschung nachzudenken, daß es nur auf die Beschreibung von Strukturen ankomme und nicht auf die Benennung von Roß und Reiter. Wir strampeln uns ab, etwas Verborgenes aufzudecken. Und Roß und Reiter stecken die Geschichten einfach weg. Nichts verändert sich. Wozu dann Forschung? Selbstbefriedigung? Komplizenschaft? Frühwarnsysteme für Machtapparate?

Also nehmen wir uns in unserem interdisziplinär besetzten Projekt vor, die Veränderungen des unmittelbaren Umfeldes unserer Universität zu beschreiben. Die wichtigsten Bauentscheidungen der Stadt Oldenburg einer vollen Legislaturperiode. ... Also keine Affären, keine Sonderfälle. ... Detailiierte Beschreibung mit Roß und Reiter. ...

Es ist wieder die Überschreitung jener Grenze, die eine ehrenwerte Gesellschaft mit freiheitlich demokratischer Grundordnung nicht mehr toleriert. Kein Universitätsgremium hat uns davor gewarnt. Die Projektveranstaltungen von vier Jahren waren ausnahmslos durch die Gremien der Universität genehmigt und im Veranstaltungsverzeichnis angekündigt. Die Veranstaltungen waren offen für alle. Am Vorabend der Auslieferung des Berichts finden die Stadtoberen einen willigen Richter und schlagen mit einstweiligen Verfügungen zu. Ohne Abmahnungen. Sechzehn an der Zahl. Streitwert insgesamt 750.000 DM. Ordnungsgeldandrohung von 7,5 Millionen DM. Oder siebeneinhalb Jahre Knast. Die Ehre der Stadtoberen ist halt teuer."

Das Ziel war, dieses Thema zu "verbrennen". Das ist den Mächtigen gründlich gelungen. Obgleich wir heute wissen, daß es deutlich Schlimmeres gibt als die in "Rathausplünderer" beschriebenen Vorgänge - erinnert sei hier nur an die "Erbschaften verstorbener jüdischer Mitbürger aus der Schweiz" eines gewissen Herrn Kanther. Flächendeckende Korruption in der BRD? Nicht in Oldenburg! Prodosh Aich wird geraten, nie wieder auf dem Gebiet der Kommunalpolitik zu arbeiten. Selbst in Geschichten aus Coburg oder Magdeburg werden die Stadtoberen Oldenburg darin erkennen wollen. Das Buch: "Der aufrechte Gang" ist Krimi, Sozialgeschichte und spannend zugleich.Noch unerzählt bleibt die Geschichte nach den "Rathausplünderern". Wir dürfen auf den nächsten Band neugierig sein.

Gerold Korbus

6pt Preis des aufrechten Gangs, Lebenserinnerungen eines Hochschullehrers aus den Jahren 1957-1987, 2000, Acharyya-Verlag, Oldenburg, ISBN 3-935418-01-9, 666 Seiten

 

 
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