Ausgabe 6/01 | Seite 3 | |||||
Erforschung von Nazi-Verbrechen blockiert
Wie in Oldenburg und Niedersachsen die regionale Erforschung von Nazi-Verbrechen blockiert und behindert wirdIm Zuge jahrelanger Recherchen hatte ich nachgewiesen, daß es in der ehemaligen Heil- und Pflegeanstalt Wehnen während der NS-Zeit zu systematischen Patientenmorden gekommen war. Mangels finanzieller Unterstützung und wegen vielfacher Behinderung meiner Arbeit hatte ich meine Forschungsarbeiten jedoch schon damals auf ein Minimum beschränken müssen. So konnte ich nur wenige Dutzend der gut 1500 Euthanasie-Akten auswerten. Auch der Erkenntnis, daß die Getöteten für die Suche nach "wissenschaftlichen Beweisen" der Rassenlehre seziert wurden, konnte ich nicht systematisch auf den Grund gehen. Ebenso erging es der Frage, ob Patienten mittels Medikamenten umgebracht wurden. Auch neu aufgetauchte Fragen mußten unbeantwortet bleiben, zum Beispiel: Warum gab es in Oldenburg so auffällig viele Zwangssterilisationen? Oder: Was geschah in den berüchtigten Sonderkrankenhäusern, von deren Existenz im Land Oldenburg angeblich niemand etwas gewußt hatte? Mit dem Beweis, daß in Wehnen die NS-Euthanasie geherrscht hatte, war gerade einmal der Anfang für ein Forschungsprogramm gemacht, das die mörderischen Folgen der gesamten Nazi-Gesundheitspolitik in der Region Weser-Ems offenlegen und dokumentieren sollte. Nachdem die Fachwelt meine Untersuchungen mit Beifall aufgenommen und die Niedersächsische Landesregierung mit der Zusage eines Mahnmals für die Euthanasie-Opfer den historischen Tatsachen Rechnung getragen hatte, schien den weiteren Untersuchungen nichts mehr im Wege zu stehen. Doch als ich entsprechende Forschungsprogramme vorlegte, war jedes Interesse plötzlich erloschen. Die Universität Oldenburg verwies auf die Landesregierung, diese auf angebliche Haushaltslöcher, die VW-Stiftung machte fehlende Mittel geltend, die Hans-Böckler-Stiftung hatte kein Geld - wo immer ich meine Projekte vorstellte, stieß ich auf nichts als höfliche Ablehnung. Für die Erforschung und Dokumentierung eines der düstersten Kapitel der Naziherrschaft, nämlich die allmähliche Verwandlung von Krankenhäusern in Tötungsanstalten, mochte sich niemand finanziell oder ideell einsetzen. Ich finde diese Haltung unwürdig und unsensibel, denn sie verweigert den Toten das Recht auf Anerkennung als NS-Opfer. Schließlich stecken hinter den Zahlen konkrete Schicksale und Namen. Verzichtet man auf ihre Nennung, so verhindert man die Rehabilitation der Opfer. Den Angehörigen ist damit ein schlechter Dienst erweisen, denn sie werden nicht nur mit ihrem Wunsch nach Aufklärung und Trost alleingelassen, sondern müssen weiter das Stigma der Psychiatrisierung tragen. Auch die regionale Öffentlichkeit ist betroffen, nimmt man ihr doch die Chance, sich "ihrer" NS-Vergangenheit zu stellen. Heute, da Fremdenhaß und Ausgrenzung wieder um sich greifen, ist das Wissen um die damaligen Folgen rassistischer Ideologien wichtiger denn je. Diese Zusammenhänge werden für die Menschen erfahrbarer, wenn ihnen klar wird, daß die Institutionen ihrer Stadt, ihrer Gemeinde an den Nazi-Verbrechen mitgewirkt haben. Nur wenn die Menschen nachvollziehen können, wie sich Ärzte, Gesundheitsbehörden und Krankenhäuser ihrer unmittelbaren Heimat ganz in den Dienst eines rassistischen Menschenbildes stellten, wächst das Bewußtsein dafür, wie schnell eine unmenschliche Ideologie, vor allem wenn sie durch die Medizin einen wissenschaftlichen Anstrich bekommt, wieder bedrohlich werden kann. Ich meine, daß eine Gesellschaft, die es mit der Bekämpfung des Rassismus als zivilisatorischem Grundübel ernst meint, auf die historische Aufarbeitung dieser Zusammenhänge nicht verzichten darf - schon gar nicht aus finanziellen Gründen. Ingo Harms
|
||||||
Differenzen zur gedruckten Fassung nicht auszuschließen. Dieser Text ist urheberrechtlich geschützt. Siehe auch Impressum dieser Ausgabe und Haupt-Impressum |