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Richter Kaut im Kampf den gegen den "militanten" PazifismusAm 18. Mai hat das Landgericht Hamburg den Totalen Kriegsdienstverweigerer Jan Reher zu einer sechsmonatigen Freiheitsstrafe verurteilt, die auf drei Jahre zur Bewährung ausgesetzt wurde. - Ein Prozeßbericht In Deutschland gibt es kein Recht, alle Kriegsdienste zu verweigern. Erst recht stellt der Zivildienst keine Möglichkeit dar, sich der militärischen Verplanung für zukünftige Kriege zu entziehen. Nur wenigen scheint klar zu sein, daß auch der Zivildienst ein Kriegsdienst ist - nur eben ohne Waffe, da Zivis beispielsweise im Rahmen der fortwährenden Vermischung von Bundeswehr mit Privatwirtschaft und zivilen Bereichen, etwa in Krankenhäusern eingesetzt werden können, in denen Soldaten wieder gefechtsfähig geflickt werden. Nicht zu vergessen ist auch die Verplanung von Zivis (auch ehemalige) in militärische Hilfsfunktionen für den Fall eines nationalen Notstands. Totalverweigererprozesse sind immer politische Prozesse, sie werden sowohl von der Verteidigung als auch vom Staat politisch geführt - von den einen mit dem Ziel, den Wehrdienst an sich abzuschaffen, von den anderen, um konsequenten Antimilitaristen klar zu machen, daß sie in diesem Staate nicht mit Milde rechnen dürfen. Konsequenten Kriegsdienstverweigerern, die sich auf die im Absatz 1 des Artikel Grundgesetz verbürgte uneingeschränkte Gewissensfreiheit berufen drohen dabei hohe Strafen. So ist es nicht weiter verwunderlich, wenn stets nur wenige Wehrpflichtige es auf sich nehmen, trotz einer nahezu sicheren Verurteilung nicht den Weg des geringsten Widerstandes wählen und ihren Zivildienst ableisten. Die Tätigkeit an sich ist es dabei nicht, die von vielen konsequenten Kriegsdienstverweigerern abgelehnt wird, sondern die Bedingungen, unter denen diese erfolgen muß. Etwa ein Dutzend Wehrpflichtige verweigern jedes Jahr auch die Ableistung des zivilen Ersatzdienstes. Einer von ihnen, Jan Reher war am 03.11.00 vom Amtsgericht Hamburg überraschend vom Vorwurf der Dienstflucht freigesprochen worden. Der Richter berief sich dabei auf die in Art. 4 Abs.1 GG garantierte Gewissensfreiheit. Es war der erste Freispruch gegen einen Totalverweigerer auf dieser Grundlage seit fünfzehn Jahren. Der Staatsanwalt war natürlich nach diesem Urteil in Berufung gegangen. So fand ab dem 30.04.01 die Berufungsverhandlung vor dem Landgericht Hamburg statt. Obwohl das Gerichtsverfahren in der ersten Instanz trotz eines überfüllten Gerichtssaals friedlich verlaufen war, erließ der Richter eine Sicherheitsverfügung, die "aus einem Verfahren gegen einen Antimilitaristen eine Hochsicherheitsshow" machte. Die Verfügung kündigte u.a. die Kontrolle sämtlicher ZuschauerInnen an und führte in einer umfangreichen Liste im Gerichtssaal "verbotener" Gegenstände außer Taschen, Lebensmitteln und Getränken explizit "Waffen und Munition" auf. Es erscheint geradezu absurd und paradox, zu unterstellen, zu einem Verfahren gegen einen totalen Kriegsdienstverweigerer könnte jemand auf die Idee verfallen, eine Schußwaffe mit in den Gerichtssaal zu bringen. Ein Teil der Ankündigungen war klar rechtswidrig, wie etwa die Anordnung, nur PressevertreterInnen sei die Mitnahme von Schreibutensilien gestattet. Ein Befangenheitsantrag der Verteidigung wegen der Sicherheitsverfügung wurde mit der Begründung abgelehnt, damit würde keinesfalls der Angeklagte und sein Umfeld als gewaltbereit diffamiert. Im Übrigen würde sich die Ankündigung klar Rechtswidriger Maßnahmen selbst dann schon von vornherein der Prüfung entziehen, wenn diese die Schutzrechte des Angeklagten beschnitten. An der Hauptverhandlung nahmen etwa 70 ZuschauerInnen teil. Ausweise wurden nicht kontrolliert, auch Schreibzeug durfte mitgebracht werden. Wenig erfreulich war die Anwesenheit von drei auffällig unauffälligen Zivilpolizisten. Die Verteidiger beantragten als erstes deren Ausschluß. Dieser Antrag wurde vom Gericht abgelehnt. Daraufhin gab es ein erneutes Ablehnungsgesuch gegen den Richter und die beiden Schöffen, daß ebenso abgelehnt wurde wie das Ablehnungsgesuch gegen den Richter, der die Befangenheitsanträge zu entscheiden hatte. Die Ablehnungsbegründung lautete, auch die Polizei sei ein Teil der Öffentlichkeit, was natürlich totaler Quatsch ist, da "die Öffentlichkeit" gerade ein Regulativ gegenüber dem Staat sein soll und wohl schlecht durch diesen vertreten werden kann. Der Vormittag verging mit diversen Verhandlungspausen, Befangenheits- und anderen Anträgen vorbei. Inhaltlich verhandelt wurde deswegen erst ab mittags. Dabei legte Jan in einer rund einstündigen die Gründe für seine Verweigerung dar und wies vor allem die militärische Verplanung des Zivildienstes nach. Danach gab es noch eine Reihe von Fragen des Richters und des Staatsanwaltes, die vor allem darauf abzielten nachzuweisen, daß selbst wenn der Zivildienst im Kriegsfall militärisch verplant sei, dies ja mit Jans konkretem Dienst nichts zu tun gehabt hätte, in der fraglichen Zeit sei der "Verteidigungsfall" ja nicht eingetreten. Die Antwort darauf lautete, dies sei nicht der eigentliche Punkt, es gehe darum klar zu machen, daß man nicht verplanbar sei und im Kriegsfall nicht zur Verfügung stände. Ansonsten gab es noch eine Reihe von Schriftstücken, die verlesen wurden, z.B. der Musterungsbescheid ("nach Augenschein gemustert" - daß geschieht, wenn man sich weigert mitzuspielen, dann wirft halt der Musterungsarzt aus 10 m Entfernung im Flur einen Blick auf den zu Musternden und sagt dann "T2"). Am zweiten Verhandlungstag wurde im Wesentlichen ein Beweisantrag abgelehnt (die Verteidigung hatte beantragt, Verteidigungsminister Scharping und weitere Militärexperten als Zeugen für die militärische Verplanung des Zivildienstes und den Ausbau der Bundeswehr zu laden), sowie das Plädoyer des Staatsanwaltes gehört, nach dem es kein Grundrecht auf die Verweigerung des Zivildienstes gebe. Weiter hieß es darin, wenn daß jeder machen würde und dies sanktionslos bliebe, würde dies ja praktisch das Ende der Wehrpflicht bedeuten und außerdem könnten sich Gewissensgründe nur gegen die Tätigkeit als solche richten. Am letzten Verhandlungstag folgten schließlich die beiden einstündigen Plädoyers der Verteidiger und die Urteilsverkündung. Der Verteidiger Detlev Beutner kritisierte zunächst scharf den Richter und appellierte an die Schöffen "einem Richter Einhalt zu gebieten, der sich am Landgericht Hamburg in so sicherer Gesellschaft unter seinen Kollegen wähnt, daß er sich sicher sein konnte, daß ihn auch die Ankündigung er werde sich nicht an Recht und Gesetz halten, nicht aus diesem Verfahren entlassen werde." Im weiteren ging er auf die allgemeine Aushöhlung von Grundrechten in den letzten Jahren ein und auf die Tatsache, daß hier zu Lande "Gewissensfreiheit dort aufhören ÄsollÜ, wo militärische Interessen beginnen. Auf Grund der ständigen Beteuerungen, jeder Staat habe das Recht eine Wehrpflicht mit allen Mitteln durchzusetzen erscheint die Behauptung, in Deutschland werde auch im Kriegsfall Desertion sicher nicht mit dem Tode bestraft nur als frommer Wunsch. Der zweite Verteidiger, Jörg Eichler, setzte sich in seinem Plädoyer vor allem mit der Frage auseinander, ob und wenn ja mit welcher Begründung Jan Reher freizusprechen ist. Die Argumentation drehte sich dabei vor allem um die Frage, ob der Abs. 3 des Art. 4 GG (Kriegsdienst mit der Waffe darf verweigert werden) eine Ergänzung oder eine Einschränkung der absoluten Gewissensfreiheit des Art. 4 Abs. 1 darstellt. Er zeigte auf, warum der Angeklagte freigesprochen werden müsse. Zur Urteilsverkündung weigerten sich vier ZuschauerInnen sich zu erheben. Der Verstoß gegen diese tradierte und autoritätshörige Vorschrift wurde zumindest in den letzten 20 Jahren in der Regel nicht mehr geahndet. Richter Kaut hielt es jedoch für nötig, pro Person ein Ordnungsgeld von 500 DM wegen "Ungebühr vor Gericht" zu verhängen. Besonders absurd erscheint dieses Vorgehen, weil danach die Urteilsverkündigung auch mit sitzendem Publikum stattfinden konnte, "Ungebühr vor Gericht" jedoch eigentlich eine erhebliche Störung der Sitzung sein soll. Letztendlich befand das Gericht Jan Reher der Dienstflucht schuldig und verhängte eine Strafe von 6 Monaten, die zu drei Jahren auf Bewährung ausgesetzt wurde. Dieses Urteil liegt zwar im oberen Mittelmaß und ist sicher nicht befriedigend. Angesichts des Prozeßverlaufes und des Verhaltens des Richters war ein weitaus höheres Urteil zu befürchten gewesen. Da die Urteilsbegründung deutlich nicht die Handschrift des Richters trug, ist davon auszugehen, daß der Appell an die Schöffen Wirkung gezeigt und diese das Urteil gedrückt hat. Trotzdem wird die Verteidigung auf Grund der Verfahrensfehler versuchen, in Revision zu gehen. Insgesamt ein Prozeß, der wieder einmal gezeigt hat, was Menschen erwartet, die in diesem Land gegen den Strom schwimmen und sich gegen staatliche Zumutungen verweigern. Diese Seite entstand in Zusammenarbeit und mit freundlicher Unterstützung der DFK-VK-Bremen/Nds.
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