Ausgabe 5/01 | Seite 4 | |||||
Nationalstolz - billig zu haben, kommt teuer zu stehen#Ich liebe deutsche Wurst, Ich liebe deutsche Wein, Ich liebe deutsche Bier, Ist gut for mei Durst, Ich liebe deutsche Land, Ich liebe deutsche Land, Ich liebe deutsche Land ... (Neue deutsche Nationalhymne, presented by Stefan Raab) 6ptIm kalten März erhitzte sich die Republik an der Frage, inwiefern ein Deutscher darauf stolz sein dürfe (könne, solle, müsse), daß er Deutscher ist. Es soll hier darauf verzichtet werden, alles Unsägliche, was dazu gesagt wurde, im Einzelnen zu zitieren und zu kommentieren. Auch soll dahingestellt bleiben, ob Herr Laurenz Meyer, geboren in Salzkotten, vielleicht eher überrascht war denn stolz ist, nicht nur Sauerländer, sondern auch Deutscher zu sein.* Vorzuwerfen wäre ihm dann, daß er den Satz "ich bin stolz ein Deutscher zu sein" mißbraucht hat, bloß um bei den aufrecht Stolzdeutschen für seine Arbeitgeberin Stimmen zu fischen. "Stolz"? "Wortgeschichtlich leitet er sich vom altdeutschen "stelte" = Stelze her, meinte ein Gebildeter. Die Gebrüder Grimm kennzeichneten eine hochnäsige Königstochter als "schön aber stolz". So abwertend ist der Begriff nach heutigem Sprachgebrauch nicht besetzt. Dennoch, Dummheit und Stolz wachsen auf demselben Holz; der Schritt von der Erhabenheit zur Anmaßung, zur Eitelkeit und Lächerlichkeit ist winzig. Im alltäglichen Leben ist ein Mensch vornehmlich stolz auf eigene Leistungen oder auf Personen, die er stark beeinflußt hat. Mit fremden Federn schmücken dürfen sich eigentlich nur Kinder (meine Oma hat `ne Brille, deine man nicht) und Jugendliche (ich bin stolz ein Schalker zu sein). Eine Aldikassiererin, die beständig von der Großartigkeit ihres Ladens schwärmt, wird schnell gefragt, ob das Unternehmen ihr gehört, bzw. wie groß denn ihr ganz persönlicher Anteil am Unternehmenserfolg ist. Kein Fan des Nationalstolzes aber hat auch nur versucht zu begründen, daß die Nationszugehörigkeit mit dem Erwerb eines Gesellenbriefes oder der Ersteigung der Zugspitze vergleichbar ist.* Zu begründen ist er offensichtlich nicht, der Nationalstolz. Um so wortreicher wird er gerechtfertigt: "Wenn Amerikaner, Schweden, Israelis, Palästinenser, ja selbst Slugonier einen Nationalstolz haben, müssen wir auch einen haben. Und modisch angesagt ist er doch auch wieder." Überaus anspruchsvoll ist die Variante, daß nur derjenige, der auf seine Nation stolz sei, mit Angehörigen oder Abkömmlingen anderer Nationen angemessen verkehren könne. Was mag das bloß heißen? Muß ich ob meines Deutschseins in geile Wallungen geraten, um nicht daran zu verzweifeln, daß mein türkischer Nachbar lieber Kebab statt Grünkohl oder deutsche Pizza ißt? Wer das erklären kann, möge sich melden. Gern wird darauf verwiesen, daß Deutschland hervorragende Sachen wie deutsches Bier und Rindfleisch (da weiß man, was man kriegt) und nicht nur rabiate Lenker wie Adolf Hitler, sondern auch Dichter und Denker wie Goethe, Schiller und Kant hervorgebracht habe. Einer aus der vorzeigbaren Abteilung ließ folgendes verlauten: "Die wohlfeilste Art des Stolzes Ä...Ü ist der Nationalstolz. Denn er verräth in dem damit Behafteten den Mangel an individuellen Eigenschaften, auf die er stolz seyn könnte, indem er sonst nicht zu dem greifen würde, was er mit so vielen Millionen theilt. Wer bedeutende Vorzüge besitzt, wird vielmehr die Fehler seiner eigenen Nation, da er sie beständig vor Augen hat, am deutlichsten erkennen. Aber jeder erbärmliche Tropf, der nichts in der Welt hat, darauf er stolz seyn könnte, ergreift das letzte Mittel, auf die Nation, der er gerade angehört, stolz zu seyn: hieran erholt er sich und ist nun dankbarlich bereit, alle Fehler und Thorheiten, die ihr eigen sind, mit Fuß und Ferse zu vertheidigen." (Schopenhauer) Auf neudeutsch: Nationalstolz ist eine uncoole Angeberei, egal ob er in der Form, stolz als Deutscher, oder "stolz auf Deutschland" herumstolziert. Und durchaus keine harmlose, sondern der Griff zum Baseballschläger und schlimmerenfalls die Bereitschaft, sich gedankenlos zu Wehr und Waffen rufen zu lassen, liegt nicht fern. Und so kann dieser Stolz anderen und auch den Stolzen selbst teuer zu stehen kommen. Die unterschwellige Bedrohlichkeit dieser Art der Erbauung brach auf, als Bruder Johannes, unser Bundespräsident, mit einigen milden Sätzen zur Versöhnung mahnte. Nationalstolze nahmen nicht etwa dankbar seinen Ball auf mit der Behauptung, Freude am und Dankbarkeit gegenüber dem Vaterland sei der Inhalt zeitgemäßen Nationalstolzes. Einige gifteten gegen den Präsidenten, als habe er sich eines Hochverrats schuldig gemacht. Daß eine Nation ohne Nationalstolz, auch wenn der sich in keiner Weise begründen läßt, nur eine halbe Sache ist, mag sein. Ungewollt belegt das aber, daß die Nationsidee als vor- bzw. überstaatliche Not-, Schicksals-, Interessengemeinschaft ebensowenig zu begründen, sondern nur durch mythische Beschwörungen zu bebildern ist. Das gilt selbst für Musternationen wie die französische. Zu offensichtlich ist auch die "grande nation" kein Hilfsverein auf Gegenseitigkeit. Deshalb feiern unsere westlichen Nachbarn nicht nur eine zweihundert Jahre alte Revolution, sondern wollen schon zu Karls des Großen und sogar zu Asterix` und Obelix` Zeiten eine schöne Gemeinschaft aller Gebietsansässigen entdeckt haben. Die Schmacht nicht weniger einfacher Deutscher auf Nationalstolz ist nicht zu bestreiten. Obwohl sie gern "der Staat sind doch wir alle" heraustrompeten, wissen sie aus Erfahrung, daß sie trotz aller Demokratie nicht viel zu melden haben und Deutschsein keine Eintrittskarte fürs Schlaraffenland ist. Nach der Devise "was man nicht vermeiden kann, muß man genießen" möchten sie, wenn sie schon nicht zu den hohen Herrschaften gehören, zumindest stolze Knechte sein. Komplizierte Naturen nennen das ein "legitimes Bedürfnis nach geistiger Orientierung". Nationalstolz dürfe man nicht den Rechtsradikalen, eine dumme Einbildung also nicht den Dumpfbacken überlassen. Dieser Versuch, den "teuflischen Nationalismus" durch den Engel "gesunder Nationalstolz" auszutreiben, ist wohl am erbärmlichsten. Weder im gern zitierten Dänemark und schon gar nicht in Frankreich hat er die Etablierung rassistischer Parteien verhindert. Daß die ehemaligen Republikanerwähler wegen ihrer momentanen Wahl der CDU nicht mehr über "Kanaken" lästern, sondern sich gepflegt mit "ausländischen Mitbürgern" unterhalten, darf bezweifelt werden. Sollte der Nationalstolz nicht selbst ein Beelzebub sein, so ist er zumindest die anrüchige Großmutter des Nationalismus. Mit alledem sollte nicht gesagt werden, ein Patriotismus der altväterlichen Marke stünde vor der Wiederauferstehung. Meinungsumfragen und ein Blick in die Leserbriefspalten, z. B. der größten Tageszeitung zwischen Weser und Ems (NWZ v. 24.3.01) offenbaren, daß die Zahl der Deutschen, die sich durch die Herren Trittin und Rau beleidigt fühlen, nicht überwältigend ist. Die einschlägigen Debatten in anderen bedeutenden Printmedien wie WELT und FAZ verdeutlichen, daß auch konservative Leithammel der Nation sich nicht einig sind, ob Nationalstolz dem deutschen Untertan, pardon "demokratischen Staatsbürger" unserer Tage dringlich zu empfehlen ist. Der Grund scheint darin zu liegen, daß zum einen die Wiederbelebung des Nationalstolzes recht krampfig ist, nachdem die alte Bundesrepublik jahrzehntelang dessen Spiegelbild, die nationale Scham (wegen Adolf Hitler & Co) gepflegt hat. Des weiteren paßt ein deutschtümelnder Hurrapatriotismus mit all dem korrespondierenden Selbstmitleid schlecht in eine Zeit, in der die Leitkultur nicht mehr durch "Großereignisse" sondern feinsinnige "Megaevents" wie die Love Parade geprägt wird, der moderne Deutsche nach dem Shopping im Backshop einkauft, dann aufregende Hobbies wie Fitneß und Wellneß reitet und abends via Internet seine Altersversorgung beim internationalen Börsenkapital erzocken soll. Entscheidend aber ist, Deutschland will sich nicht auf Deutschland beschränken, sondern Macht und Reichtum durch die Benutzung ausländischer, selbst asiatischer Intelligenz und - mittels eines vereinten Europas vermehren, weswegen die gute Deutsche Mark still zu Grabe getragen wird. Da es die erste Geige in Europa zu spielen gedenkt, ist es wenig opportun, allzu heftig die nationale Pauke zu schlagen. Für das neue Deutschland ist Gewalt als Mittel der Politik erledigt, es führt keine Kriege mehr sondern, eingebunden in die westliche Wertegemeinschaft, friedenserhaltende und friedensstiftende Maßnahmen. Diese werden mutig mit mindestens zehnfacher Übermacht als selbstlose Nothilfe in Anschlag gebracht. Damit ist das klassische Nationalbewußtsein "right or wrong, it's my country" entbehrlich, die heutigen Aktionen sind fraglos gut und richtig, mögen sie auch gegen das herkömmliche Völkerrecht verstoßen. Daß darüberhinaus unser Außenminister Fischer es vollbracht hat, die "deutsche Schande Auschwitz" offensiv dahin zu wenden, insbesondere Deutschland sei berufen, halbzivilisierten Nationen wie Jugoslawien Sitte und Anstand einzubläuen, ist das historisch einmalige Verdienst seiner Person und Partei. Vergangene Sünden läßt das verzeihlich erscheinen. Welch gruselige Lehren aus der Geschichte gezogen werden können! Klaus Priesucha 6pt* Gedanke halb geklaut bei Zippert, DIE WELT
|
||||||
Differenzen zur gedruckten Fassung nicht auszuschließen. Dieser Text ist urheberrechtlich geschützt. Siehe auch Impressum dieser Ausgabe und Haupt-Impressum |