Ausgabe 5/01 | Seite 7 | |||||
Aufnahme von Deserteuren in OldenburgDie Veranstaltung unter dem Motto "Menschenrechte in kommunaler Verantwortung" mit den kurdischen Kriegsdienstverweigerern Ahmed und Mehmet Cicek, Volker Maria Hügel von Pro Asyl und Stefan Keßler von amnesty international im Kulturzentrum PFL fand ohne großes Presseecho (mit Ausnahme des offenen Kanals), dafür aber mit einem ungewohnt zahlreichen und engagierten Publikum statt. Jens Ilse von der BürgerInneninitiative "Helm ab!" stellte einleitend das Ziel der Kampagne vor: Nach dem Vorbild der Städte Münster, Osnabrück, Bonn, Rostock und Freiburg soll die Stadt Oldenburg einigen Deserteuren in Kriegsgebieten Zuflucht gewähren und zusichern, für ihren Lebensunterhalt aufzukommen (was für den Stadthaushalt vergleichsweise geringe Ausgabe wäre). Den Deserteuren könnte dann von der zuständigen deutschen Botschaft ein Einreisevisum ausgestellt werden. Jens Ilse verwies auf den Platz zu seiner Rechten, der eigentlich Oberbürgermeister Dr. Poeschel oder seinem/r VertreterIn zugedacht war, die oder der die Position der Stadt vertreten sollte. Der Stuhl blieb leer, doch liegt eine schriftliche Stellungnahme Poeschels vor, in dem er die Verantwortung, Verfolgten Schutz zu gewähren, bei zahlreichen genannten Behörden und v.a. beim Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge angesiedelt sieht, jedoch nicht bei der Stadt Oldenburg. Die folgenden Referate sollten zeigen, daß eine solche Argumentation zu kurz greift oder, wie es Volker M. Hügel ausdrückte: "Geht nicht' gibt's nicht!" Doch zunächst berichteten Ahmed und Mehmet Cicek von Stationen ihrer Flucht aus der Türkei und des Asylverfahrens in Deutschland: Von den traumatischen Kindheitserfahrungen bei den Angriffen des türkischen Militärs auf ihr kurdisches Heimatdorf, von der Flucht nach Deutschland, von der ersten Ablehnung des Asylantrags mit Begründungen wie "keine politische Aktivität" (dabei waren sie bei ihrer Flucht noch Kinder). Die Brüder lebten im Kirchenasyl im Emden, als sie die Einberufung zum Kriegsdienst in der türkischen Armee erhielten. Trotz drohender Gefängnisstrafen und Folter bei einer erzwungenen Rückkehr verweigerten beide den Militärdienst. Sie begründen dies mit einem Antimilitarismus, der in ihren Kindheitserfahrungen im türkisch-kurdischen Bürgerkrieg wurzelt und der ihnen auch die Teilnahme am bewaffneten kurdischen Widerstand unvorstellbar macht. Die erfolgreiche Initiative von Menschenrechtsgruppen in Münster, die Volker Maria Hügel, FH-Dozent im Bereich 'Flucht und Migration', Vorstandsmitglied bei Pro Asyl und Aktivist in lokalen Münsteraner Gruppen, danach vorstellte, bietet zwar keine Lösung für Flüchtlinge wie die Ciceks, die sich bereits in Deutschland befinden, doch meint Hügel, durch seine Initiative auch ein Zeichen gegen die Abschiebung von Deserteuren setzen zu können. Die Münsteraner Initiative profitierte 1998 von der historischen Situation: Die Politik stand unter dem Eindruck des Bosnienkrieges. Da die Kommunen keine Eingriffsmöglichkeit in Asylverfahren haben, wurden durch Kontakte über internationale Menschenrechtsorganisationen wie u.a. Connection e.V. zwei Deserteure in Jugoslawien ausfindig gemacht und ihnen in Münster "Zuflucht" (nicht "Asyl") und die Sicherung ihres Lebensunterhaltes angeboten. Ein solches Vorgehen ist nach dem Ausländerrecht möglich, eigentlich ist diese Regelung für private Besuche ausgelegt. Allerdings scheiterte das Vorhaben zunächst an der Weigerung der deutschen Botschaft, den beiden Visa auszustellen. Ein Schreiben der Oberbürgermeisterin an Außenminister Fischer brachte schließlich den Erfolg. Beide Deserteure kamen nach Münster, sie integrierten sich schnell und weckten Sympathien sogar bei konservativen Politikern. Doch erinnerte Hügel daran, daß den Flüchtlingen auch eine langfristige Perspektive geboten werden muß. Die Münsteraner Deserteure denken derzeit über eine Weiterwanderung nach Kanada nach. Den OldenburgerInnen gab er als Rat mit auf den Weg, sich Unterstützung bei professionellen ExpertInnen zu holen, die z.B. in den Gremien und Fraktionen des Stadtrates Überzeugungsarbeit leisten könnten. Jens Ilse warnte allerdings vor zu großem Enthusiasmus: Selbst wenn der Stadtrat den Beschluß zur Aufnahme von Deserteuren fassen sollte, kann seine Umsetzung wegen vorgeschobenen Geldmangels immer noch auf unbestimmte Zeit vertagt werden, wie es in Freiburg geschehen ist. Stefan Keßler aus dem Vorstand von amnesty international stellte die Situation von Kriegsdienstverweigerern im deutschen Asylrecht dar. Die deutsche Rechtsprechung erkennt souveränen Staaten das Recht zu, ihre BürgerInnen zum Kriegsdienst zu verpflichten und diese Pflicht mit Strafandrohungen durchzusetzen. Das heißt: Es gibt kein Menschenrecht auf Kriegsdienstverweigerung, und Desertion ist kein Asylgrund. Allerdings gibt es eine Möglichkeit für Deserteure, als politisch Verfolgte anerkannt zu werden: Sie müssen nachweisen, daß ihnen wegen ihrer politischen Haltung oder persönlichen Merkmalen eine schwerere Strafe droht als anderen Deserteuren in der gleichen Situation. Keßler wies aber auch auf einen Sinneswandel hin, der sich gegenwärtig in der Bundespolitik abzeichne. So zitierte er einen einstimmig gefassten Beschluß des Bundestages vom 6.7.00, in dem ein Abschiebestopp für Flüchtlinge aus Krisengebieten wie Jugoslawien gefordert wird, unter die auch ausdrücklich Kriegsdienstverweigerer und Deserteure gefaßt sind, "die sich der Beteiligung an völkerrechtswidrigen Aggressionen und Verbrechen entzogen haben". Der Beschluß orientiert sich an der gegenwärtigen Entwicklung im Völkerrecht, das Deserteuren, die sich völkerrechtswidrigen Kriegshandlungen entziehen, ein Asylrecht zuerkennt und den einzelnen Soldaten, die sich weiterhin an diesem Krieg beteiligen, sogar eine individuelle strafrechtliche Verantwortung zuspricht. Keßler wandte sich dagegen, die Kommunen von der Verantwortung für Asylsuchende freizusprechen. Seiner Ansicht nach hat die Kommune die rechtlichen Möglichkeiten, im Einzelfall eine Abschiebung zu verweigern und sei bereits durch Art. 1 des Grundgesetzes in die Pflicht genommen. Er gab damit noch einmal zu bedenken, daß die Einreiseerlaubnis für Deserteure aus Kriegsgebieten einen ersten Schritt darstellt, daß aber auch für das Bleiberecht der bereits eingereisten Kriegsdienstverweigerer gesorgt werden müsse. Die Gruppe Helm ab! trifft sich an jedem 1. Montag im Monat um 20.00 Uhr im Café am Damm, Damm 36 in Oldenburg. Wer mitdiskutieren oder mitarbeiten möchte, ist herzlich willkommen. Anne Beelte 6pt Kontakt: Initiative "Helm ab!", c/o DFG-VK LV Nds./HB., Damm 39, 26135 Oldenburg, Tel. / Fax 0441-5947688 Email: Nds-HB@dfg-vk.de
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