Oldenburger STACHEL Ausgabe 4/01      Seite 12
 
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Ein offenes Geheimnis

Am Freitag, den 27. April eröffnet um 19 Uhr die Ausstellung "Ein offenes Geheimnis - "Arisierung" in Alltag und Wirtschaft in Oldenburg im Zeitraum von 1933 bis 1945" in der Halle am Steinweg 22. Gezeigt wird das einstweilige Ergebnis eines Forschungsprojektes, daß sich mit einem bis heute kaum aufgearbeiteten Kapitel der Geschichte des Nationalsozialismus in Oldenburg befaßt: Die sog. Arisierung beinhaltete die Enteignung jüdischer Geschäfte, Gewerbebetriebe, des Vermögens und des Besitzes der jüdischen Bevölkerung Oldenburgs. Der Begriff läßt sich allerdings kaum auf rein wirtschaftliche Aspekte reduzieren. Mit der materiellen Enteignung einher ging die schrittweise Verdrängung und Ausgrenzung der jüdischen Menschen aus ihren Lebenszusammenhängen, die systematische Verarmung, die "freiwillige Zwangsauswanderung", nicht zuletzt Deportation und Vernichtung: die "Enteignung des Lebens".

Der Boykott

Der Arisierungsprozeß verlief in verschiedenen Phasen: Bereits zwei Monate nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten 1933 wurde ein deutschlandweiter Boykott jüdischer Geschäfte und Betriebe ausgerufen. Durch ausbleibende Einkünfte, durch schärfer werdende Reglementierungen und immer neue Zwangsabgaben wurde ein großer Teil der jüdischen Geschäftsinhaber in den Bankrott bzw. zum Verkauf ihrer Geschäfte und Häuser getrieben.

Eine besondere Bedeutung hatte für Oldenburg als landwirtschaftlich geprägte Region der Viehhandel, der aufgrund historischer Entwicklungen noch bis Anfang der 30er Jahre zu 80-90% in jüdischen Händen lag. Am 11. August 1935 veröffentlichte die Oldenburger Staatszeitung das offizielle Verbot für Juden, weiterhin am Viehmarkt der Region teilzunehmen. Oldenburg war damit der erste Viehmarkt, auf dem eine solche Vorschrift erlassen wurde. Das politische Signal der Boykottaufrufe bestand darin, die Ausgrenzung der deutschen JüdInnen zur nationalen Aufgabe zu erheben, an der sich alle "arischen" BürgerInnen zu beteilgen hatten. Der Boykott jüdischer Geschäfte und die "selbstpraktizierte" Diskriminierung von jüdischen Deutschen durch nicht- jüdische Deutsche gehörte in den folgenden Jahren zur politischen Praxis der NS-Gesellschaft.

"Hunde und Juden haben keinen Zutritt"

Der Boykott bezog sich nicht nur auf das Geschäftsleben. Schon bald nach der NS-Machtübernahme wurde die jüdische Bevölkerung aufgefordert, ihre Freizeitvereine zu verlassen, ihnen wurde verboten öffentliche Bäder, Parks, Theater, Kinos, Kneipen, etc. zu besuchen. Das Transparent, das über dem Eingang zum Bloher Wald aufgehängt wurde, spricht für sich: "Hunde und Juden haben keinen Zutritt!"

Bereits im April 1933 wurde das "Gesetz gegen Überfüllung deutscher Schulen und Hochschulen" erlassen. Die Zahl der "jüdischen" SchülerInnen sollte 1,5% der gesamten Schülerschaft nicht übersteigen. Die einzelnen Schulen verfassten Listen der jüdischen SchülerInnen und beschlossen, ihre Anzahl in den Klassen möglichst klein zu halten. Die Oldenburger Nachrichten schrieben dazu: "Der rassenfremde jüdische Schüler bildet in der Klassengemeinschaft mit arischem Schüler und Lehrer einen Fremdkörper. Sein Dasein erweist sich als außerordentliches Hindernis im deutschbewussten nationalsozialistischen Unterricht und macht die notwendige, in der Rasse begründete Übereinstimmung zwischen Lehrer, Schüler und Lehrstoff unmöglich." Unter diesen Bedingungen richtete die jüdische Gemeinde Oldenburgs 1937 eine jüdische Schule in der Peterstraße ein.

Auswanderung

Unter dem Druck ständiger Repressalien stehend, erschien die Auswanderung den meisten jüdischen Familien als einziger Ausweg - und war in den ersten Jahren der NS-Herrschaft unter bestimmten Bedingungen auch noch möglich. Wer emigrieren wollte, mußte zuvor 25% des Vermögens im Rahmen der Reichsfluchtsteuer an den Staat abführen. Diese Steuer war bereits 1931 erlassen worden (und wurde im übrigen erst 1953 wieder abgeschafft) ursprünglich um kapitalkräftige Personen von der Auswanderung abzuhalten. Nach 1933 wurde sie von den Nazis zum primären Instrument der staatlichen Enteignung emigrierender JüdInnen ausgebaut: So wurden z.B. ab 1934 die Steuerfreigrenzen von 200 000 Reichsmark auf 50 000 RM herabgesetzt. Ebenso mußten die jüdischen EmigrantInnen ihr verbliebenes Geld auf sog. Auswanderersperrmark-Konten einzahlen, von denen aus in den ersten Jahren noch Devisen getauscht werden konnten, allerdings mindestens zum doppelten Preis.

Flüchtlinge und mittellose MigrantInnen sind in keinem Staat der Welt erwünscht - die NS-Steuergesetze machte den verarmten jüdischen BürgerInnen also auch dann noch das Leben schwer, wenn sie es tatsächlich geschafft hatten, aus Deutschland rauszukommen.

Mit den Novemberpogromen 1938 erreichte die Arisierung ihre nächste "Eskalationsstufe". Durch die Verhaftung und Deportation nahezu aller männlichen Juden aus Oldenburg ins KZ Sachsenhausen - besser bekannt als "Judenmarsch" - war das jüdische Geschäftsleben in Oldenburg im Grunde ausgelöscht. Diejenigen die wieder entlassen wurden, mußten sich um schnellstmögliche Auswanderung bemühen, etlichen war dies zu diesem Zeitpunkt bereits nicht mehr möglich. Die Enteignung des verbliebenen Besitzes der Oldenburger JüdInnen fand inzwischen nicht mehr nur unter bürokratisch-gesetzlich verbrämtem Mäntelchen statt, sondern ganz offen. (Zwangs-)Versteigerungen von Möbeln und Haushaltsgegenständen jüdischer Familien wurden in Zeitungsanzeigen angekündigt. Jüdische Wohn- und Geschäftshäuser wurden beschlagnahmt und versteigert oder direkt an hohe NS-Funktionäre übergeben.

Willige Vollstrecker

Erst in den 1990er Jahren richtete die historische Forschung vermehrt ihren Blick auf diesen Abschnitt der Geschichte im nationalsozialistischen Deutschland. Ein Grund dafür, daß dieser historische Abschnitt erst jetzt zögernd aufgerollt wird, liegt einerseits in der dünnen Quellenlage begründet. Gegen Kriegsende wurde noch von den Nazis der größte Teil des staatlichen Aktenmaterials vernichtet. Der schwerwiegendere Grund ist aber sicherlich, daß sich hier die konkrete Beteiligung und der damit verbundene Profit zeigen, den viele "ganz normale" BürgerInnen und Institutionen hatten: durch Geschäftsübernahmen und Möbelverteilung, durch Grundstückserwerbungen zu Spottpreisen oder auch durch direkte Plünderungen. Der Zugang zum noch verhandenem Archivmaterial ist mühsam, vor allem wenn es um die konkrete Beteiligung noch existierender Institutionen wie Handelskammern oder Banken geht. Das Eingeständnis, daß die deutsche Gesellschaft und die in ihr lebenden Menschen in vielfältiger Weise am Prozeß der Arisierung beteiligt waren, fällt noch immer schwer und Nachforschungen bewegen sich auf brisantem Terrain. Dabei war die Bereicherung an jüdischem Eigentum kein Geheimnis. Es waren "arische" Geschäftsleute und Konkurrenten, Angestellte und NachbarInnen, KundInnen und Gläubiger, die einen aktiven Anteil am Verlauf und Umfang der Vermögensübertragungen hatten. Viele jüdische Geschäfts- und Betriebsinhaber wurden durch antisemitische Hetze und Boykottierung dazu gedrängt, ihre Betriebe aufzugeben oder an arische Konkurrenz meist unter Preis zu verkaufen. Die stille MittäterInnenschaft äußerte sich in Denunziation, Bürokratismus und vorauseilendem Gehorsam.

Die Ausstellung

Die ersten Recherchen des Projektes "Arisierung" in Oldenburg begannen 1996. Initiatoren waren der Verein Werkstattfilm e.V. und Prof. Dr. Ahlrich Meyer von der Forschungsstelle Nationalsozialismus an der Carl von Ossietzky-Universität. Seitdem sind zahlreiche Akten eingesehen und Interviews geführt worden.

Die Ausstellung dokumentiert, auf welche Weise in Oldenburg Institutionen und Privatpersonen an den Enteignungen beteiligt waren und von ihr profitierten. Sie versucht die vielfältigen staatlichen und gesellschaftlichen Handlungen und Mechanismen sichtbar zu machen, die diesen im großen Maßstab geplanten, durchgeführten und "gesetzlich" legitimierten Raub ermöglichten. Dabei geht es nicht darum, ein weiteres Mal in Betroffenheit zu versinken, oder um den moralischen Zeigefinger. Es geht um eine ehrliche Auseinandersetzung mit der Geschichte vor der eigenen Haustür - oder sogar in den eigenen vier Wänden. Das Thema ist aktuell, denn sowohl Täter wie Opfer, wenn sie schon selbst vielleicht nicht mehr leben, haben doch Spuren hinterlassen, und die Mechanismen von anonymer MittäterInnenschaft und bürokratischem Gehorsam funktionieren zu jeder Zeit. Obwohl das Forschungsprojekt "Arisierung" damit vorerst endet, hat die gesellschaftliche Auseinandersetzung gerade erst begonnen.

Die Ausstellung ist vom 27. April bis 27. Mai in der Halle am Steinweg 22 (hinterm PFL) zu sehen. Programmübersicht der Rahmenveranstaltungen im nächsten STACHEL

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