Ausgabe 4/01 | Seite 1 | |||||
CASTOR - Eine NachleseWie üblich hat die Anti-Atom-Bewegung auch dieses Jahr gegen den CASTOR-Transport nach Gorleben mobilisiert und ihn mit viel Aufwand blockiert und verzögert. Ebenfalls und wie üblich hat eine vom Staat aufgebotene Armee aus Polizei- und BundesgrenzschutzbeamtInnen den Transport am Ende aber doch durchgesetzt. Mit Wasserwerfern, Hubschraubern, Räumpanzern und Schlagstöcken. Die Presse hat über das Ganze, wenn auch nicht objektiv, so doch ausführlich berichtet. Also schlicht die gleiche Prozedur wie jedes Jahr? Mit Nichten! Die Ereignisse um den Tag-X verdienen eine genauere Betrachtung. Nicht nur, weil interessant ist, auf welche Weise der CASTOR wie lange aufgehalten wurde. Auch, weil es um den Stand des Ausstiegs aus der Atomenergie, also eine Art Lackmustest für die Rot-Grüne Bundesregierung geht. (Obwohl sie für den Autor seit dem Jugoslawienkrieg selbst mit einem echten Atomausstieg kaum wählbar wären.) Und, weil sich im Umgang des Staates mit dem Anti-CASTOR-Protest zeigt, wie es um Grundrechte und Demokratie steht.
Fakten, Fakten, Fakten:Etwa 17.000 DemonstrantInnen waren am Samstag dem 24. März auf der Auftaktdemo in Lüneburg. Sie wurden an diesem und den folgenden Tagen von über 30.000 Polizei- und BGS-BeamtInnen in Schach gehalten. Letztere haben sich damit die Ehre erworben, am größten Polizeieinsatz in der Geschichte der Bundesrepublik beteiligt gewesen zu sein. Der CASTOR ist am Donnerstag, dem 29. März, um kurz nach acht Uhr früh ins Zwischenlager Gorleben eingefahren. Nachdem es den DemonstrantInnen gelungen war, ihn einen Tag lang aufzuhalten. Was vor allem vier Robin-Wood-AktivistInnen zu verdanken ist, die sich etwa 25 Kilometer vor Dannenberg im Gleisbett der Schiene, über die der Atommüll rollen mußte, einbetoniert hatten. Auch zu verdanken ist es den mutigen SitzblockiererInnen von X-tausendmal quer, die sich kurz hinter Lüneburg selbst von Polizeiknüppeln nicht davon abhalten ließen, auf die Schienen zu gehen und sich dort niederzulassen. Einen leider relativ kleinen Anteil an der Verzögerung hatten einige tausend Menschen, vor allem aus dem autonomen Lager, die sich mit der Polizei in den Wäldern rund um die Transportstrecke ein tagelanges Katz-und-Maus-Spiel lieferten. Aber sie waren wohl zu unorganisiert und/oder unentschlossen, um den Transport wirklich effektiv zu verzögern. (Dafür verdanken wir ihnen einige wirklich schöne Bilder von großen Barrikaden auf kleinen Waldwegen.) Und sonst? Ach ja, Greenpeace war da - und wurde abgeräumt, noch bevor sie den Castor blockieren konnten. Die Polizei hat wie üblich die Reifen der Traktoren der Bäuerlichen Notgemeinschaft zerstört, als diese zu blockieren versuchten. Obgleich die Bauern gerade im vergangenen Jahr erfolgreich Schadensersatz für die gleiche Aktivität der staatlich bezahlten Täter im Jahre 1997 eingeklagt hatten. D.KorrekorIn Und natürlich gab es viele große und kleine HeldInnentaten, die hier aufzuzählen den Artikel sprengen würde.
Sag mir: Wie hälst du's mit dem Ausstieg?Oben schrieb ich, am CASTOR-Transport lasse sich der Stand des Ausstiegs aus der Atomenergie ablesen, und somit sei er eine Art Lackmustest für die Rot-Grüne Bundesregierung. Wie der Test meiner Meinung nach ausgegangen ist, ist dem/der LeserIn wahrscheinlich schon klar: Die Regierung ist durchgefallen! Nachdem Rot-Grün im Konsens mit der Atomindustrie de Facto den Weiterbetrieb der AKWs bis zu deren technischen Ende vereinbart hat, tun sie nun alles Notwendige, um ein vorzeitiges Abschalten der strahlenden Meiler zu vermeiden. Was auch heißt, daß sie mithelfen, den Entsorgungsnotstand der AKW- Betreiber (also die Tatsache, daß durch den Betrieb der AKWs ständig neuer Atommüll produziert wird, aber niemand weiß, wo mensch damit hin soll - es gibt weltweit immer noch kein Endlager für hochradioaktiven Atommüll) zu verschleiern. In den Lagerbecken der Kraftwerke ist kein Platz mehr. Und Frankreich hatte beschlossen, erst wieder Müll aus Deutschland für die Wiederaufarbeitung in La Hague anzunehmen, wenn Deutschland anfängt wiederaufgearbeiteten Müll zurückzunehmen. Also mußte zumindest eine Fuhre mit Atommüll zurück nach Deutschland - sprich nach Gorleben - durchgesetzt werden. Aus nationaler Verantwortung, sagte Trittin, weil die Franzosen ja nicht auf unserem Müll sitzen bleiben dürfen; und verschwieg dabei, daß der CASTOR-Transport nach Gorleben nur deswegen so dringend war, weil er dutzende Transporte mit »frischem« Atommüll nach Frankreich blockierte. Die rot- grüne Atompolitik unterscheidet sich von der schwarz-gelben leider vor allem dadurch, daß die Lügen dreister werden. Daß der Grüne Trittin den Transportstopp für hochradioaktiven Atommüll, den seine Amtsvorgängerin und jetzige CDU-Cheffin Merkel 1998 aufgrund des CASTOR-Skandals verhängte, aufhebt, ohne daß das Problem der radioaktiven Kontamination der CASTOR-Behälter zuverlässig gelöst wäre, sei hier nur als Nebenaspekt erwähnt.
Grundrechte und DemokratieDa die Anti-Atom-Bewegung derzeit die einzige Soziale Bewegung in der Bundesrepublik ist, die sowohl breit in der Bevölkerung verankert ist, als auch große Protest- und Widerstandsaktionen auf der Straße (bzw. Schiene) durchführt, zeigt sich am Umgang des Staates mit ihr am deutlichsten, wie es gerade um die Sache der Grundrechte und der Demokratie steht. Und zwar nicht sehr gut. Rund um den CASTOR wurden die Rechte auf Privatsphäre der Person und Unverletzlichkeit der Wohnung ausgehebelt, wenn es der Polizei sinnvoll erschien. Die Rechte auf Versammlungsfreiheit und Freizügigkeit wurden großflächig außer Kraft gesetzt. Das Recht auf Leben, Gesundheit und Unversehrtheit wurde im wahrsten Sinne des Wortes mit Füßen getreten und Knüppeln geschlagen. Und, das Beängstigenste, in der öffentlichen Berichterstattung und Diskussion ist über all' das kaum ein Wort verloren worden! Natürlich gibt es konkrete Beispiele für die Außerkraftsetzung jedes dieser Rechte, und eine Analyse dessen, was ein solcher Grundrechtsfreier Raum für die demokratische Kultur in Deutschland bedeutet, aber das füllt einen eigenen Artikel. Der ist für den nächsten Stachel geplant.
Eine EinschätzungDie Aktionen rund um den CASTOR-Transport nach Gorleben waren meiner Meinung nach sowohl notwendig als auch erfolgreich. Weniger, weil dieser CASTOR mehr Verspätung hatte als alle bisherigen, sondern weil es gelungen ist, mehr Menschen zu mobilisieren. Was zeigt, daß es für den Weiterbetrieb der AKWs keinen gesellschaftlichen Konsens gibt. Einen (Pro-) Atomkonsens gibt es nur nur zwischen der Regierung und der Industrie. Das Thema Atomausstieg ist wieder in der politischen Diskussion. Der Entsorgungsnotstand ist erneut öffentlich sichtbar geworden. Und natürlich sind CASTOR-Transporte verhindert worden. Denn so einen Mammuteinsatz kann die Polizei nur einmal im Jahr durchführen. Doch auch für die Anti-Atom-Bewegung gilt Nach dem Spiel ist vor dem Spiel! und Wichtig ist auf dem Platz!. Denn leider war es nicht der letzte Tag-X. Weder in Gorleben, noch anderswo. Nach Gorleben rollt der CASTOR zwar erst nächstes Jahr wieder. Von Philippsburg, Grafenrheinfeld und Biblis werden die Transporte nach La Hague aber schon abgefahren sein bevor dieser Stachel erscheint. (Hoffentlich durch viele QuerstellerInnen verzögert.) Jetzt, wo der Gorleben-CASTOR durch ist, darf ja wieder neuer Atommüll nach Frankreich rein. Mindestens genauso wichtig wie der Widerstand gegen die CASTOR-Transporte ist der gegen die Standorteigenen Zwischenlager, die Rot-Grün und die Atomindustrie an allen AKW-Standorten planen. (Siehe dazu die Anzeige zur Demo in Rodenkirchen - 30 Kilometer von Oldenburg - in diesem Heft.) BeSch Kontakt zum gewaltfreien Widertand: http://www.x1000malquer.de
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